Niedersachsen gedenkt der Opfer der Novemberpogrome
Niedersachsen hat an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren erinnert. Im ganzen Land fanden Gedenkveranstaltungen statt. Allein in Hannover waren am 9. November 1938 hunderte Juden verschleppt worden.
Das niedersächsische Kulturministerium in Hannover entschied sich, Geschichte wieder sichtbar zu machen: An dem Gebäude war eine Projektion der Neuen Synagoge Hannover zu sehen, die die Nationalsozialisten während der Novemberpogrome angezündet, ausgeraubt und abgerissen hatten. Am Mahnmal im Stadtteil Calenberger Neustadt legten Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und Regionspräsident Steffen Krach (SPD) Kränze nieder. "An Tagen, an denen Jüdinnen und Juden in Israel massiv angegriffen, verschleppt und ermordet werden und auch in Deutschland mit dem Tode bedroht, erscheint die Vergangenheit besonders gegenwärtig", sagte Kulturminister Falko Mohrs (SPD). Es sei wichtig, an die Geschichte zu erinnern und ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus, gegen Hass, Hetze und Gewalt zu setzen.
Libeskind hielt Rede in Lüneburg
Mohrs sprach auch auf einer Gedenkfeier in der Leuphana Universität Lüneburg, bei der ein besonderer Gast geladen war: Daniel Libeskind. Nach dem renommierten jüdischen Architekten ist das Hauptgebäude der Uni benannt. Er hielt eine Rede in Erinnerung an die Reichspogromnacht. Libeskind hatte in früheren Jahren auch in Deutschland gelebt und gewirkt, wohnt mittlerweile in New York. Er war kurz nach dem Krieg in Polen zur Welt gekommen und lebte als Jugendlicher einige Jahre in Israel. Später entwarf er unter anderem das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück und das Jüdische Museum in Berlin sowie die ersten Pläne für das neue World Trade Center in New York. Neben ihm und Mohrs sprach auch Michael Fürst, Präsident des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, auf der Gedenkfeier.
OB Krogmann: Wichtig, Flagge zu zeigen
Oldenburg gedachte ebenfalls den Opfern des Nazi-Terrors: Zusammen mit der jüdischen Gemeinde lud die Stadt zu einem Gottesdienst in die Synagoge. Am Freitag soll ein "Erinnerungsgang" stattfinden. Teilnehmerinnen und Teilnehmer laufen jene Wege, auf denen Jüdinnen und Juden durch die Stadt getrieben worden waren. Am Mahnmal der zerstörten Synagoge soll dann das Kaddisch gesprochen werden, eines der wichtigsten Gebete im Judentum. Es sei wichtig Flagge zu zeigen und sich eindeutig gegen den Terror zu stellen, sagte Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (SPD), besonders angesichts des brutalen Angriffs der Terrororganisation Hamas auf Israel und den zahlreichen pro-palästinensischen Demonstrationen.
"Omas gegen rechts" halten Mahnwache
Auch anderswo in Niedersachsen wurde an die zahlreichen Opfer des 9. November 1938 gedacht: In Vechta lud die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit zu einem Gottesdienst mit anschließendem Schweigegang, in Braunschweig hielt Rabbiner Uri Themal aus der israelischen Partnerstadt Kiryat Tivon per Video-Schalte eine Rede, in Dannenberg (Landkreis Lüchow-Dannenberg) lud das Stadtarchiv zu einem Gedenkrundgang ein, in Buxtehude (Landkreis Stade) trafen sich die "Omas gegen rechts" zur Mahnwache vor dem Rathaus und die Stadt Soltau organisierte eine Gedenkstunde im Alten Rathaus. Die zahlreichen Gedenkfeiern standen unter besonderer Beobachtung der Sicherheitsbehörden.
Novemberpogrome gelten als Vorstufe zum Holocaust
Erinnert wurde an die brutalen Übergriffe auf Juden und Jüdinnen am 9. November 1938 und den folgenden Tagen. Damals hatten die Nationalsozialisten dazu aufgerufen, jüdische Geschäfte und Synagogen zu zerstören. Allein in Hannover wurden in der Nacht auf den 10. November mehrere Hundert Menschen verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. SA- und SS-Männer verwüsteten 94 jüdische Geschäfte sowie 27 Häuser und Wohnungen. Insgesamt wurden infolge des Novemberpogroms 1938 in ganz Deutschland mehr als 1.300 Menschen getötet, rund 30.000 Jüdinnen und Juden verhaftet oder in Konzentrationslager verschleppt. 1.406 Gottes- und Gemeindehäuser wurden zerstört, mehrere Tausend Geschäfte verwüstet. Die Novemberpogrome gelten als Vorstufe zum Holocaust.