Philipp Blom, was bleibt vom "Prinzip Hoffnung"?
Im Gespräch erläutert der Historiker und Autor Philipp Blom, welche Rolle bei der Ausbildung von Perspektiven die Geschichten spielen, die wir uns gegenseitig erzählen, und wie seine eigene Hoffnung aussieht.
Hoffnung basiere auf einem "Minimum an Gemeinsamkeit, um überhaupt noch eine Gesellschaft zu sein, auf gemeinsamer Geschichte und Gegenwart", so Blom. Er ist davon überzeugt, dass die "rasende Entwicklung von Technologien, die unser Leben völlig umkrempeln" zu einer Vereinzelung führt, die ein "gemeinsames Projekt" einer Gesellschaft immer schwieriger macht. Das aber sei Grundlage für "ein kluges Verhältnis zur Welt".
Herr Blom, Sie haben vor Jahren gesagt, alles stehe auf dem Spiel. Und jetzt kommt Ihr neues Buch über die Hoffnung. Sind Sie zum Luther geworden? Ist Ihr Buch Ihr Apfelbäumchen, obwohl morgen vielleicht die Welt untergeht?
Philipp Blom: Wir sind ja Wesen, die darauf angewiesen sind, ein bisschen Hoffnung zu haben, in eine Zukunft zu blicken, die wir für gestaltbar halten. Wie sieht denn das aus heute? Was stört diese Hoffnung? Was ist wichtig für diese Hoffnung? Wie sieht Hoffen heute aus? Das habe ich versucht, ein bisschen zu verstehen.
Gehört Hoffnung denn unbedingt zu einem klugen Verhältnis zur Welt dazu?
Blom: Wir sind in einer sehr schwierigen Situation. Und dann muss man sich überlegen: Wie gehen wir um mit dieser schwierigen Situation? Sie fragen: Hat es überhaupt Sinn, Hoffnung zu machen? Das Einzige, was wir sicher wissen über unser Leben, ist, dass wir irgendwann tot sind. Es geht hier nicht darum, sich Hoffnung zu machen, dass alles auf ewig immer gut sein wird, sondern es geht darum, wie wir dieses Leben sinnvoll gestalten können. Wenn man glaubt, dass man sein Leben sinnvoll gestalten kann, dann kann man auf etwas hoffen. Wenn man den Glauben verliert oder gar nicht erst gekriegt hat - und das liegt viel an den Gesellschaften, in denen wir leben -, dann wird es ernsthaft schwer mit dem Hoffen. Denn viele Menschen verwechseln das Hoffen mit Optimismus: Es wird sowieso alles gut. Oder mit so einer Art Verbraucherrecht auf eine gute Zukunft: Auf alles, was ich habe, habe ich sowieso Umtauschrecht, kann es einklagen und zurückgeben. Und wenn mir meine Zukunft nicht gefällt, kann ich das auch machen. Und das ist es eben nicht.
Was bleibt denn heute von dem berühmten "Prinzip Hoffnung"?
Blom: Davon kann nicht sehr viel bleiben. Hoffnung war einfach, als Menschen noch einfach religiös sein konnten: Da lebt man sein ganzes Leben in der Hoffnung auf ein besseres, nächstes Leben und weiß: Dies ist nur die Vorkammer zu einem eigentlichen Leben, auf das ich hoffen kann. Aber diese Hoffnung haben säkuläre Menschen heute nicht mehr, und ich gehöre dazu. Das 20. Jahrhundert war eigentlich ein großes Experimentierfeld, wo versucht wurde, diese religiöse Hoffnung durch andere zu ersetzen - durch die kommunistische, die faschistische oder die kapitalistische. Aber all diese Ismen sind letztendlich daran gescheitert, Menschen Hoffnung zu geben, und manchmal sind sie auch einfach zusammengebrochen. Deswegen stehen wir heute relativ nackt und ratlos da, wenn wir vor diesem Gedanken stehen. Aber gleichzeitig muss ich sagen: Nirgendwo in Europa wird im Moment so viel und so inbrünstig gehofft wie in der Ukraine. Da wird vielleicht viel mehr gehofft als in Deutschland und in Österreich, wo ich lebe, obwohl die Menschen hier viel mehr haben, es ihnen objektiv gesehen, nach allen Kriterien, die man quantifizieren kann, viel besser geht. Aber dann merkt man: Es liegt eben nicht nur an den Dingen, die man quantifizieren kann. Wenn man hoffen will, dann liegt es auch an anderen Dingen.
Hoffnung richtet sich nicht nur auf Zukunft, sie hat auch ein Verhältnis zur Vergangenheit. Es braucht Erinnerungen, die auf einer gemeinsamen Basis besprechbar sind. Wo soll man da ansetzen, wenn es doch für geteilte Hoffnung ein verbindendes Gemeinsames bräuchte? Oder muss man sich damit bescheiden, dass die Hoffnung ein individualisiertes Projekt wird?
Blom: Wo ist das Minimum von Gemeinsamkeit, das wir brauchen, um überhaupt noch eine Gesellschaft zu sein? Das ist eine Frage, die normalerweise von Reaktionären gestellt wird. Die wollen dann irgendeine Tradition oder Leitkultur stark machen oder zurückgehen in die Vergangenheit. Aber es ist auch eine anthropologische Frage, dass man weiß: Wenn man miteinander lebt, wenn man eine Gesellschaft hat, dann muss man einander auch ausreichend viel vertrauen können, man muss füreinander ausreichend lesbar sein, man muss sich auch darauf verlassen können, dass die anderen Menschen, mit denen man die Straße, die Straßenbahn oder den Arbeitsplatz teilt, sich an die Spielregeln halten.
Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, wenn man das nicht mehr von anderen Menschen glaubt, dann wird es richtig schwierig. Auch da wird oft Migration als symbolisches Problem vorgeschoben, da wird gesagt: Da sind Menschen mit einer anderen Kultur, einer anderen Hautfarbe und einer anderen Sprache, die sind nicht wie wir, wie soll denn das gehen? Aber ich glaube, das hat viel mehr mit der rasenden Entwicklung von Technologien zu tun, die unser Leben völlig umkrempeln, von unserem Intim-Leben, unserem Dating-Verhalten bis zu unserem Arbeitsleben, von wie viel Kontakt wir mit Menschen analog haben, sodass wir uns mit Menschen auseinandersetzen müssen, und was wir als geteilt ansehen können. Das sind nicht immer gute Sachen, die man teilt, aber ich glaube, es ist wichtig, dass man in Gesellschaften etwas teilt.
Und letztendlich wäre es wichtig, dass man in Gesellschaften so etwas wie ein gemeinsames Projekt hat. Das gab es natürlich, aber dieses gemeinsame Projekt kam von oben, und das wurde zum Teil mit Unterdrückung durchgesetzt. Deswegen haben sich Menschen dagegen gewehrt und das beendet. Aber das heißt eben jetzt, dass viele Menschen das Gefühl haben, sie leben in Gesellschaften, die überhaupt kein gemeinsames Projekt mehr haben, sondern nur noch individuelle Projekte. Was findet man dann? Wir sind alle so wahnsinnig frei, wir dürfen uns alle kleiden, wie wir wollen. Und wir finden dann, dass Meinungen wie Kleider sind: Man zieht sie nicht an, weil sie objektiv richtig oder wahr sind, sondern weil man vor seinen Freunden gut aussehen will und weil man sich warmhalten will. Dann wird das mit der individuellen Freiheit, die wir immer so feiern, auf einmal sehr dünn. Dann sieht man, wie sich durch die Hintertür wieder irgendwelche Kollektive oder Gemeinsamkeiten einschleichen, die aber nicht aus der Gemeinschaft, aus den Menschen und ihren Bedürfnissen, heraus kommen, sondern die von irgendwelchen Marketing-Executives irgendwo anders entschieden werden. Das sind zwar auch Gemeinsamkeiten, aber man muss sich fragen: Was tun die mit uns? Und das ist wahrscheinlich was anderes.
Das Gespräch führte Ulrich Kühn.
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