Rechtsextremismus unter Jugendlichen: "Die 90er sind zurück"
Der Musiker und Buchautor Hendrik Bolz geht in seinem Podcast "Springerstiefel" der Frage nach, warum der Rechtsextremismus unter jungen Menschen in den neuen Bundesländern so zugenommen hat.
In seinem Roman "Nullerjahre" erzählt Hendrik Bolz vom Aufwachsen im Plattenbauviertel "Knieper West" in Stralsund. Gerade ist die zweite Staffel des Podcasts "Springerstiefel" herausgekommen, den er zusammen mit dem Journalisten Don Pablo Mulumba macht.
Herr Bolz, der Untertitel des Podcasts lautet: "Die 90er sind zurück". Da kann man fragen: Waren die je weg, auch die Rechtsextremen? Oder waren nur die Springerstiefel weg, die gegen ein etwas bürgerlicheres Outfit getauscht wurden?
Hendrik Bolz: Ja, tatsächlich ist das auch eine Frage, der wir im Podcast nachgehen. In den letzten Monaten gab es vermehrt Meldungen von rechtsextremen Phänomenen in Ostdeutschland: die Schule in Burg, wo Hitlergrüße gezeigt wurden; die Schwarze Familie in Grevesmühlen, die angefeindet wurde; oder der Angriff auf Matthias Ecke in Dresden. Wir hatten uns gefragt: Moment mal, kriegt das gerade wieder so ein Momentum, was man aus den 90ern kennt? Die Personen, um die es da geht, waren sehr jung, und wir haben immer wieder von Personen vor Ort gehört, die nah dran sind, dass es sich schon so anfühlt, als wären die 90er zurück. Davon ausgehend haben wir auch erforscht, was eigentlich dazwischen los war. Das hat vor allem mein Kollege Don Pablo Mulumba gemacht: Er hat Leute getroffen, die auch die Zeit dazwischen als Opfer von rechter Gewalt erlebt haben.
Beim Christopher Street Day in Bautzen gab es einen Aufmarsch rechtsextremer Gruppen. Wie verbinden die sich? Wie sind die untereinander organisiert?
Bolz: Das kann ich gar nicht so konkret sagen. Was wir im Podcast herausgefunden haben, ist, dass die Corona-Zeit als Radikalisierungstreiber gewirkt hat. Wenn ich mir die Videos aus Bautzen angucke, sind auch dort die Personen auf der rechtsextremen Demo sehr jung. Das ist diese Generation, die von Schulschließungen betroffen war, von Veranstaltungen, die ausgefallen sind - gerade in der Jugendzeit, wo man Lust hat, rauszugehen und nicht nur zu Hause bei den Eltern zu hängen. Denen ging es echt schlecht. In Ostdeutschland ist es nun mal so, dass dort seit den 90ern rechtsextreme Strukturen ganz gut einwachsen konnten. Sie haben vielerorts Immobilien und Anlaufpunkte. Zur Corona-Zeit haben sie sich nicht perfekt an die Regeln gehalten und haben aufgehabt - da konnten sich Jugendliche aufhalten und sind so mit der Ideologie in Berührung gekommen. In dieser krisenhaften Zeit, wo es den Jugendlichen sehr schlecht ging, konnten die gut andocken. Ich fürchte, das Ergebnis sehen wir vielerorts jetzt.
Sie sprechen in Ihrem Podcast auch von den vielen Narben in Ostdeutschland. Welches ist die größte?
Bolz: Ich glaube, generell ist die größte Narbe nach wie vor die Nachwendezeit, in vielerlei Hinsicht. Zum einen die große Enttäuschung, was man sich vorher erhofft hat mit der DDR und gemerkt hat, dass es nicht so eingetreten ist. Aber auch die zweite große Enttäuschung, was den Einzug von Kapitalismus und Demokratie angeht: Für viele kam nicht der große Wohlstand wie im Westen, sondern erstmal Arbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und vor allem auch die Gewalt, die sich zwischen den Systemen ausbreiten konnte und die irritierend lange nicht richtig eingedämmt wurde. Viele Menschen waren auf dem Boden der BRD nicht geschützt vor rechter Gewalt: Sie wurden angegriffen oder sogar umgebracht. Dass das nicht richtig in der Breite aufgearbeitet wurde, spielt auch mit rein, dass wir heute diese Entwicklung sehen.
Viele sind besorgt, was die Landtagswahlen angeht; sie machen Wahlaufrufe oder warnen vor Demokratieverlust. Was ist Ihr Rezept: Wie erreicht man die Menschen?
Bolz: Ich glaube, so kurzfristig wird das schwer. Das ist eine Schieflage, die sich über viele Jahre so herausgebildet hat. Überall dort, wo sich andere Akteure zurückziehen, wo der Staat sich zurückzieht, wo Infrastruktur abgebaut wird, wo in einer Krise nicht so richtig auf junge Menschen geachtet wird: Überall da, wo so ein Vakuum entsteht, werden rechtsextreme Kräfte stark - auch bei Themen, auf die etablierte Parteien keine richtig guten, glaubhaften Antworten finden. Mein Rezept ist: Man muss sich bemühen, ein besseres Angebot zu machen, damit die Leute nicht in die Arme von rechtsextremen Parteien rennen.
Das Interview führte Philipp Schmid.