Helga Schubert wird 85: "Es geht darum, dass die Form stimmt"
Mit 80 wurde Helga Schubert als Schriftstellerin neu entdeckt. Seitdem sammelt sie Preise und Auszeichnungen. Nun feierte sie ihren 85. Geburtstag. Was hält das Jahr sonst noch bereit?
Was für ein Jahr für Helga Schubert. Zuerst kommt ein Dokumentarfilm mit dem Titel "Sonntagskind" über die Schriftstellerin in die Kinos. Dann wird die Autorin mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande sowie dem Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet. Das war 2024. Und 2025? Da arbeitet Schubert an ihrem neuesten Buch.
Helga Schubert: Für wie viele Bücher bleibt noch Zeit?
"Da steht das Teufelchen in der Ecke und sagt dir, du musst schnell machen." So verschmitzt reagierte Helga Schubert am Telefon vor wenigen Tagen auf die Frage, ob ihr neues Buch tatsächlich in diesem Jahr erscheint. Und dieses Teufelchen hat irgendwie auch mit dem Alter von Helga Schubert zu tun, die nun 85 Jahre alt wird. Für wie viele Bücher bleiben ihr noch Zeit, fragt sich die Schriftstellerin, die aktuell ein Buch über ihre beiden Großmütter schreibt:
"Arbeitstitel ist 'Clärchen und Wilhelmine'. Jetzt dachte ich immer, ich musste der anderen Zarten irgendwie Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber die andere drängt sich total auf, wie auch in mein Leben. Nun weiß ich nicht, ob ich das im Buch auch erlaube", berichtet Schubert über die Beschäftigung mit ihren Großmüttern.
"Ich bin im Anfang, aber ich schreibe sehr schnell, manchmal zehn Seiten am Tag, und zwar in der Nacht immer. Für mich geht es darum, dass die Form ganz genau stimmt. Eigentlich ist es eine deutsche Geschichte über mehr als 100 Jahre." Ende Januar bekommt Helga Schubert dann wieder Besuch. Ihre Verlegerin beim Deutschen Taschenbuch Verlag, Barbara Laugwitz, möchte sich ein persönliches Bild vom Werden des neuen Textes machen.
Mit 80 Jahren wiederentdeckt
Dass eine Schriftstellerin mit 80 wieder oder gar neu entdeckt wird, kommt äußerst selten vor. Helga Schubert gelang das im Juni 2020 mit dem Text "Vom Aufstehen", für den sie den Bachmann-Preis erhielt. "Ich hatte eigentlich resigniert. Ich habe gedacht, mein Leben als Schriftstellerin ist zu Ende", berichtet Schubert. "Und plötzlich, mit 80 Jahren, werde ich ins Schloss Elmau eingeladen und zur Wiener Buchwoche. Am Anfang, da hab ich immer gedacht, ich bin exotisch, weil ich in Mecklenburg bin, weil ich 80 bin. Und weil ich eben vor 40 Jahren schon mal zum Bachmann-Wettbewerb eingeladen war - und nun darf ich. Damals durfte ich nicht. Aber inzwischen merke ich mit der größten Überraschung zunehmend, dass die Leute sich für meine Literatur interessieren, sagt Helga Schubert in dem Dokumentarfilm "Sonntagskind", der in der ARD Mediathek abrufbar ist.
Vor dem Ingeborg-Bachmann-Preis war die Autorin natürlich nicht verschwunden, aber als Schriftstellerin wurde sie rund zwei Jahrzehnte lang über den Familien- und Freundeskreis hinaus kaum wahrgenommen. Dabei schrieb Helga Schubert eigentlich immer. Ihr Mann, der Maler Johannes Helm, gab die Impulse, denn seit 2008 stellte Helm in ihrem Haus in Neu Meteln bei Schwerin immer wieder seine Bilder aus:
"Wir haben dort 130 Bilderwechsel gemacht. Das hatte zur Folge, dass auch sehr viele Menschen zu uns gekommen sind", so Schubert. Es hatte eigentlich zwei Folgen: "Die erste Folge war, dass er sich immer ein Thema ausgedacht hat und dann sagte: Kannst du vielleicht ein bisschen was dazu sagen? Da habe ich mich natürlich berufen gefühlt, eine Geschichte dazu zu schreiben. Als dann der Bachmann-Preis kam und der Verlag sagte: Wir könnten eigentlich, wenn Sie noch ein bisschen mehr davon haben, auch ein Buch machen. Da hatte ich die ganzen Erzählungen schon da, weil er sich ja die Themen immer ausgedacht hatte und ich diese Erzählung hatte. Dadurch kam das Buch 'Vom Aufstehen' zustande."
Erster Preis für DEFA-Film "Die Beunruhigung"
1940 in Berlin geborenen, studierte Helga Schubert zunächst Psychologie, arbeitete bis 1977 hauptberuflich als Psychologin. Ihr erstes Buch "Lauter Leben" erschien 1975 im Berliner Aufbau-Verlag. Ihren ersten Preis erhielt Helga Schubert 1982 auf dem Nationalen Spielfilmfestival der DDR für das Drehbuch zum DEFA-Film "Die Beunruhigung". Christine Schorn spielt eine Frau, die mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert wird. Helga Schubert verarbeitet in diesem Drehbuch eigene Erfahrungen mit der Krankheit.
Überwacht von der Staatssicherheit konnte Helga Schubert bis zum Ende der DDR einige Arbeiten im Osten, manche nur im Westen veröffentlichen. Und es gab Texte, die waren für bestimmte Zuhörer geschrieben, wie dieser mit dem Titel "Der Untertan und seine Herrscher", gedacht für Pastoren, die Studentengemeinden in der DDR Kulturangebote unterbreiteten:
Auf den alten Herrscher folgt immer der neue Herrscher. Aber der Untertan bleibt. Ist der Untertan dem neuen Herrscher nicht ergeben, bestraft ihn der neue Herrscher. War der Untertan dem alten Herrscher allzu ergeben, womöglich ein Zuträger und Spitzel, bestraft ihn der neue Herrscher auch. Aus diesem Grund versucht sich der Untertan mit dem Herrscher gutzustellen, der gerade herrscht. Obwohl dessen Herrschaft nicht von Dauer sein wird, will der Untertan die Vorteile der Übereinstimmung genießen. Weil er aus Erfahrung weiß, dass der nächste Herrscher alles übertüncht, was sein Vorgänger vermeintlich für ewig an die Wände der Geschichte malte, lebt der Untertan in einer doppelten Welt, in der Äußeren von heute und in der Inneren von gestern und morgen. "Der Untertan und seine Herrscher" von Helga Schubert
Helga Schubert las diesen Text von 1987 bei der Verleihung des Landeskulturpreises im vergangenen November im Schweriner Schloss. Zugleich Sitz der heutigen, demokratisch gewählten politische Verantwortlichen in Mecklenburg-Vorpommern.