Tonio Schachinger bekommt Deutschen Buchpreis für "Echtzeitalter"
Tonio Schachinger ist am Montag in Frankfurt für seinen Roman "Echtzeitalter" mit dem Deutschen Buchpreis 2023 ausgezeichnet worden. Der 31 Jahre alte Autor nutzte seine Dankesrede für einen Appell gegen Antisemitismus.
Der Schauplatz von "Echtzeitalter" ist ein elitäres, österreichisches Internat. Hier geht Till zur Schule. Er kann mit seinem snobistischen Umfeld und den verknöcherten Strukturen nichts anfangen. Viel lieber möchte er Profi-Gamer werden. Nach dem Tod seines Vaters findet er Zuflucht im Spiel "Age of Empires" und gehört bald zu den besten Spielern weltweit. Doch das zählt nichts in der Welt der Erwachsenen. Allen Schikanen zum Trotz geht Till seinen Weg.
"Mit feinsinniger Ironie spiegelt Schachinger die politischen und sozialen Verhältnisse der Gegenwart: Aus gebildeten Zöglingen spricht die rohe Gewalt", urteilte die Jury des Deutschen Buchpreises. "Die Welt der Computerspiele bietet einen Ort der Fantasie und Freiheit. Auf erzählerisch herausragende und zeitgemäße Weise verhandelt der Text die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Literatur."
"Freiheit ist möglich: Dort, wo man sie am wenigsten vermutet"
Schachinger wurde 1992 in Neu-Delhi geboren, er studierte Germanistik und Sprachkunst in Wien. Sein erster Roman "Nicht wie ihr" stand 2019 auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis. "Eine rundherum erfreuliche Wahl!", freute sich NDR Kultur Literaturredakteur Alexander Solloch über die Entscheidung der Buchpreis-Jury.
Mit Tonio Schachinger werde nicht nur einer der brillantesten jüngeren Vertreter der österreichischen Gegenwartsliteratur geehrt, sondern auch ein ganz besonderer Roman. "'Echtzeitalter' - ein Schulroman als Gesellschaftsstudie - ist überraschend, aufwühlend, komisch und sprachlich überaus einnehmend. Indem Schachinger sich und uns die Gamingwelt als Zufluchtsort vorm bildungsbürgerlich-reaktionären Mief ausmalt, zeigt er: Freiheit ist möglich - vor allem da, wo man sie am wenigsten vermutet."
Dankesrede mit Appell gegen Antisemitismus
Schachinger dankte in seiner Rede vor allem seiner Frau, "von der ich alles gelernt habe, was ich weiß, in diesem Leben". Zudem nahm er in seiner Rede Bezug auf die Terrorangriffe der Hamas in Israel, wies dabei aber auch auf Probleme in den westlichen Gesellschaften hin. "Ich hoffe, dass in Europa und überall anders sonst Jüdinnen und Juden sich sicher fühlen können", sagte Schachinger. "Dass das nicht so ist, das wissen wir alle. Das wissen wir, wenn wir an einem Kindergarten vorbeigehen, der schwer bewacht werden muss."
Buchpreis mit 37.500 Euro dotiert
Die Auszeichnung gilt als eine der wichtigsten der Branche und wird seit 2005 von der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels verliehen. Der Buchpreis sei alljährlich "ein Kaleidoskop aktueller Themen und Thesen. Er fördert die besonderen, außergewöhnlichen Werke zutage und gibt guten Geschichten den nötigen Raum zur Entfaltung", erklärte die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs. Die Auszeichnung ist mit 37.500 Euro dotiert: Der Sieger erhält 25.000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2.500 Euro.
Diese sechs Titel standen auf der Shortlist
- Terézia Mora: "Muna oder die Hälfte des Lebens"
- Necati Öziri: "Vatermal"
- Anne Rabe: "Die Möglichkeit von Glück"
- Tonio Schachinger: "Echtzeitalter"
- Sylvie Schenk: "Maman"
- Ulrike Sterblich: "Drifter"
Deutscher Buchpreis 2022 für Kim de l'Horizon
Im vergangenen Jahr bekam Kim de l'Horizon für "Blutbuch" den Deutschen Buchpreis. In dem Roman sucht eine non-binäre Person nach einer eigenen Sprache. Das Buch ist eine von Märchen inspirierte, in Nahaufnahmen realisierte Befragung der Kindheit, die die Erzählfigur Kim, mittlerweile erwachsen geworden und offen queer lebend, vornimmt.