Igal Avidan: "Die Lösung des Konflikts kann nur politisch sein"
In seinem aktuellen Buch "… und es wurde Licht" erzählt Igal Avidan Geschichten von jüdischen und arabischen Israelis, die im Alltag zusammenleben. Am 12. Oktober war der israelische Autor im Jüdischen Museum Rendsburg zu Gast.
Seit Jahrzehnten ist Igal Avidan ein gefragter Nahostexperte. In seinem aktuellen Buch "... und es wurde Licht!" porträtiert er Menschen aus Israel - Juden und Araber - die in einer friedlichen und zugleich brüchigen Co-Existenz zusammenleben. Ein Buch, das Mut macht, weil es behauptet: Ein Miteinander dieser beiden Gruppen ist möglich! Schwer zu glauben, wenn man aktuell in den Nahen Osten guckt.
Herr Avidan, gibt es auch jetzt noch, nach dem Anschlag der Hamas, Menschen, die sich für ein Miteinander einsetzen?
Igal Avidan: Es gibt die, klar. Wenn ich einen Klassenkameraden nennen darf, den ehemaligen Vize-Generalstabschef Yair Golan, der sehr, sehr mutig in sein eigenes Auto eingestiegen ist, um einen Jugendlichen zu retten, der sich stundenlang verstecken musste vor der Hamas. Er hat vom Vater einen verzweifelten Anruf bekommen, hat gesagt: "Schickt mir die Koordinaten." Er ist hingefahren, und eine halbe Stunde später hat er gesagt: "Ich habe den Jungen in meinem Auto." Der ist auch jemand, der sagt: "Jetzt muss die Hamas zerschlagen werden." Aber sofort muss auch eine politische Lösung in die Wege geleitet werden. Denn die Lösung kann nur politisch sein.
Eine solche Bereitschaft zu einer politischen - also nicht allein militärischen Lösung - würde sich Avidan auch von der aktuellen israelischen Regierung wünschen. Doch diese Bereitschaft hat er in der Vergangenheit nie gesehen:
Avidan: Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass Israel - zumindest die Netanjahu-Regierung - ein großes Interesse hatte, die Hamas zu stürzen. Die Spaltung der Palästinenser zwischen Gaza und Westjordanland war der israelischen Regierung unter Netanjahu sehr bequem - nach dem Motto: Die Palästinenser sind gespalten, also können wir nicht mit einem Partner reden, und daher können wir nichts machen. Die Frage ist, wie lange man mit diesem Argument weiterhin Politik machen kann.
Jetzt droht ein furchtbarer Militäreinsatz, ein Krieg - und die Frage bleibt: Einer muss dann den ersten Schritt auf den anderen zumachen. Wer könnte das sein?
Avidan: Ich denke, der Stärkere muss den ersten Schritt machen. Eine freie demokratische Gesellschaft hat es leichter. Wenn ich erwarte, dass die Iraner jetzt die Regierung stürzen oder dass die Palästinenser demokratische Wahlen durchsetzen, dann ist es ziemlich illusorisch - beziehungsweise müssen die Menschen dann mit hartem Haftstrafen rechnen, wenn nicht mit einem Todesurteil. In Israel ist es trotz allem leichter, die Regierung demokratisch zu stürzen. Ich hoffe, dass das passiert - bald. Wir werden jetzt ein besonderes Kriegskabinett haben mit gemäßigten Politikern aus der Zentrumspartei. Wenn dieser Krieg vorbei ist, hoffentlich sobald wie möglich, werden wir sehen, wie die Israelis dann letztendlich abrechnen mit dieser Regierung.
Igal Avidan bleibt also kritisch gegenüber der eigenen israelischen Regierung. Er warnt beide Seiten, Israelis wie Palästinenser, eindringlich davor, nach den Mordtaten der Hamas und den Luftschlägen auf Gaza nur das eigene schwere Leid zu sehen - das blockiere eine Versöhnung.
Avidan: Ich glaube, dass diese Horrorbilder uns letztendlich ablenken von einer nüchternen Analyse der Situation, die eine vernünftige Lösung des Konfliktes herbeiführen könnte. Das ist kein Wettbewerb, wer mehr Opfer zählt - die Israelis oder die Palästinenser - oder wer mehr leidet. Da kommen wir nicht weiter. Irgendwann müssen wir nach vorne schauen und alles tun, damit so etwas nie wieder passiert. Und nicht noch mal schauen, wer wie viel gemacht hat - und ob tatsächlich alle Drahtzieher dieser schrecklichen, barbarischen Akte getötet werden. Was passiert dann? Wir müssen trotzdem irgendwelche vernünftigen Lösungen herbeiführen. Wir können nicht zwei Millionen Palästinenser in Gaza bestrafen oder verhungern lassen wegen dieser barbarischen Akte, die vielleicht manche von ihnen oder viele von ihnen gar nicht wollten. Denn niemand hat sie gefragt .
Ein ausführliches Interview mit Igal Avidan sehen Sie am Montag im NDR Fernsehen in der Sendung NDR Kultur - Das Journal, ab 22.45 Uhr: