"Big Tech muss weg": Wie Tech-Riesen unsere Demokratie abschaffen

Stand: 02.09.2023 12:37 Uhr

Der Medienwissenschaftler Martin Andree sieht die großen Tech-Unternehmen und ihre Betriebsgeheimnisse als Gefahr für Demokratie und Wirtschaft. Er plädiert dafür, das Netz zu liberalisieren.

von Thorsten Mack

Es geht um unsere neue Heimat - die "angeblich" so freie Netzwelt. Fünf gigantische Techkonzerne beherrschen die Branche. Dabei zeigt ein eher kleiner Mitspieler, wo die Gefahren liegen. Elon Musks Übernahme von Twitter (mittlerweile: X) offenbarte: In dieser Welt kann man die Aufmerksamkeit leicht manipulieren - Nachrichten verstecken, oder sie hochjubeln, je nach Gusto. 

Der weiße Buchstabe X auf schwarzem Hintergrund auf einem Smartphone, im Hintergrund das bisherige Logo des Kurznachrichten-Dienstes Twitter © Monika Skolimowska/dpa
AUDIO: Wirtschaft: Aus Twitter wird X: Der Erfinder des Vogels ist "sad" (4 Min)

Deutschland: Zehn große Domains teilen 70 Prozent des Traffics unter sich auf

"Seitdem Elon Musk Twitter übernommen hat, ist es für ganz viele Menschen klar geworden, was es bedeutet, wenn ein Privatunternehmen oder eine Person ein ganzes Netzwerk kontrollieren und voll darauf durchgreifen kann", sagt der Medienwissenschaftler Martin Andree. Entscheidend ist, wie viel Zeit wir wo im Netz verbringen. Andree hat das für Deutschland untersucht.

Ein Ergebnis: Trotz Millionen Domains teilen die größten zehn über 70 Prozent des Traffics unter sich auf. "Wir haben gesehen, dass fast die ganze Nutzung auf ganz wenigen Plattformen konzentriert ist", so Andree. "Man kann eigentlich sagen: Der ganze Rest des Internets ist ein riesengroßer Friedhof."  

Macht der Giganten speist sich aus einem Revolutionsgedanken

Die systemische Macht der Giganten speist sich aus einem Revolutionsgedanken. Der kalifornische Spirit der 60er-Jahre und 70er-Jahre wollte mehr Freiheit, Austausch und Transparenz. Es ging gegen ein kapitalistisches System mit seinen starren Machtstrukturen. "Ich glaube, wenn sie die frühen Gründer in ihren Garagen damals befragt hätten, wäre vieles von heute für sie unvorstellbar gewesen", ist sich Andree sicher. "Die interessierten sich zum Beispiel gar nicht für Werbung - sie wollten den Menschen Informationen zur Verfügung stellen." 

Google, Meta und Amazon bilden ein Imperium

Die Gründerväter der Konzerne geben sich eher wie Nerds und Freigeister als wie Macht-Mathematiker. Doch das Bild täuscht. Zwar propagieren sie mit ihrer Tech-Revolution und ihren Netzwerken Freiheit und Transparenz, aber wie sie arbeiten und die Daten kontrollieren, bleibt Betriebsgeheimnis. Den ehemals kleinen Klitschen geht es offensichtlich vor allem um Macht und Gewinnmaximierung - dafür schluckten sie viele Konkurrenten und Start-Ups. Der Google-Konzern, Meta und Amazon sacken im Westen über 80 Prozent der digitalen Werbeeinnahmen ein. Sie sind jetzt das System, ein Imperium. 

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Andree zählt auf: "Sie haben ein Quasi-Monopol von Google auf dem Feld der Suchmaschinen. Sie haben ein Quasi-Monopol von Meta auf dem Feld der sozialen Medien, mit ungefähr 85 Prozent Marktanteil. Alphabet besitzt YouTube, das sind 90 Prozent des Gratis-Bewegtbilds. Stellen Sie sich vor, man hätte 90 Prozent Marktanteil im Bewegtbild-Rundfunk, also im Fernsehen. Das wäre undenkbar."

Der Medienwissenschaftler schreibt, dass die Plattformen über Jahrzehnte zu Monstern herangewachsen sind, ohne dass wir uns gewehrt haben. Und nun halten sie uns in ihrem Netz gefangen, bauen Barrieren im Datenaustausch auf. Plattformen wie Instagram regeln, was wir sehen, verbieten aber Links zum Original, streichen die Werbegelder ein. Big Tech entscheidet über die mediale Grundversorgung. Wer etwa bei Google sucht, landet überproportional oft bei anderen Google-Plattformen. Freier Zugang zu Informationen ist das nicht. Eher demokratiefeindlich. 

"Wenn wir nichts tun, dann ist die Zukunft sehr leicht vorhersehbar", so Andree. "Es würde noch wenige Jahre dauern, nämlich bis ungefähr 2029, dann wird der Anteil der analogen und damit hauptsächlich eben auch redaktionellen Medien in unserem gesamten Mediensystem unter ein Viertel sinken. Damit sind sie eigentlich so unbedeutend, dass sie sich auch publizistisch nicht mehr wehren können. Ein Großteil unserer Medienwirklichkeit wird dann in den Plattformen sein. Und die kontrollieren dann diese Medienwirklichkeit. Wir wissen auch: Diese Konzerne sind in den USA, sie sind noch nicht mal in Deutschland. Wir haben keinen wirklichen Zugriff darauf. Und damit entgleitet uns die Kontrolle über unsere Demokratie."

Die Tech-Konzerne konzentrieren immer mehr Netzverkehr auf sich und nutzen dabei unsere Daten für ihre Geschäfte. Twitter (also X) zeigt, dass sie auch unsere Nachrichten steuern können. Ihre Macht reicht weit über die Medien hinaus - Apple etwa ist schon Teil der Finanzwirtschaft. Die Politik könnte all das ändern, etwa indem sie digitale Monopole verbietet und Konzerne zwingt, für Durchlässigkeit und Datenaustausch zu sorgen. 

Big Tech in zwölf Monaten in die Schranken weisen - das geht

"Wenn wir wollten, könnten wir innerhalb von zwölf Monaten Big Tech in die Schranken weisen", meint Andree. "Wir könnten das Netz liberalisieren. Wir könnten dafür sorgen, dass sich der Traffic wieder verteilt. Dass viele Unternehmen und Medien wieder die Chance haben, Traffic zu bekommen, indem wir einfach diese Barrieren einreißen. Wir müssten es eben nur wollen."  Schluss mit Big Tech - ein schöner, demokratischer Gedanke. 

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