Buchpreiswürdig: Die Zeichnerin Anke Feuchtenberger
Anke Feuchtenberger ist etwas Besonderes in der deutschen Comic-Branche. Seit mehr als 25 Jahren unterrichtet sie in Hamburg graphisches Erzählen - was einer Comic-Professur entspricht. Für ihr Buch "Genossin Kuckuck" ist sie für den Preis der Leipziger Buchmesse 2024 nominiert.
"Ich hab eine Menge Kraft," sagt Anke Feuchtenberger, "das weiß ich. Man braucht vermutlich auch eine Menge Kraft dazu, und dann hat es aber auch einfach sehr viele Jahre gebraucht." Genauer gesagt: mehr als ein Jahrzehnt. Eine Menge Zeit, doch die war natürlich hauptsächlich mit ihrer Professur an der Hochschule für angewandte Wissenschaft in Hamburg gefüllt. Zudem gab es verlockende Projekte, wie zum Beispiel der Altar für das Landesmuseum in Münster. Das Projekt Buch atmete aber immer nebenbei weiter. "Ich bin jeden Morgen in den Wald gegangen und hatte immer das Gefühl, da entsteht das alles," so Feuchtenberger.
"Genossin Kuckuck" handelt vom Erinnern
Am Ende wurden es fast 500 Seiten und etwa 800 Zeichnungen. "Da hatte ich das Gefühl, dass der Wald mir immer den Zusammenhang gibt - so eine Art Raum, wo alles stattfinden kann und auch sehr kritisch ist," reflektiert die Illustratorin über den Arbeitsprozess. "Ich habe genau gefühlt, wann es nicht stimmt und wann ich dann einfach nochmal eine andere Zeichnung oder einen anderen Text schreiben muss."
"Genossin Kuckuck" heißt das Buch. Es handelt vom Erinnern an die DDR-Zeit, von der Suche und dem Finden der Bedeutung des Wortes "Heim" mit all seinen Facetten. Zudem handelt es von Fragen wie: Wer bin ich? Was macht mich zu dem, was ich geworden bin?
"Eine erfundene Geschichte, die wahr ist"
Das Ganze erzählt Anke Feuchtenberger nicht linear. In den mit Bleistift und Kohle gezeichneten Bildern wird es autobiografisch, poetisch und teilweise surreal - auch wenn eine tiefere Bedeutung dahinter steckt. Zum Beispiel wenn kleine Heinzelmännchen Volkseigentum in Form von Kachelöfen aus einer Handtasche klauen, was die Zeichnerin an die Wendezeit erinnert hat. "Ich habe keinen Anspruch dokumentarisch zu sein", so Anke Feuchtenberger, "überhaupt nicht. Das ist eine völlig erfundene Geschichte, die wahr ist."
Feuchtenbergers Markenzeichen: Die Zeichnungen entwickeln die Story
All das entwickelt Anke Feuchtenberger nicht vorab am Storyboard, in unzähligen Vorskizzen. Die inzwischen 60-Jährige lässt es einfach laufen. Schritt für Schritt. Zeichnung für Zeichnung. "Dieses Experiment, aus der Zeichnung die Geschichte zu entwickeln, die mute ich natürlich den Leserinnen auch zu. Es ist ein bisschen der Versuch, dem Raum zu geben, nicht zu erklären - ich kann es mir auch nicht erklären."
Der Prozess des Arbeitens ist bei ihr ein besonderer, ja fast schon ein einmaliger in der Branche. "Ich radiere auch viel weg," beschreibt Feuchtenberger ihre Werke. "Weil ich eben keine Skizzen mache, arbeite ich direkt an der Zeichnung. Die Zeichnung entwickelt Schichten. Manchmal ist da eine komplett radierte Zeichnung darunter, die ich dann nochmals neu drauf setze. Das weiß nur ich, aber für den Prozess ist es für mich wichtig zu wissen, was darunter ist."
Der Zeichnung Raum lassen - das ist ein Markenzeichen von Anke Feuchtenberger. In den vergangenen 26 Jahren als Professorin hat diese Art des Unterrichtens viel Nachhall bei den Absolventen hinterlassen und die erzählerische Form in Deutschland geprägt. Denn bei dieser Arbeit entwickelt sich eigenständiges Denken, Sehen und Erinnern.
Am schönsten ist, wenn jemand noch mal reinschaut
"Genossin Kuckuck" ist keine gängige Graphic Novel. Es ist ein Universum, dass in seiner Poetik an Wim Wenders Filme erinnert und in seiner Vielschichtigkeit an Bücher von Christa Wolf. Anke Feuchtenberger schafft es, Zeit zu dehnen, sie durch neue, andere Augen sehen zu können. "Das Allerschönste wäre, wenn sie es mal wieder aufschlagen, oder nochmal reingucken. Das würde mich sehr freuen", wünscht sich die Zeichnerin. "Nicht einfach nur so ein Durchblättern, was mir selber auch passiert, wo ich immer ein bisschen enttäuscht bin. Wo ich denke: ja, da guck ich nicht noch mal rein. Das wäre mein größter Wunsch."