Rassismusvorwurf gegen "Tauben im Gras": Streit um Abi-Lektüre
Der Roman "Tauben im Gras" von Wolfgang Koeppen soll im nächsten Jahr Abi-Pflichtlektüre an beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg werden. Wegen rassistischer Sprache regt sich dagegen Protest. Die Petition einer Deutschlehrerin aus Ulm hat die Debatte losgetreten.
Wolfgang Koeppen erzählt im Roman "Tauben im Gras" vom Leben in einer bayrischen Großstadt unter amerikanischer Besatzung. Dabei fällt als Bezeichnung dunkelhäutiger US-Soldaten immer wieder das N-Wort. Die Deutschlehrerin Jasmin Blunt aus Ulm hatte sich geweigert, den Roman im Unterricht zu besprechen und eine Petition gestartet, nach der "Tauben im Gras" nicht als Pflichtlektüre für das Abitur eingesetzt werden soll. Das Buch sei wegen seiner rassistischen Sprache nicht für den Unterricht geeignet.
Mehr als 7.300 Menschen haben Petition unterschrieben
Blunt war schockiert, als sie das Buch zum ersten Mal aufschlug. "Seite für Seite für Seite stand da das N-Wort - es war einer der schlimmsten Tage meines Lebens", sagt sie. "Ich bin sofort in Tränen ausgebrochen, weil ich wusste, ich kann mich nicht mit dieser Situation konfrontieren." Die Lehrerin wird in ihrer Position unterstützt. Mehr als 7.300 Menschen, darunter Kulturschaffende und Lehrkräfte, haben bis Dienstagmittag die Petition unterschrieben.
Deutlich machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt
Die Kultusministerin Theresa Schopper aus Baden-Württemberg will an dem Roman als Pflichtlektüre festhalten. "Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er-Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig", so die Grünen-Politikerin. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagt, es sei entscheidend, mit welcher Grundhaltung man an den Text gehe. Man müsse den Text historisch einordnen. Was passiere dann am Ende mit der Bibel? "Alles nur vom Jägersitz des 21. Jahrhunderts mit dem Fernglas anzugucken, das kann nur in die Irre führen", so Kretschmann.
Verlagsvertreter: Problem wird nicht durch Verbannen gelöst
Jonathan Landgrebe vom Suhrkamp Verlag, in dem das Buch erscheint, warnt: "Einfache Lösungen in dieser Angelegenheit, da bin ich überzeugt von, sind immer das Falsche", sagt er. "Das Problem wird nicht dadurch gelöst, dass man Bücher verbannt, im Gegenteil. Ich denke, dass es primäre Aufgabe ist im Zuge der Bildung, dass die Ausbildenden und im Zweifel die Bildungspolitik sich darüber klar werden, in welcher Form sie Dinge vermitteln will und was sie dazu braucht."
Es gebe auch andere Werke, anhand derer Rassismus aufgearbeitet werden könne, sagt dazu Blunt. Um die 100 Mal komme das N-Wort im Buch vor. Auch Schülerinnen und Schüler, die das im Unterricht besprechen und vorlesen müssten, würden dadurch immer wieder rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Kulturministerin Schopper geht laut epd davon aus, dass "Tauben im Gras" weitere Jahre von Abi-Jahrgängen gelesen werde. Angesichts der aufwendigen Vorbereitungen der Lehrkräfte, sei es nicht so einfach, den Roman kurzfristig zu ersetzen.
Der Roman ist mehr als 70 Jahre alt
Eckhard Schumacher von der Universität Greifswald ist Leiter des Wolfgang-Koeppen-Archivs. Er kann beide Seiten des Konfliktes verstehen: "Der Roman ist mehr als 70 Jahre alt. Er arbeitet mit Sprechweisen der Nachkriegszeit und bildet so die Figuren ab." Die Sprechweisen seien rassistisch, nicht der Roman selbst, erklärt er. "Deshalb zu sagen: 'Der Roman ist doch antirassistisch' greift aber auch zu kurz. Der Roman reproduziert den Rassismus und das kann verletzend sein - damals wie heute."
Mit welchen Werken Rassismus aufarbeiten?
Kultusministerin Theresa Schopper findet es ebenfalls wichtig, das Werk einzuordnen. Die rassistische Sprache müsse zum Thema gemacht werden. Deshalb unterstütze sie die Lehrkräfte mit Fortbildungen und Materialien. "Es gibt auch andere Werke, mit denen man wahnsinnig gut Rassismus aufarbeiten kann, ohne dass man eine Gruppe dehumanisiert", sagt die Ulmer Lehrerin Jasmin Blunt dem ZDF. Laut Medienberichten hat sie sich wegen der Pflichtlektüre für das nächste Schuljahr beurlauben lassen. "Ich bedauere sehr, dass sie diese Konsequenz gezogen hat", sagte Schopper.
Eckhard Schumacher sagt, man müsse darüber diskutieren, wie man mit Literatur umgeht, die versucht, Sprechweisen einer Zeit abzubilden. "Wie liest man so etwas. Das muss der Anspruch der Schule sein, damit auch umgehen zu können." Das könne man machen, es müsse aber eingebettet sein. Ihm zeige die Diskussion, "dass da ein Problem sitzt, das bearbeitet werden muss."