Bundestagswahl: Reaktionen von Kulturschaffenden aus dem Norden
Deutschland hat gewählt. Die Gespräche der Politikerinnen und Politiker über die Zukunft haben begonnen. Doch wie blicken Kulturschaffende und Forschende auf das Ergebnis? Ein Stimmungsbild.
Die Polarisierung im Wahlkampf hat dazu geführt, dass die Parteien ihre Positionen geschärft haben. Das findet der in Hannover geborene Schriftsteller Deniz Utlu. Die Sozialdemokraten allerdings hätten dabei an Profil verloren, so der Schriftsteller. Als Autor schaue er besonders auf den Umgang mit Sprache. Hier sei es beispielsweise Friedrich Merz nicht immer gelungen, sich von der AfD abzugrenzen.
Triggernde Worte in der Wahlkampfarena
Das hat aus Utlus Sicht unter anderem damit zu tun, dass die Wahlkampfarena als Bühne genutzt wurde: "Wir versuchen einerseits manche Worte zu benutzen, um die Menschen da abzuholen, wo sie getriggert werden - so zum Beispiel das Wort 'Migration'. Andererseits wird versucht, deutlich zu machen, wir sind trotzdem noch eine demokratische Partei. Gleichzeitig passiert das nur auf der Sprachoberfläche. Das führt dazu, dass die einzigen, die an Glaubwürdigkeit gewinnen, diejenigen sind, die genau das meinen, was sie sagen - und das sind die, die hinter ihrem Rassismus stehen."
Der wachsende Egoismus - eine große Sorge
Und wie sollten wir mit diesen politischen Verhältnissen umgehen? Die so mies seien, wie sie es noch nicht erlebt habe, schreibt Maja Göpel in ihrem Buch "Werte". Die Polit-Ökonomin und Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg findet: "Das kommt jetzt vor allem darauf an, wie die Umgangsformen sich ändern werden. Wenn wir in die Studien reingucken, ist die Sorge vor dem wachsenden Egoismus ganz oben, quer zu allen Lagern. Das ist natürlich ein Zeichen, dass ich in einer Unsicherheitssituation weiß, dass es durch eine Kooperation oder eine sichere Gruppe, in der ich zugehörig bin, besser aufzulösen ist, als wenn ich allein bin. Das ist jetzt exakt das, was auf dem Spiel steht." Schaffen wir es, diesen unsäglichen Umgangston wieder zu reduzieren, den Umgangston wieder zu mäßigen und das Vertrauen in Kompromisse wieder zu stärken? Das seien jetzt die Fragen, so Göpel.
Wahlentscheidungen im Osten vor einem historischen Hintergrund
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Der Historiker Philipp Blom, der sich in seinem Buch "Die zerrissenen Jahre" mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt hat, denkt darüber nach, ob es andere Formen geben kann, Demokratie zu praktizieren. "Ich finde so etwas wie Bürgerräte ein wichtiges Instrument", so der Historiker, "das auch oft zu sehr guten Entscheidungen führt und übrigens Menschen auch viel mehr in die Politik mit einbezieht. Man kann auch an stärker Interessen-zentrierte Politik und weniger Partei-zentrierte Politik denken, da gibt es sinnvolle Alternativen."
"Die Möglichkeit von Glück" heißt das Buch der Schriftstellerin Anne Rabe. Sie ist wie Stine, die Heldin dieses Romans, in der DDR geboren und im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Sie erzählt von den Prägungen einer tief ins System verstrickten Familie. Wolle man dem Rechtsruck in Ostdeutschland begegnen, müssten die Wahlentscheidungen dort auch vor dem Hintergrund der Historie gesehen werden, sagt die gebürtige Wismarerin: "Was wir in den ganzen letzten 30 Jahren gesehen haben ist, dass bestimmte Strukturen wie eine Parteizugehörigkeit und kulturelle Angebote nicht so stark vorhanden waren, dass man diese Stärke der Zivilgesellschaft auch unterschätzt hat. Das ist etwas, was wir jetzt massiv befördern müssen und wo wir auch aufpassen müssen bei den schwierigen finanziellen Herausforderungen, vor denen wir stehen angesichts auch der internationalen politischen Probleme: Dass wir da nicht nachgeben, dass wir das nicht eindampfen."
Gegen das kommunikative Dauerfeuer der neuen US-Regierung
Deutschland sei eine starke und lebendige Demokratie und solle sich nun nicht davor fürchten, direkt im Faschismus zu landen, mahnt auch der Historiker Philipp Blom. Aber natürlich gelte es, unter anderem dem kommunikativen Dauerfeuer der neuen US-Regierung etwas entgegenzusetzen: "Wenn das nicht passiert, dann werden wir in Europa definitiv eine Kolonie, entweder der Vereinigten Staaten oder von China. Und wir werden jede politische Gestaltungsmöglichkeit verlieren und jede Möglichkeit unsere eigenen sozialen, politischen und vielleicht auch moralischen Ideen in unseren Gesellschaften durchzusetzen."
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