Tiere in der Literatur: Von schlauen Füchsen, Käfern und Affen
Jetzt wird's tierisch: Welche Tiere spielen in der Literatur eine Rolle, welche faszinieren, welche schrecken ab? Persönliche Antworten aus der Literaturredaktion von NDR Kultur.
Eigentlich mag ich Pferde. Aber wenn es um Literatur geht, sind Füchse ergiebiger, denn sie sind schlauer als Pferde. Im "Reineke Fuchs" von Goethe spielen Pferde keine Rolle, sie wären dem Übeltäter Fuchs auch rettungslos unterlegen. In George Saunders' kleinem Band "Fuchs 8" ist der Fuchs - im Gegensatz zu den Menschen - nicht böse, aber auch sehr schlau, denn: Er kann schreiben! Die "mänschische" Sprache hat er gelernt, weil er Mütter belauscht hat, die ihren Kindern vorgelesen haben.
Jetzt ist seine Fuchsfamilie in großer Gefahr. Denn die Menschen haben den Wald abgeholzt, eine Einkaufs"mohl" darauf gebaut und seinen Freund Fuchs 7 umgebracht. Warum tun Menschen das? Fuchs 8 schreibt einen Brief. Man muss ihn sich laut vorlesen, denn seine Rechtschreibung ist füchsisch-phonetisch. Aber der Appell ist eindeutig: Lasst uns diese Welt in Frieden miteinander teilen! Ja, Recht hast du, lieber Fuchs! - sagt Anna Hartwich.
Kafkas "Die Verwandlung": Mitfühlen mit Gregor Samsa
Es ist glitschig, kriecht und krabbelt, hat einen Rücken wie ein Panzer und dünne flimmernde Beinchen. Keine Körpermerkmale, mit denen ich mich sofort identifiziere. Im Gegenteil. Ich ging in die 9. Klasse, Schullektüre "Die Verwandlung" - es war das erste Mal, dass ich nicht nur von einem Tier gelesen hatte, sondern mich in das Tier hineinversetzt habe.
Ich war dieser Käfer, zusammen mit Gregor Samsa, der in diesen ersten friedlichen Momenten des Aufwachens feststellt, zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt zu sein. Ich fühlte mit, als der Protagonist nach und nach erkennt, dass diese Metamorphose keinesfalls vorübergehend ist, als er vergeblich versucht, sich mitzuteilen, als er immer mehr zum Tier und seine Familie immer weniger Mensch wird. Franz Kafkas schlaue, düstere Erzählung hat mir gezeigt, was Literatur kann: Verwandeln - sagt Juliane Bergmann.
"Der Fall Jane Eyre" von Jasper Fforde: Der Dodo 1.2
Dodos gelten eigentlich seit dem 17. Jahrhundert als ausgestorben. Aber in der fantastischen Buchreihe rund um die Literatur-Agentin "Thursday Next" taucht einer dieser flugunfähigen Vögel auf. Geklont natürlich, in der Version 1.2 - also ohne Flügel. Thursdays Dodo heißt Pickwick und ist ihr Haustier. Lange dachten alle, Pickwick sei männlich, doch dann legte sie spontan ein Ei. Ihr Sohn Alan lebt übrigens bei Shakespeares Hamlet.
Keine Ahnung, was mich an diesem Vogel anspricht. Irgendwie ist der Dodo nicht richtig niedlich, aber doch ziemlich lustig. Denn Pickwick singt oder tirilliert nicht - sondern macht mit "plock"-Geräuschen auf sich aufmerksam. Natürlich immer im richtigen Moment … Und wenn Sie jetzt neugierig geworden sind: Jasper Ffordes Bücher rund um "Thursday Next" sind ein riesengroßer Spaß, voller absurder Ideen rund um die Welt der Bücher mit ausgestorbenen Tieren, findet Maren Ahring.
Der Affe in der Literatur: Herr Nilson, Wilhelm Buschs Fipps, Kafkas Rotpeter
Ohne Tiere, soviel steht fest, hätte mir Lesen niemals große Freude bereitet. Es ging früh los mit Kiki, dem Papagei von Jack und Lucy aus der Abenteuerserie von Enid Blyton. Dann kam auch schon Herr Nilson, der kleine Affe auf der Schulter der ganz außerordentlichen Pippi Langstrumpf. Diese kleine Meerkatze mit blauen Hosen, gelber Jacke und weißem Strohhut brauchte ich mir nur vorzustellen, um sofort gute Laune zu bekommen.
Bei "Fipps, dem Affen" aus der erzieherischen Fantasie-Welt von Busch, Wilhelm aus Wiedensahl wurde es schon dramatischer. Denn dieser unbändige und abenteuerlustige äffische Freigeist wird am Ende doch glatt vom nichtsnutzigen, ewig-nachtragenden Bauern Dümmel mit einer Flinte vom Baum geschossen. Das war eindeutig Mord! Empörung bis heute! Aber dann kam, etwas später, Kafkas Affe Rotpeter mit seinem "Bericht für eine Akademie", der mir erzählte, dass Affen nur aus Not, aus lauter Verzweiflung über die Bosheit des Menschen selbst zum Menschen geworden seien. Wow! Was für eine Geschichte! An dieser philosophischen Nuss knacke ich, Joachim Dicks, noch immer mit großem Vergnügen.
Groarrrrrr! Shel Silversteins "Lafcadio - Ein Löwe schießt zurück"
"Eigentlich kann man keine Bücher über Tiere schreiben", grummelte ich schläfrig an einem sonnigen Samstagnachmittag, aber dann trat mir ein junger Löwe entgegen, knurrte laut: "Groarrrrrr!" und drohte damit, mich zu fressen, worauf ich mich beeilte zu präzisieren: "Selbstverständlich verstand sich aber der große, vortreffliche, wunderschöne Shel Silverstein darauf, ein fabelhaftes Buch über den kleinen, vortrefflichen, wunderschönen Lafcadio zu schreiben", denn so hieß dieser Löwe, der im letzten Moment von mir abließ.
Lafcadio nämlich ist der seltene Fall eines Literaturtiers, das sich jedem Kitsch widersetzt und sich durchzusetzen weiß gegen die Zumutungen der menschlichen Gattung. Aber neugierig ist er doch zu erfahren, was es denn mit diesen Marshmallows auf sich hat, von denen bis in den Dschungel hinein gerüchteweise zu hören ist, und so lässt er sich in die große Stadt locken - und doch bleibt er immer ganz bei sich, ein stolzer Löwe. "Lafcadio - ein Löwe schießt zurück" - auch als Hörbuch eine feine Sache, denn niemand groarrrrrrt so schön wie Harry Rowohlt, findet: Alexander Solloch.
"Der Hund der Baskervilles": Das wahre Monster ist der Mensch
Dieses tiefe murmelnde Grollen hat mich bis in den Schlaf verfolgt, dieses Bellen der Bestie, die sich im britischen Dartmoor verbirgt: der Hund der Baskervilles. Ich war etwa zwölf, als ich diese berühmte Geschichte von Sir Arthur Conan Doyle las. Zu alt, um noch an Monster zu glauben, zu jung, um nicht trotzdem Angst vor ihnen zu haben. Und dieses Monster war real: Hunde gab es auch in meiner Welt, knurrende, kläffende, beißende Hunde, denen ich beim Zeitungaustragen oder auf dem Weg zur Schule begegnete.
Und ich war kein Sherlock Holmes, der sich ihnen mutig in den Weg gestellt hätte. Bis heute habe ich großen Respekt vor Hunden, denn ich weiß dank Conan Doyle, wozu sie in der Lage sind, wenn man sie schlecht behandelt. Der Hund der Baskervilles wird selbst gequält, ausgehungert, mit Phosphor bestrichen und angezündet. Das wahre Monster ist nicht er, sondern der Mensch, der ihm das angetan hat. So wie die meisten Geschichten über Tiere in der Literatur eigentlich von uns selbst erzählen, sagt Jan Ehlert.
Des Pudels Kern
In "Der Hund der Baskervilles" zeigt der Hund seine furchteinflößende Seite, bei Goethe tritt der Teufel in Gestalt eines Pudels in Erscheinung. Doch es gibt auch ungleich freundlichere Beispiele. Bei Denis Scheck und seiner Frau Christina wurde kürzlich sogar eine "undogmatische" Liebesgeschichte draus. Eine meiner liebsten Geschichten betrifft jedoch meinen liebsten Hund: den Dackel.
In Friedrich Torbergs vor Anekdoten nur so sprudelndem und so wehmütig wie heiterem Buch "Die Tante Jolesch" ist Dackel Waldi unfreiwilliges Bindeglied der turbulenten Beziehung des Sonderlings Herrn Buchsbaum zu seiner böhmischen Wirtschafterin Karolin (auf der ersten Silbe betont). Die gemeinsame Liebe zu Waldi bewirkt jedoch keine Linderung der Feindschaft und gipfelt in einer stereotypen Abwicklung eines Begrüßungsrituals, von dem Torberg schließt, dass so das spanische Hofzeremoniell entstanden sein müsse - nachzulesen im wunderbaren Kapitel "Von mürrischen Käuzen (nebst Personal)", sagt Nele Deutschmann.
Der Bücherschnapp wärmt das Herz
Mein literarisches Lieblingstier findet sich in keinem Fauna-Lexikon und beginnt seine Geschichte auch noch quasi als Kleinkrimineller. Das klingt zunächst nach einem eher unbedeutenden und wenig sympathischen Wesen, entwickelt sich aber zu einer der herzerwärmendsten Figuren, die mir als Vorlese-Vater je begegnet ist.
Dieses kleine, an eine Mischung aus Fuchs und Fledermaus erinnernde Kerlchen namens Bücherschnapp beklaut zunächst seine tierischen Nachbarn: Binnen kurzer Zeit verschwinden nämlich bei der Hasen-, Igel-, und Dachsfamilie eines Tales die Bücher. Alsbald herrscht Misstrauen in der tierischen Nachbarschaft, wer da wem die Bücherregale leerräumt. Als der Dieb jedoch entlarvt wird, stellt sich heraus: Der kleine Kerl ist einfach nur verzweifelt, weil ihm als einzigem NICHT vorgelesen wird. Solche Sehnsucht nach guten Geschichten führt natürlich zur sofortigen Begnadigung und Aufnahme in die heimeligen Runden, in denen Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen werden. Eine wundervoll gezeichnete und gereimte Hommage ans Vorlesen. Ein kleiner Setzling, der zur großen Sehnsucht nach Literatur werden kann, meint Uli Sarrazin.