KZ-Gedenkstätten: "Die Bedrohung von rechts wird spürbar"
Am 9. November 1938 brannten in Deutschland Einrichtungen und Geschäfte von Jüdinnen und Juden. Heute, 85 Jahre später, ist öffentliche Anfeidung wieder spürbar - etwa in den KZ-Gedenkstätten im Norden.
Ein kühler Herbstmorgen in der Gedenkstätte Neuengamme vor den Toren Hamburgs. Noch immer kommen viele Menschen hierher. Das Durchschnittsalter liegt bei Anfang 30, doch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme sieht sich einem Problem gegenüber. Anfeindungen und Angriffe von rechts nehmen zu.
"Es gibt eben den Vandalismus, der sich gegen Objekte oder materielle Hinterlassenschaften richtet", sagt Oliver von Wrochem, Leiter der Gedenkstätte Neuengamme. Es gebe Angriffe im Netz. Doch noch mehr Sorgen bereitet ihm ein neues Phänomen: "Es gibt zunehmend Besuche von Menschen mit rechtsextremem Hintergrund, die deutlich offener auftreten, als das noch vielleicht vor zehn Jahren der Fall war." Im Norden sei man zwar nicht so stark betroffen wie beispielsweise in Ostdeutschland, trotzdem werde die Bedrohung von rechts immer mehr spürbar.
Bergen-Belsen: Mehr Besucher mit rechtsextremem Gedankengut
In der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen in Niedersachsen stellt man ebenfalls fest, dass die Anfeindungen zunehmen. Auch hier gab es in den vergangenen zwei Jahren ungebetene Besucher mit rechtsextremem Gedankengut. "Das bekommt eine neue Qualität dadurch, dass Menschen, die gegen uns nicht einfach nur ignorieren, sondern auch ganz präsent und ganz öffentlich ihre Meinung kundtun", berichtet Stefanie Billib von der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Für Oliver von Wrochem lässt sich hier ganz klar ein Trend erkennen. Geschichtsrevisionistische bis rechtsextreme Positionen bekommen immer mehr Aufwind. Ein gesamtgesellschaftliches Problem, sagt von Wrochem, das mit dem Erstarken von rechtspopulistischen Parteien eng zusammenhängt.
"Man kann einerseits feststellen, dass es offener und unverblümter artikuliert wird. Aber was mir mehr Sorgen macht, ist, dass zunehmend Menschen in Deutschland offensichtlich diese Position nicht mehr verwerflich finden und Parteien wählen, die in ihren Reihen Rechtsextreme haben und das auch ganz offen thematisieren."
Die Grenzen des Sagbaren sind verschoben
Auch Stefanie Billib sagt, dass sich in der Gesellschaft insgesamt etwas verschoben habe, die Grenze des Sagbaren. Dadurch sei ein Raum entstanden, in dem sich Rechtsextreme immer sicherer fühlten und offensiver vorgehen. "Dinge, die früher selbstverständlich tabu waren, sind auf einmal sprechbar geworden. Und viele Menschen, glaube ich, trauen sich jetzt, so etwas zu äußern."
Jeder Angriff, ob Vandalismus oder Schmiererei im Gästebuch, wird von den KZ-Gedenkstätten angezeigt, denn sie wollen offensiv umgehen, mit den Anfeindungen und sich nicht einschüchtern lassen.
Erinnerungskultur muss selbstverständlich bleiben
Sie wünschen sich mehr Rückenwind aus Politik und Gesellschaft und ein klares Bekenntnis zur Bedeutung ihrer Arbeit.
"Diese politische Entwicklung in Deutschland macht uns aktuell Sorge, weil wir nicht sicher sind, das es weiterhin selbstverständlich ist, dass in dieser Form Erinnerungsarbeit und Gedenkarbeit in Deutschland geleistet wird", sagt Stefanie Billib. Die Erinnerung an NS-Verbrechen müsse weiterhin eine Selbstverständlichkeit sein.
Und ihr Kollege Oliver von Wrochem pflichtet ihr bei: "Es braucht auf jeden Fall die Einsicht in die Notwendigkeit, dass die Auseinandersetzung mit Rassismus, Gewalt, Antiziganismus, Antisemitismus und überhaupt Ausgrenzungsideologien aller Art eben kein Thema der Vergangenheit ist."