"Berlin, Miami": Philosoph Bajohr findet eigenen KI-Roman "saugut"
Hannes Bajohr spricht beim Bücherpodcast eat.READ.sleep über einen Roman, den Künstliche Intelligenz geschrieben hat. "Berlin, Miami" sei keine normale Erzählung, aber an vielen Stellen "irre witzig". Ein Gespräch.
Viele Leute experimentieren gerade mit Künstlicher Intelligenz (KI). Im Bücherpodcast eat.READ.sleep sprechen die Hosts Daniel Kaiser und Jan Ehlert über einen Roman, den sie gelesen haben: "Berlin, Miami". Der Autor, Literaturwissenschaftler und Philosoph Hannes Bajohr hat diesen Roman auf Grundlage von vier anderen Romanen von der KI schreiben lassen. Bajohr, ein gebürtiger Berliner, der in Basel lebt, hat sich in seiner Forschung mit dem automatischen Schreiben und dem digitalen Schreiben auseinandergesetzt. Ein Gespräch über Dada, (Wort-)Witz, fehlende kausale Zusammenhänge in der Künstlichen Intelligenz und über "Kieferlinge" und "Teichenköpfe".
"Selbst die KI scheitert an der KI"
"Es ist mir, glaube ich, noch nie so schwergefallen, den Plot zusammenzufassen. Kannst du?", fragt Jan Ehlert. Sein Gegenüber, Daniel Kaiser, findet, es sei ein "schräges Buch" dabei herausgekommen. Ehlert erzählt, dass ein Kollege vom Deutschlandfunk eine KI gebeten hat, dieses Buch zusammenzufassen, und die KI habe geantwortet: "das ist nicht möglich". "Das Buch ist nicht zugänglich, also selbst die KI scheitert an der KI", so Ehlert.
Der Inhalt: Der Roman spielt in einer Welt, wo ein Programmierer versucht, sich zurechtzufinden. Der hat die Aufgabe, Listen daraufhin zu prüfen, wer tot ist und wer nicht - eine verantwortungsvolle Aufgabe. Die Handlung ist nicht so wichtig, meint Ehlert. "Das Wichtige hierbei ist die Sprache und der Versuch in der Sprache. Ich bin immer wieder über Formulierungen gestolpert, die sich dann einprägen, an denen ich hängen geblieben bin."
Seit meinem letzten Urlaub, vielleicht fünf Jahre her, wohne ich wieder in Miami. Das ist ein beispielloser Ort. Man ist ein Hähnchen in einem Zentimeterwärmer, ein Raubtier in einem Riesen-Tierpark, der den Inselstaat Okeanos-Jamaika besetzt, und in diesem Park wohnt der größte Raubtieranbieter der Welt. "Miami, Berlin", Seite 11
"Es ist schon Dada", meint Kaiser. "Wenn man einmal in diesen Sound sich fallen lässt und alles ausschaltet, alle Synapsen weglässt und sich sozusagen nur im Rausch von Sprache und Assoziationen wiederfinden möchte, dann kann das ein Erlebnis sein." Das sei tatsächlich der Sinn des automatischen Schreibens, so Ehlert. Er zitiert einen passenden eat.READ.sleep-Satz, den Ramona, die Chefin des Programmierers erzählt. Das habe ihn angesprochen, so Ehlert.
"Ich habe die ganzen bösen Gedanken, die ich wegen meinem Essen hatte, verschlafen und alle Sorgen, die ich wegen meinem Job hatte, wieder gegessen." Ramona spricht in "Berlin, Miami"
Hannes Bajohr: Worum geht es eigentlich im Roman "Berlin, Miami". Wir sind nicht so richtig weitergekommen. Wie wäre hier eine Inhaltsangabe?
Hannes Bajohr: Es ist sehr schwierig, wirklich zu sagen, worum es geht. Es ist aber auch gleichzeitig der Witz. Ich könnte es probieren. Es geht in "Berlin, Miami" allgemein um eine dystopische Vision der Stadt Miami und der Stadt Berlin. Es geht um vier, fünf Figuren, die sich in diesem Raum aufhalten, der irgendwie von einer mysteriösen Behörde überwacht und kontrolliert wird, in der es die merkwürdige Äaa-Agentur gibt, und an der solche Wesen auftauchen, die nicht weiter beschrieben sind, aber Namen tragen, wie Kieferling und Teichenkopf. Das Problem ist, dass die Geschichte nie richtig in Gang kommt. Das liegt eben daran, dass das Ding mit einer KI generiert wurde.
Das heißt, du hast da auch nicht eingegriffen und gesagt, "also Moment mal, hier muss doch jetzt mal ein roter Faden rein, mal eine Logik aufgebaut werden?" Du warst da nur der Zuschauer?
Bajohr: Ich habe immer ein bisschen eingegriffen. Ganz ohne geht es nicht. Sonst ganz kommt das Ding textlich nicht voran. Man muss zum Beispiel einen Buchstaben eingeben, damit ein Satz vervollständigt wird, oder ein Anführungszeichen. Dann beginnt ein Dialog. So etwas habe ich gemacht. Sonst habe ich sehr, sehr wenig eingegriffen. Am Ende gab es noch einmal ein Lektorat, das ein paar grammatische Schnitzer entfernt hat.
Dein Name steht auf dem Cover. Wie viel steckt von dir im Buch?
Bajohr: Ja, das ist genau die Frage, die man da immer stellen kann. Die Idee ist, ich gebe die Parameter vor und halte mich dann aber zurück. Ich entwerfe das Konzept und lasse dann die KI machen.
Aber was war das Konzept? Hast du gesagt: Berlin, Miami, irgendetwas Dystopisches?
Bajohr: Nein. Ich habe ein freies GPT-Modell, also so etwas wie Chat-GPT, nur eben in eben Open-Source, genommen; es mit vier Gegenwartsroman gefüttert, die etwas mit der Literatur der digitalen Gegenwart zu tun haben. Dann habe ich es laufen lassen. Die Frage dabei war: Kann KI erzählen, also wie sähe ein KI generierter Roman aus? Wahrscheinlich ist er anders, als ein von Hand geschriebener. Aber wie anders?
Kann denn KI erzählen? Wenn man anfängt - und ich habe wirklich viel Surrealisten gelesen und viel Dadaisten. Und trotzdem steht man am Anfang davor und fragt sich "was passiert eigentlich? Ich steige nicht wirklich durch" ...
Bajohr: ... das ist auch das Ergebnis dieses Experiments. Also erst einmal: Ich habe den Roman jetzt dreimal gelesen, ich finde den auf eine Weise saugut, aber eben auf eine andere Weise, als ein normales Buch. Mir gefallen viele sprachliche Einfälle, die dann auftauchen, und es ist an vielen Stellen irre witzig. Aber es ist eben kein normaler Roman. Das heißt, es gibt keine normale Erzählung. Das liegt wahrscheinlich daran, dass KI an sich nicht wirklich erzählen kann, weil sie statistisch funktioniert. Das war auch Teil dieser Ausgangsfrage.
Es gibt den Literaturwissenschaftler Angus Fletcher, der sagt, KI könne prinzipiell nicht erzählen, weil es als statistische Maschine nur über Korrelation und nicht Kausalitäten funktioniert. Fletcher hat gesagt: Es kann immer nur 'und, und, und' aber nicht, 'weil, weil, weil'. Eine Erzählung ist eine Verknüpfung von "Weil"-Statements. Klassisches Beispiel ist: "Die Königin starb, und dann starb der König." Das ist noch keine Geschichte. Die Geschichte ist: "Die Königin starb, und dann starb der König aus Trauer."
Das heißt, die Autoren brauchen sich derzeit keine Gedanken machen, dass sie bald von KI ersetzt werden?
Bajohr: Die Frage, wer von KI ersetzt wird, ist sowieso eine falsch gestellte. Denn es geht nie darum, dass die KI etwas tut. Die KI tut selbst nichts. Sie tut immer nur etwas, wenn man ihr etwas sagt. Sie ist ein Instrument, kein Subjekt. Was man ersetzen kann, sind Aufgaben. Zum Beispiel viele Schreibaufgaben, die zum Beispiel im Werbebereich anfallen, Copywriting, die könnten teilweise automatisiert werden, weil die Arten dieser Texte relativ schematisch sind. Was Romane angeht, da bin ich mir nicht so sicher. Da würde ich eher sagen, es gibt so eine Art Assistenzfunktion.
Der Fortschritt ist nicht mehr nachzuverfolgen, so schnell geht das. Also sieht das nicht in 15 Jahren komplett anders aus?
Bajohr: Was in 15 Jahren ist, das ist heutzutage eigentlich nicht vorstellbar - so schnell war die Entwicklung in den letzten Jahren. Ich würde sagen: Wenn wir so etwas sehen, wie eine Automatisierung des Schreibens, dann eine, die diese Werkzeuge verbessert, die aber keine automatisch, von Grund auf generierten, Romane herstellt.
Was ich an dem Buch und an diesen Experimenten interessant finde, ist: Man lernt etwas über das technische Verfahren dieser KIs selbst. Also dass zum Beispiel so viele Neologismen dabei rauskommen, neue Wörter, die er sich auszudenken scheint. Es liegt einfach daran, dass die KI auf Silbenbasis funktioniert. Sie weiß, welche Silben normal sind und dass man sie kombinieren kann. So eine Endung wie -ling. Es gibt den Kiefer-ling. Das ist eine merkwürdige Figur, von dem man nicht so genau weiß, was sie eigentlich ist. Dass das eine Änderung von einem Nomen ist, weiß die KI und kann solche Wörter kreieren. Gleichzeitig ist so ein Begriff wie Kreativität auf eine Weise entzaubert, wenn es allein durch Kombination möglich ist, Neues zu schaffen.
Welche Reaktionen hast du auf dieses besondere Buch bekommen?
Bajohr: Es gab eine Reihe von Rezensionen, die waren teilweise wohlwollend, teilweise von Unverständnis gekennzeichnet. Was mich dabei wundert, ist, dass die Leute sehr schnell aufgeben, obwohl es doch eine sehr lange Tradition von Nonsens-Literatur gibt. Für einen surrealistischen Text ist das noch relativ verständlich. Man muss sich schon darauf einlassen, es ist ein experimenteller Text.
Man kann ihn vielleicht am Strand lesen, dazu müsste man ein bisschen besoffen sein. Dann würde es wahrscheinlich funktionieren. Eine andere Reaktion ist oft Lachen, weil das Ding an vielen Stellen absurd ist. Dadurch, dass Unvorhergesehenes passiert, ist das oft ein Trigger für Komik.
Das Gespräch führten die Podcasthosts Daniel Kaiser und Jan Ehlert in Folge 105 von eat.READ.sleep, dem Bücherpodcast.