Pogromnacht: "'Nie wieder' darf nicht zu Phrase verkommen"
Nie wieder Antisemitismus: In der Lüneburger Leuphana Universität wurde am Donnerstag zur Gedenkfeier an die Reichspogromnacht am 9. November eingeladen. Prominente Gäste fanden eindringliche Worte.
Der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen hatte zur zentralen Gedenkfeier an die Reichspogromnacht am 9. November eingeladen - zum ersten Mal in das Audimax einer Universität. Ziel war es, auch junge Menschen an die Verbrechen der Nationalsozialisten zu erinnern.
Studierende zeigen jüdisches Leben vor der Pogromnacht
Der größte Hörsaal der Lüneburger Leuphana Uni ist gut besetzt, als die Gedenkfeier anlässlich des 9. Novembers beginnt. Auch einige Studierende sind in ihrer Freizeit gekommen. Dass sie in diesem Jahr Teil der zentralen Gedenkfeier in Niedersachsen sind, schätzt die Lüneburger Studentin Carlotta Eklöh wert: "Wir sind ja eine ehemalige Wehrmachtskaserne, auf der dieser Campus errichtet wurde. Umso wichtiger ist es, dass wir hier auch eingebunden werden."
Studierende zeigen an diesem Abend auch, wie das jüdische Leben in Lüneburg vor der Pogromnacht aussah. Geschichten müssen erzählt werden, um zu erinnern, sagt Lüneburgs Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch - und sie erzählt: die Geschichte der ersten Teilkapitulation Deutschlands 1945 passiert nicht weit weg vom Veranstaltungsort. "Damals lautete die Botschaft der Inschrift des Gedenksteins: nie wieder Krieg! Die Botschaft von heute hier aus Lüneburg: nie wieder Antisemitismus!", so Kalisch.
Daniel Libeskind: Angriff der Hamas läutete neues Zeitalter ein
85 Jahre liegt die Pogromnacht zurück. Mit ihr begannen die Nationalsozialisten, Juden in Deutschland systematisch zu vernichten. In diesem Jahr steht bei der Gedenkfeier an die Opfer des 9. November aber ein weiteres Datum im Mittelpunkt. Der 7. Oktober 2023.
Für den jüdischen Architekten Daniel Libeskind begann mit dem Angriff der Hamas auf Israel ein neues Zeitalter: "Zum ersten mal sind Juden wieder zum Töten freigegeben - überall in der Welt. Es ist nicht nur Antisemitismus es ist eine neue Art zukünftiger Angriffe. Umso wichtiger ist es, an die Konsequenzen des Hasses zu erinnern, sodass dieser nicht weiter wächst."
Libeskind hat das jüdische Museum in Berlin entworfen - und auch das Zentralgebäude der Leuphana Uni in Lüneburg, in welchem am Abend auch der Niedersächsische Kulturminister Falko Mohrs eine Rede hält. Gerade Deutschland habe eine Verantwortung gegenüber Juden, sagt Mohrs. "Nie wieder" dürfe nicht zu einer Phrase verkommen. Eine Gedenkfeier, bei der alle solidarisch zusammenstehen, sei aber wichtig.
Jüdische Kantoren setzen Zeichen gegen Antisemitismus
"Ich glaube, es ist wichtig, dass man eben genau auch diese Tage, diese Orte, hat, um zu spüren, wie viele Menschen hier solidarisch zusammenstehen", so Mohrs. Doch es sei eben auch klar, dass es über diese Gedenktage hinausgehen müsse. "Es reicht nicht, an diesen Tagen schöne Worte zu finden und immer wieder die gleichen. Sondern es ist unsere Verantwortung - jeden Tag. Es haben 1938 zu viele Menschen weg oder einfach nur zugeschaut - das darf uns nicht nochmal passieren."
Musikalisch setzten jüdische Kantoren bei der Gedenkfeier ein Zeichen gegen Antisemitismus. Sie sind aus der ganzen Welt zu einer Konferenz angereist. So gut wie alle haben Verwandte und Freunde in Israel und machen sich Sorgen. So auch Yoéd Sorek, Kantor der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover: "Es ist so wichtig, dass die Leute sehen, was Fremdenhass verursacht. Fremdenhass gegen Muslime, Juden, Christen, Gender, Farbe." Nach zwei Stunden ist die Gedenkfeier in Lüneburg beendet. Das Gedenken für viele aber noch lange nicht.