"Sorge und Suppe" - Über das Älterwerden in der Kunst
Wie spricht man über das Älterwerden? Und ab wann gilt man überhaupt als "zu alt"? Diese Fragen bewegen Kunstschaffende ganz besonders. Raum für Austausch bietet das Netzwerkprojekt "Sorge und Suppe".
Während es an diesem Oktoberabend draußen herbstlich und kalt ist, leuchten im Kuppelsaal des Bürgertreffs Altona viele Kerzen. Die Tische sind zu einer langen Tafel zusammengeschoben. Es riecht nach Kürbissen, Lauchzwiebeln und frisch gebackenem Brot. Um "Sorge und Suppe" soll es heute Abend gehen - die Sorgen bringen Kunstschaffende mit - die Suppe gibt es von den Gastgeberinnen Anne Pretzsch und Lisa Florentine Schmalz.
Raum für Austausch und Netzwerk
Für Anne und Lisa, die selbst Künstlerinnen und Kuratorinnen sind, fehlte der Raum für den Austausch untereinander - vor allem in der freien Szene. Sie selbst hätten sich diesen Raum am Anfang ihrer Kunstlaufbahn gewünscht: "Wir hatten das Gefühl, dass es einen Raum braucht, in dem der Austausch über Fragen stattfindet, die auch persönlich sind, die nahe gehen und vielleicht nicht so Mainstream sind", so Lisa Florentine Schmalz. So entstand die Idee für "Sorge und Suppe" - eine Veranstaltungsreihe, die sich an Kunstschaffende und -interessierte richtet.
Und diese Impulse sind persönlich: So geht es etwa darum, wie es ist, wenn man plötzlich nach Schicksalsschlägen Angehörige pflegt und wie man das mit seiner Arbeit als Künstlerin verbinden kann. Die Theatherkünstlerin Tine Krieg fragt sich, mit welcher Brille man das Alter betrachtet, und meint das an diesem Abend buchstäblich. Sie hat eine Schachtel voller bunter Brillen dabei - diese zeigen verschiedenen Nuancen ihrer Sorgen.
Die Veranstaltung ist einfach strukturiert - nach vier kurzen Impulsvorträgen startet der Austausch in Kleingruppen. Dafür hat man genau zwei Stunden Zeit - die strenge Zeitvorgabe ist symbolisch - für die Zeit, die für den Diskurs oft fehlt.
Neuanfang in der Kunst - mit Ablaufdatum?
Gekommen sind etwa 20 Personen - sowohl junge als auch ältere. Und sofort wird intensiv diskutiert, denn das Thema "Altern in der Kunstszene" treibt viele um. Der Bedarf nach Austausch ist deutlich. Die Jüngeren in der Runde scheinen eine gemeinsame Sorge zu haben - Altersarmut und dass man in der Kunstszene schneller als in anderen Bereichen als "zu alt" gilt. Diese Erfahrung hat auch Betti Kruse gemacht.
Die 36-jährige Musikerin musste sich häufiger anhören, sie wäre zu alt, um neu anzufangen. Darin sieht sie eine Ungerechtigkeit: "Ich glaube, je älter man wird, desto mehr werden einem Chancen verwehrt, Dinge neu anzufangen und sich nochmal neu zu äußern, in welcher Kunstform auch immer. Was schade ist, weil das macht Kunst eigentlich aus - dass man ganz viele Dinge ausprobiert".
Älterwerden bereitet Jung und Alt Sorgen
Auch über Fürsorge, Sichtbarkeit und Zugänge zu Ressourcen in der Kunstszene wird an diesem Abend diskutiert. Für die freie Schauspielerin Katharina Oberlik ist neben der Frage "Für wen koche ich eigentlich eine Suppe, wenn ich alleinstehend und abseits der Stadt wohne" der Impuls gewesen, zu der Veranstaltung "Sorge und Suppe" zu kommen.
Die 56-jährige befasst sich in ihrer aktuellen Arbeit mit weiblichen Karrieren und findet gerade den intergenerationellen Austausch wichtig: "Es ist einfach Gold wert zu merken, dass hier die anderen Frauen über 50 sitzen, die genau die gleiche Thematik haben. Ich finde sie so spannend und würde so gern von ihnen mehr hören und sehen. Aber den Jungen geht es schon genauso".
Am Ende der zwei Stunden sind die Teller leer und die Papiertischdecke vollgekritzelt. Darauf zu lesen - "Wie sollen wir übers älter werden sprechen?", "Ist die Herausforderung teilbar?" und "Wer hört da noch zu?" Es sind viele Fragen offen, was nach dem Abend bleibt, ist jedoch das Gefühl - "Wir sind nicht alleine".
Die nächste Ausgabe von "Sorge und Suppe" soll voraussichtlich kommenden Mai stattfinden. Das Motto soll lauten - Barrieren abbauen. Gefördert wird das Projekt von der Claussen-Simon-Stiftung.