Musizieren mit Hörschädigung: Ungewöhnliche Instrumente im Einsatz
Das Bundesjugendorchester (BJO) hat mit Jugendlichen mit Hörschädigung ein gemeinsames Projekt auf die Beine gestellt. Am 16. April gastiert das BJO mit dem Programm in Osnabrück und am 18. April in Lübeck. Ein Gespräch mit dem Dirigenten Christoph Altstaedt.
Das Bundesjugendorchester startet in diesen Tagen in eine besondere Arbeitsphase. Gemeinsam mit Jugendlichen des Bildungs- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte Stegen (BBZ) steht ein Projekt auf dem Programm, das sich mit Beethovens Taubheit auseinandersetzt. Die eigens dafür geschriebene Auftragskomposition "the weight of ash" verspricht ein außergewöhnliches Hörerlebnis. Das Programm richtet sich explizit an Hörende und Menschen mit eingeschränkter Hörwahrnehmung.
Was ist denn das Besondere an diesem Projekt?
Christoph Altstaedt: Das Bundesjugendorchester musiziert zum ersten Mal gemeinsam mit Jugendlichen, die eine Hörschädigung haben. Einige von ihnen haben eine frühkindliche Taubheit und haben deswegen ein Cochlea-Implantat bekommen. Das ist ein besonderes Implantat, was den Menschen ermöglicht, ein kaputtes Innenohr zu überbrücken und sozusagen den Sound von außen direkt mit elektronischen Impulsen ans Gehirn weiterzuleiten. Das Projekt war eigentlich für 2020 konzipiert - da sollte Beethovens 250. Geburtstag gefeiert werden. Beethoven hat im Heiligenstädter Testament beschrieben, wie er ertaubt und wie sehr ihn das mitnimmt - ihn plagen sogar Suizidgedanken. Er schildert in ergreifenden Worten, wie er unter dieser Ertaubung leidet - und zur gleichen Zeit schreibt er die Eroica. Das haben wir zum Anlass genommen, um ein Projekt gemeinsam mit Jugendlichen mit Hörschädigung aber auch für Menschen mit Hörschädigung zu konzipieren. Deswegen gibt es bei unseren Konzerten zum Beispiel auch eine gebärdensprachliche Performance, die das Heiligenstädter Testament auch nonverbal kommunizieren wird.
Hören die teilnehmenden Jugendlichen gar nicht oder eher schlecht?
Altstaedt: Die Hörminderung ist unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt Jugendliche, die hören nur in gewissen Frequenzbereichen - andere hören gar nichts. Einige Jugendliche wären ohne diese Cochlea-Implantat taub. Wir, also der Deutsche Musikrat, haben beim Komponisten Mark Barden extra ein Stück in Auftrag gegeben, welches das Bundesjugendorchester gemeinsam mit den Jugendlichen mit Hörminderung aufführen wird. In Vorbereitung auf dieses Projekt haben wir zum Beispiel ein Cochlea-Implantat Zentrum in Essen besucht, wo wir uns mit Trägern des Implantats unterhalten haben: Darüber, was sie gut hören können, was sie eher nicht gut hören, was eher geräuschhaft ist. Warum Sprache gut geht und Musik nicht? Welche Musik sie gut hören können und als angenehm empfinden. Außerdem haben wir uns mit den Jugendlichen des Bildungs- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte in Stegen getroffen, die bei dem Projekt dabei sind, und gemeinsam überlegt, auf welchem Instrumentarium sie gut musizieren können. Denn sie haben ja keine instrumentale Vorbildung. Das wollten wir mit den Frequenzen und Geräuschen kombinieren, die sie gut wahrnehmen können und die vielleicht auch ein bisschen dem entsprechen, was Beethoven vielleicht so an Nebengeräuschen hatte. Das hat dazu geführt, dass sie auf ungewöhnlichen Instrumenten spielen. Sie streichen zum Beispiel mit traditionellen Geigen- und Kontrabass-Bögen auf Styropor, sie spielen auf Spachteln, und Gläsern. Sie haben also ihr eigenes Instrumentarium, was sie ebenbürtig dem klassischen Instrumentarium des Bundesjugendorchesters einsetzen.
Wie war die erste Begegnung zwischen dem BJO und den Jugendlichen mit Hörminderung?
Altstaedt: Die Jugendlichen des BJO und des BBZ trafen gleichzeitig in Baden-Baden ein und beide Gruppen sind interessiert und neugierig aufeinander zu gegangen. Die BBZler haben dann direkt auch die Orchesterprobe des BJO besucht. Beim anschließenden Abendessen und auf der abendlichen Party haben sich die Gruppen durchmischt und man konnte von außen eigentlich nicht erkennen, wer zu welcher Gruppe gehört, außer dass manche der BBZler eben Hörgeräte tragen.
Was können die musikalischen Nachwuchstalente vom Bundesjugendorchester von dieser besonderen Arbeitsphase mitnehmen?
Altstaedt: Unsere Hoffnung ist, dass sich sowohl das Publikum als auch die BJOler bewusst mit dem Hörsinn auseinandersetzen. Im Sinne von: Was sind wir eigentlich in der Lage zu hören? Wie komplex ist der Hörsinn eigentlich? Wie schränkt er einen ein, wenn man ihn nicht mehr hat? Wie kann man das kompensieren? Und wie hört man Musik? Mit einer Hörminderung hört man vielleicht den Inhalt, das metaphysische oder das emotionale genauso gut! Wie viel nimmt man über die Augen wahr? Es gibt es ja ganz viele Aspekte beim Hören, die mit den anderen Sinnen zusammenhängen, die außerhalb des rein-physiologischen Hörens sind. Beispielsweise: Wie ist die Stimmung im Saal? Wie ist das Licht? Was sehe ich? Wenn ich jemandem zugucke, beeinflusst das mein Hören! Da gibt es ganz viele Aspekte. Und ich hoffe, dass alle, die bei dem Projekt sind, anschließend im besten Sinne des Wortes bewusster hören.
Worauf dürfen wir uns denn klangtechnisch bei der Auftragskomposition von Mark Barden einstellen?
Altstaedt: Das Stück ist sehr geräuschhaft und hat einen großen E-Gitarrenpart. Es ist im Grunde ein Konzert für E-Gitarre und Orchester. Aber nicht nur der E-Gitarren-Part ist sehr beeindruckend: Außerdem gibt es elektronische Einspielungen, es wird auch eine Lichtregie geben. Ein Teil des Stückes werden wir in totaler Dunkelheit spielen - soweit die Säle es uns erlauben. Es gibt natürlich eine Notbeleuchtung für die Ausgänge. Es ist ein sehr aufwendiges Projekt. Daher bin ich Christine Löbbert sehr dankbar, sie hat diese Jugendlichen jetzt drei Jahre bei der Stange gehalten - wegen der Corona-Pandemie hat es sich ja verschoben. Die Teilnehmer sind älter geworden, aber ein Großteil derer, die vor drei Jahren dabei sein sollten, sind jetzt auch wieder dabei. Der Kontakt mit ihr war wirklich beeindruckend und hat unser Leitmotiv für dieses Projekt geprägt. Wir wollen nicht, dass der Eindruck entsteht, das BJO macht jetzt Inklusion. Und da sind die Hochbegabten, die jetzt mit defizitären Menschen zusammenspielen, nein! Es geht darum zu sagen, die hören anders als wir, aber deswegen müssen sie nicht im konventionellen Sinn schlechter hören. Wir bieten ein Stück an, das neu ist und wo sich eigentlich alle neu einhören müssen. Niemand hat eine Hörerwartung und wir begegnen uns auf Augenhöhe. Schließlich spielen die Jugendlichen des Beratungszentrums für Hörgeschädigte Stegen an Instrumenten, die sie bis zur Perfektion beherrschen - nur sind das eben Styropor, Spachtel, Gläser und so weiter. Ich hoffe, dass diese hochbegabten klassischen Musiker auf diese Weise auch außerhalb ihrer Musik-Blase noch mal ganz anders übers Musizieren nachdenken, als sie das vorher getan haben. Und ich hoffe, dass die Stegener wirklich viel Zuspruch erfahren und diese Konzerte genießen können. Dass für sie eine Tür zu einer Welt geöffnet worden ist, die normalerweise verschlossen bleibt.
Das Gespräch führte Anina Pommerenke.