"Die Kunst des Loslassens": Wege zu einem glücklichen Leben
Warum sind wir so unglücklich? Brauchen wir wieder Unterricht für ein glückliches Leben? Wie wir unser Glück selbst beeinflussen können, verrät der Philosoph Albert Kitzler im Podcasts Tee mit Warum.
Die Deutschen werden immer unglücklicher. Das jedenfalls sagen der jährlich erscheinende World Happiness Report und andere Studien. Woran liegt das? Und können wir vielleicht selbst dafür sorgen, dass wir ein glückliches Leben führen? Darauf hat der Philosoph Albert Kitzler zum Teil ganz praktische Antworten, die er oft in der antiken Philosophie findet. Nach Jahren als Medienanwalt und Filmproduzent hat sich Kitzler seit vielen Jahren der Philosophie verschrieben, ist Autor zahlreicher Bücher und Host des Podcasts "Der Pudel und der Kern". Einen Auszug des Gesprächs lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.
Wenn Zufälle oder Schicksalsschläge im Leben eintreten, fällt es uns schwerer, Glück zu empfinden. Was sagen wir den Menschen, die einen großen Schicksalsschlag ertragen haben, wie sie wieder glücklich werden können?
Albert Kitzler: In dem Moment ist es sehr schwierig. In der praktischen Philosophie, der Weisheitslehre, geht es vor allen Dingen um Prophylaxe. Sie müssen sich von vornherein darauf eingestellt haben, dass Sie in diesem Leben leiden werden. Dass Sie auch Schicksalsschläge erleiden werden. Auf was Sie vorbereitet sind, trifft Sie weniger hart. Buddha hat das die fünf Gewissheiten genannt. Es ist gewiss, dass wir krank werden. Es ist gewiss, dass wir alt werden. Es ist gewiss, dass wir sterben werden. Und es ist genauso gewiss, dass geliebte Menschen von uns gehen, dass wir Dinge verlieren und gewinnen und dass alles im Wandel ist.
Wenn Sie dich darauf mental gut eingestellt haben, dann haben Sie die große Kunst des Loslassens gelernt. Dann werden sie über jeden Schicksalsschlag hinwegkommen. Sie werden eine gewisse Zeit traurig sein. Sie werden auch leiden. Dem können sie nicht ausweichen, aber sie werden diese Kraft oder diese Energie, die darin steckt, in etwas Positives verwandeln können. Darum geht es.
Wenn wir immer im Kopf haben, wir werden sterben, wir werden unsere Liebe verlieren: Trauen wir uns dann überhaupt noch, uns zu verlieben? Können wir dann wirklich ein glückliches Leben führen?
Kitzler: Es ist alles eine Frage von Maß und Mitte. Wenn sie sich mental darauf einstellen, dass sich irgendeine Hoffnung nicht erfüllt, ist das das eine. Aber die Hoffnung zu hegen oder sich daran zu erfreuen - die Vorfreude ist auch etwas sehr, sehr Schönes. Aber Sie müssen sie so zügeln, dass Sie nicht enttäuscht und frustriert sind, wenn es nicht eintrifft. Seneca empfahl deshalb, sich bei jedem Unternehmen zu sagen: "Wenn nichts dazwischen kommt." Aber im Übrigen sollten Sie sich darauf freuen und sollten Sie auch das Leben genießen.
Sie müssen die richtige Balance finden zwischen der Offenheit oder der Bereitschaft, dass sich eine Hoffnung auch nicht erfüllt und der Freude daran, an seinem Leben zu arbeiten. Das können Sie dadurch erreichen, indem Sie sich weniger an dem Ziel orientieren, sondern an dem Weg. Das heißt, dass Sie den Lebensvollzug als solchen genießen, wissend, dass einiges von dem, was sie pflanzen, aufblühen wird, sich erfüllen wird, anderes eben nicht. Das werden Sie dann gelassen ertragen. Und Sie werden sich an allen Dingen auch erfreuen.
Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen braucht es denn, um Glück zu empfinden? Also zugespitzt gefragt: Können wir auch in der unterdrückenden Diktatur glücklich sein?
Kitzler: Man kann in allen Umständen, solange man noch lebt, Momente des Glücks empfinden und herstellen. Solange man noch eine Wahl hat - darauf hat Viktor Frankl hingewiesen - kann man sich für das Gute und das Richtige entscheiden und darin eine Art von Glück oder Befriedigung oder Erfüllung empfinden, selbst wenn die äußeren Bedingungen außerordentlich schwierig, hart und leidvoll sind. Viktor Frankl sprach aus eigener Erfahrung. Er war im Konzentrationslager, ist da fast umgekommen und hat dort seine ganze Familie verloren.
Wenn so ein Mensch, der das alles durchgemacht hat, sagt, er habe auch unter den schlimmsten Umständen immer noch den Glauben und die Hoffnung an seine Bestimmung, an seine Existenz. Deshalb ich sage immer: Auch unter den ärmlichsten Hütten gibt es Gesten und Verhaltensweisen der Mitmenschlichkeit, der Liebe, des Geliebtwerdens. Das kann von solchen Menschen durchaus als Glück empfunden werden.
Du hast darauf hingewiesen, dass es auch unter den schrecklichsten Bedingungen möglich ist, zumindest Momente des Glücks zu empfinden. Ist das persönliche Glück gänzlich unabhängig von Gesellschaft? Oder wie ist dieses Verhältnis zwischen Gesellschaft und dem Einzelnen zu bestimmen?
Kitzler: Nein, es ist überhaupt nicht unabhängig davon. Man kann nur glücklich werden in der Gemeinschaft. Seneca sagte das. Du kannst nur glücklich werden, wenn du andere Menschen glücklich machst. Ohne gute zwischenmenschliche Beziehungen, ohne positive, nährende Resonanzachsen zu anderen Menschen ist ein glückliches Leben schlechthin nicht möglich. In der Arbeit für die anderen, im sozialen Leben erst vollendet sich die eigene Bestimmung und erfüllt sich die Vorstellung von Glück, die man haben kann oder kann sich erfüllen.
Ist das denn auch schon deine Antwort auf unsere Frage, die wir uns heute stellen? Warum sind wir so unglücklich? Weil wir es verlernt haben, Gemeinschaft zu leben? Oder welche Erklärungen hat du dafür, dass wir anscheinend immer unglücklicher werden?
Kitzler: Das sind schwierige Fragen. In jeder geschichtlichen Epoche hatten die Menschen mit schwierigen Umständen zu kämpfen. Waren Sie mal mehr oder weniger glücklich? Ich denke, ich habe da er eine zyklische Geschichtsauffassung wie die Chinesen. Alles wiederholt sich, Unglück, Glück. Es gibt immer auch glückliche Menschen. Vielleicht ist es im Moment in unserer jetzigen geschichtlichen Situation besonders schwierig, angesichts der starken Präsenz materieller Werte im Denken, im Handeln und im ganzen Wirtschafts- und politischen System. Möglicherweise geraten da zwischenmenschliche Werte, die so unglaublich wichtig sind, um ein glückliches Leben zu führen, ins Hintertreffen.
Es gibt keine Werbeindustrie für sie. Es gibt nicht mal einen Unterricht im guten Leben. Es gibt in Schulen und Universitäten Unterricht in allem, aber wie man ein glückliches Leben führt, wird dort nicht geleert. Wenn das so ist, muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen größere Schwierigkeiten damit haben, ein glückliches Leben zu führen. Als die humanistische Bildung anfing, im Anfang der Renaissance - Petrarca, Salutati - da war die Persönlichkeitsentwicklung das Wichtigste der Bildung und an zweiter Stelle die Wissensvermittlung.
Heute ist die Wissensvermittlung an erster Stelle und die Persönlichkeitsentwicklung ist überhaupt kein Gegenstand der Schule mehr, etwas grob gesagt. Ab und zu gibt es noch Religion oder Ethik als Pflichtfach. Aber eigentlich wird es stiefmütterlich behandelt, bis hin zu den Universitäten. Man muss sich selbst darum kümmern. Wenn wir in diesem schwierigen Fach des guten Lebens nicht ausgebildet werden, muss man sich nicht wundern, dass viele Menschen damit Schwierigkeiten haben.
Die Fragen stellten Denise M'Baye und Sebastian Friedrich. Das ganze Gespräch hören Sie im Philosophie-Podcast Tee mit Warum.