"Wozu das alles?": Wie Sinn und Sicherheit zusammenhängen
Der Philosophie-Podcast Tee mit Warum beschäftigt sich mit dem Thema "Unsicherheit als Lebensgefühl". Der Philosoph Christian Uhle erklärt, wie die Sicherheit mit der Frage nach dem Sinn des Lebens zusammenhängt.
Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die Inflation stellen viele Sicherheiten infrage, die zuvor als feste Größe galten. Der Philosoph Christian Uhle veröffentlichte im vergangenen Jahr das Buch "Wozu das alles", in dem er fragt, worum es wirklich im Leben geht und was ein gutes Leben ausmacht. Im Gespräch mit den Podcast-Hosts Dennis M’Baye und Sebastian Friedrich erklärt er, was die Sicherheit mit der Sinnfrage zu tun hat.
Sicherheit ist das eine philosophische Frage?
Christian Uhle: Man kann sie philosophisch anschauen. Es gibt auch eine Art existenzielle Sicherheit. Ein Gefühl, in der Welt zu Hause zu sein. Sich im eigenen Dasein vertraut und sicher zu fühlen. Damit sind wir auf einer ganz existenziellen Ebene angelangt. Die Frage ist: Wie kann so etwas hergestellt werden und was erschüttert das?
Wieso warst du dir so sicher, diesen Fragen nachgehen zu wollen und ein Buch darüber zu schreiben?
Uhle: Die Sicherheit musste ich natürlich auch immer wieder neu erringen. Was mich da einfach getragen hat: Mit jeder neuen Beschäftigung mit diesem Thema haben sich immer wieder neue Räume eröffnet und ich habe immer wieder neue Facetten darin entdeckt. Am Anfang habe ich mich dem Thema auf einer klassischen philosophischen Ebene genähert. Die Gleichgültigkeit des Universums: Warum sind wir hier? Das sind auch heute noch Facetten, die stark in dem Buch drin sind. Aber es sind auch weitere dazugekommen, weil ich verstanden habe, dass Sinnzweifel nicht nur deshalb entstehen, weil Menschen in die Sterne gucken oder wegen der eigenen Vergänglichkeit, sondern mitten im Alltag: häufig am Arbeitsplatz.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Unsicherheit und der Sinnfrage? Stellen wir uns stärker die Sinnfrage, wenn wir in unsicheren Zeiten leben? Oder brauchen wir eine gewisse Sicherheit, um uns überhaupt die Sinnfrage stellen zu können?
Uhle: Da gibt es total ein Verhältnis. Eine Sache vorweg: Sinn ist kein Gefühl - im Gegensatz zum Beispiel zu Freude. Sinn ist eher der Boden, auf dem wir durch das Leben gehen. Wenn Sinn da ist, dann ist es etwas ganz Selbstverständliches, etwas ganz Alltägliches. Wir nehmen das eben kaum wahr. Wir denken auch nicht groß darüber nach. Wie häufig habt ihr heute schon über den Boden nachgedacht, auf dem ihr steht? Dass der so sicher ist und ihr nicht in die Erde fallt. Das ist kein Thema für uns. Erst wenn der Boden zu wanken beginnt, erst dann wenn Sinn brüchig wird, dann wird Sinn wirklich zum Thema. Dann spüren wir erst, was das eigentlich für eine wahnsinnige Bedeutung in unserem Leben hat.
Ist Sicherheit ein Gefühl?
Sicherheit gibt ein Gefühl, sich in der Welt sicher zu Hause zu fühlen. Das hängt damit zusammen, dass wir der Welt einen narrativen Sinn abgewinnen können. Narrativ kommt von Narration - also Geschichten. Das ist eine Art und Weise, die Welt zu deuten. Zum Beispiel dieses Ding, in das ihr gerade reinsprecht. Indem ihr das als Mikrofon versteht, auch wenn ihr vielleicht dieses konkrete Mikrofon noch nie vorher gesehen habt, könnt ihr das einordnen. Ihr fühlt euch zu Hause in dieser Situation, ihr wisst wie man damit umgeht. Ihr wisst: Da spreche ich rein.
Das ist kein merkwürdiger Gegenstand, der mich irritiert. Genau diese Deutung von Welt hat eine Doppelfunktion. Erstens eine praktische Funktion: Wir können etwas mit den Dingen anfangen, wir wissen, was wir mit einem Stuhl machen. Und zweitens: Eine emotionale Sicherheit. Das Gefühl, dass mir das alles nicht so fremd ist und mich nicht irritiert. Dieser narrative Sinn, der kann bröckeln. Wenn die Welt um uns herum Brüche bekommt, das kann auf einer weltpolitischen Bühne sein oder privat, weil eine Beziehung oder eine Freundschaft plötzlich gefährdet ist, dann verlieren wir zwar nicht unsere Sprache, aber ein Stück weit wird die Welt für uns unlesbar. Wie Blumenberg das bezeichnet. Sie beginnt, sich uns zu entziehen. In dem Moment ist natürlich auch die eigene Sicherheit ein Stück weit gefährdet. Dieser narrative Sinn ist etwas, das immer wieder neu errungen werden muss. Das ist nicht etwas, das wir einmal haben und dann bis zum Lebensende. Sondern etwas, das wir immer wieder neu erringen müssen.
Das ist alles relativ kopflastig, was ich sage. Wir sind sprachliche Wesen, wir sind Kopfwesen: Insofern brauchen wir auch diese Art von Sinn, aber wir sind auch körperliche Wesen. Das wird in der Philosophie ganz oft vergessen. Dass innere Sicherheit natürlich auch etwas damit zu tun hat, dass ich mich auch in meinem eigenen Körper sicher fühle. Von Harari stammt der sehr schöne Satz: 'Wer sich in seinem Körper nicht zu Hause fühlt, der wird sich auch in dieser Welt nirgends zu Hause fühlen'. Das lässt sich eben auch auf Sicherheit ummünzen. Insofern gibt es da verschiedene Ebenen, die zusammenspielen: eine kognitiv-intellektuelle Ebene und eine körperliche Ebene.
Das Gespräch führten Denise M’Baye und Sebastian Friedrich im neuen Philosophie-Podcast Tee mit Warum. Die ganze Folge zum Thema "Unsicherheit als Lebensgefühl" finden Sie in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.