"Ungleich vereint": "Ost und West sind mehr als zwei Himmelsrichtungen"

Stand: 02.07.2024 18:37 Uhr

Der Berliner Soziologe Steffen Mau schafft es immer wieder seine Forschungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen - "Triggerpunkte" und "Lütten Klein" waren Bestseller. Nun hat er ein weiteres Buch über die Unterschiede zwischen Ost und West vorgelegt.

von Verena Gonsch

"Ungleich vereint - warum der Osten anders bleibt" - schon der Titel zieht einen wohltuenden Strich unter alle Versuche, Ost und West auf einen Nenner zu bringen.

Trotz der vielen Einheitserfolge lässt sich ein Fortbestand zweier Teilgesellschaften beobachten, die zwar zusammengewachsen sind, aber in ihren Konturen noch immer deutlich hervortreten. Ost und West sind mehr als zwei Himmelsrichtungen, wenn man auf soziale Strukturen, Mentalitäten und politische Bewusstseinsformen schaut.   Zitat aus "Ungleich vereint"

Der Berliner Soziologieprofessor vergleicht Deutschland mit Italien. Nord- und Süditalien seien trotz aller kulturellen und historischen Unterschiede ein Land. So ist es auch mit Ost- und Westdeutschland. Und ruft nochmal in allen Einzelheiten die kulturellen und historischen Differenzen auf. 

Im Vergleich beider Teilgesellschaften ist Westdeutschland mittelschichtiger, Ostdeutschland hingegen eine einfache Arbeitnehmergesellschaft, ja, ein "Land der kleinen Leute". Eine Schicht der Wohlhabenden hat sich nur in Ansätzen etabliert, die innerdeutsche "Vermögensmauer" ragt weiterhin steil empor. Das Vermögen der Haushalte ist in Westdeutschland doppelt so hoch, nur zwei Prozent der gesamtdeutschen Erbschaftssteuer werden in Ostdeutschland gezahlt.   Zitat aus "Ungleich vereint"

Wut und Skepsis gegenüber dem Staat

Steffen Mau, Soziologe und Autor © picture alliance Foto: Marten Körner
Steffen Mau, Jahrgang 1968, ist in Ostdeutschland aufgewachsen und kennt die Kränkungen seiner Landsleute.

Wenn er die Gefühlslage der Ostdeutschen beschreibt, fällt immer wieder nur ein Wort: "Wut". Mau, Jahrgang 1968, geboren in Rostock und aufgewachsen im dortigen Stadtteil "Lütten Klein", weiß, wovon er spricht. Er kennt die Kränkungen der Ostdeutschen, die aus der schnellen Wiedervereinigung und den daraus folgenden gebrochenen Biografien fußt, das Gefühl vieler, von oben regiert worden zu sein. Und ihre Skepsis gegenüber Autoritäten und Institutionen. 

Es gibt - man muss diese Diagnose so hart stellen - im Osten aus strukturellen und historischen Gründen nur ein recht schwaches Band zwischen den Regierenden und den Regierten, das sich inzwischen so weit gelockert hat, dass wachsende Gruppen in eine staatsskeptische und sogar staatsablehnende Grundhaltung hineingeraten sind. Zitat aus "Ungleich vereint"

Die AfD wird bleiben

Der Erfolg der AfD ist für den Sozialwissenschaftler nicht vom Himmel gefallen, sondern vielmehr Ergebnis des politischen Vakuums der 90er-Jahre, als die SED verschwand und rechtsextreme Gruppierungen in ostdeutschen Kommunen gezielt wichtige Positionen übernommen haben. Hinzu kommen die geringe Partei- und Gewerkschaftsbindung im Osten und die fehlende Zivilgesellschaft, die ein Gegengewicht zu den Bestrebungen der AfD hätte bilden können.

Ihre Mitglieder und Wähler sind in der Freiwiligen Feuerwehr, in Schützen- oder Kulturvereinen aktiv und arbeiten dort an der Veralltäglichung ihrer Partei, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass sie in einigen Regionen die politische Kultur langfristig dominieren könnte. Das Augenmerk der Partei liegt zudem auf der "Infiltration" wichtiger Säulen des demokratischen Rechtsstaats wie etwa der Bundeswehr, der Polizei und der Justiz.  Zitat aus "Ungleich vereint"

"Ungleich vereint - warum der Osten anders bleibt“ ist wie Maus "Triggerpunkte" ein Gewinn, wenn man verstehen will, wie unsere Gesellschaft tickt. Viele Klischees werden aufgelöst und machen Platz für neue politische Ansätze.

Mau plädiert für neue demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten in Ostdeutschland. Bürgerräte zum Beispiel, um den Menschen das Gefühl zurückzugeben, Demokratie mitbestimmen zu können. Doch rechnet er nicht mit kurzfristigen Erfolgen: Die AfD hat Ostdeutschland seiner Ansicht nach auf Jahre fest im Griff. 

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Buchcover von Steffen Maus Sachbcuh "Ungleich vereint - Warum der Osten anders bleibt" © Suhrkamp Verlag
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Ungleich vereint - Warum der Osten anders bleibt

von Steffen Mau
Seitenzahl:
168 Seiten
Verlag:
Suhrkamp Verlag
Bestellnummer:
978-3-518-02989-3
Preis:
€ 18,00 €

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 02.07.2024 | 19:30 Uhr