Margot Käßmann distanziert sich von rechter Unterwanderung des "Manifests"
Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hat vor zwei Wochen die Petition "Manifest für den Frieden" unterzeichnet. "Ich habe mir nicht vorstellen können, welche Exegese mit diesem Text betrieben wird", sagt sie im Interview.
Frau Käßmann, vor zwei Wochen haben Sie im Interview auf NDR Kultur gesagt, Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer seien streitbare Personen, aber es sei besser, "dass es streitbare Menschen gibt als lauter Duckmäuser". Nun sind zwei Wochen Debatte ins Land gezogen, es gab viele Talkshows. Sie haben zahlreiche Interviews zu diesem "Manifest für den Frieden" gegeben. Würden Sie das heute noch mal genau so sagen oder ein bisschen anders formulieren?
Margot Käßmann: Ich würde es, denke ich, genauso formulieren. Ich erlebe nur, dass die Auseinandersetzung mit einer emotionalen Heftigkeit geführt wird, die sicher auch damit zusammenhängt, dass Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht Projektionsflächen für viele Emotionen sind.
Dieses Manifest hat auch AfD-Chef Tino Chrupalla unterzeichnet, es wird aber auch von russischer Propaganda genutzt, um zu sagen: Seht her, im Westen bröckelt auch die Linie, die Demokratie. Wie sehen Sie das, wie gehen wir in unserer Zeit damit um, wenn man eine Unterschrift unter so etwas setzt?
Käßmann: Einerseits finde ich das wirklich belastend und bedrückend. Ich habe mir das nicht vorstellen können, als ich den Text gelesen habe, welche Exegese mit diesem Text betrieben wird. Wahrscheinlich muss man in diesen Zeiten lernen, dass die AfD oder der rechte Rand versucht, alles für sich zu kapern, was man zur Radikalisierung finden kann. Wir von der Deutschen Friedensgesellschaft haben noch mal glasklar gesagt, dass wir uns absolut abgrenzen gegen die russische Propaganda, ebenso wie gegen den rechten Rand. Herr Chrupalla ist nicht willkommen. Gleichzeitig finde ich, darf man sich davon auch nicht so ins Bockshorn jagen lassen, dass man sagt: Dann bleibe ich lieber ganz zuhause und äußere überhaupt keine Meinung mehr, weil sie missverstanden werden könnte.
Ihre Teilnahme bei dieser großen Kundgebung am Brandenburger Tor am Wochenende haben sie abgesagt - warum?
Käßmann: Nein, ich habe gar nicht abgesagt. Das ist ein Missverständnis, dem ich versuche hinterherzulaufen. Ich habe nie gesagt, dass ich da reden werde, sondern ich bin seit Wochen für die beiden Kundgebungen der Deutschen Friedensgesellschaft in Bonn und in Köln. Und da ich um 13 Uhr in Bonn rede und um 17 Uhr in Köln, werde ich nicht in Berlin sein.
Wie ist dann dieses Missverständnis aufgetaucht? Es klang so, als hätten sie sich von dieser Demonstration in Berlin distanziert, weil die rechtsradikal unterwandert worden sei.
Käßmann: Wenn Sie die Meldung lesen, dann steht da drin, dass ich wegen dieser beiden anderen Kundgebungen nicht in Berlin sein werde und dass Herr Grässlin, der Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, und auch ich als Mitglied finden, dass man sich noch schärfer gegen rechts abgrenzen muss als in der ersten Stellungnahme, die durch die beiden Protagonistinnen erfolgt ist. Soweit ich weiß, haben sie sich jetzt noch schärfer abgegrenzt. Aber ich finde, man kann nicht sagen, es ist jeder bei so einer Demonstration willkommen. Ich finde, es muss auch Gästen gesagt werden, dass sie ungebeten sind und nicht willkommen.
Sie haben die Polarisierung gerade angesprochen. Ich empfinde es als sehr ungut - und das geht unterschwellig auch aus dem Manifest hervor -, dass die eine Seite jenen, die für Waffenlieferungen sind, vorwirft, das Morden in der Ukraine zu verlängern. Und umgekehrt wird dann reagiert, dass diejenigen, die gegen Waffenlieferungen sind, naiv sind und möchten, dass Russland die Ukraine überrollt. Das passiert eigentlich in jeder Diskussion. Wie kommen wir wieder zurück in ein ruhigeres Austauschen von Argumenten?
Käßmann: Ich habe auch den Eindruck, dass zum Teil - bei manchen bewusst, aber bei vielen auch unbewusst - aneinander vorbeigeredet wird. Ich sage als Christin: Es gibt Respekt vor der Würde jedes Menschen. Gerade in einer Demokratie können wir um Positionen ringen, aber immer mit dem Respekt vor dem anderen. Das müssen wir besser einüben. Ich bin erstaunt, wie emotionalisiert und aggressiv die Debatte ist. Das ist vielleicht auch eine Folge der Corona-Debatte, dass kaum noch zugehört wird, sondern sofort dem anderen unterstellt wird, dass er nur das Schlechteste will. Ich weiß, dass ich schuldig werden kann, wenn ich gegen Waffenlieferungen an Menschen in der Ukraine plädiere - aber ebenso, wenn ich dafür plädiere. Es gibt nicht die eine einfache Lösung, die hundertprozentig richtig ist. Jeder nachdenkliche Mensch muss sich da immer wieder selbst infrage stellen. Das gehört zur Demut dazu.
Wir beide waren uns vor zwei Wochen in dem Gespräch einig, dass keine Strategie im Moment ein Ziel formulieren kann. Dem "Manifest für den Frieden" wird vorgeworfen, dass wie auch immer geartete Kompromisse, die bei Verhandlungen auf den Tisch gelegt werden könnten, nicht ausformuliert werden. Ist man in den Debatten, die Sie in den letzten 14 Tagen geführt haben, da weiter gekommen, auch innerhalb der Friedensbewegung?
Käßmann: Das denke ich nicht, weil beides so massiv gegeneinander steht. Die einen sagen, es muss einen absoluten Sieg der Ukraine geben, koste es, was es wolle und egal wie lange der Krieg dauert; es könne keine Verhandlungen über irgendetwas geben. Und die anderen sagen, man muss immer verhandeln, um irgendwie einen Frieden zu finden. Das steht im Moment ziemlich unversöhnlich gegenüber. Ich hoffe ein bisschen, dass nach diesem Jahrestag alle mal drei Schritte zurückgehen und noch einmal anschauen, was gesagt und geschrieben wurde und ob wir nicht wenigstens hier in Deutschland sagen können, dass es unterschiedliche Wege gibt, die aber beide diskutabel und respektabel sind.
In welchen Foren könnte das diskutiert werden, ohne dass man sich gegenseitig niederbrüllt?
Käßmann: Der Kirchentag kommt im Juli nach Nürnberg. Da wird es auch ein Friedensforum geben. Ich hoffe, wir bekommen das da besser hin. Ich finde manches in Talkshows im Moment auch nicht so hilfreich. Vielleicht können auch Kirchengemeinden etwas anbieten. Ich hatte neulich eine sehr gute Debatte in einer Kirchengemeinde, wo die Leute mit Respekt miteinander umgegangen sind. So etwas brauchen wir.
Was werden Sie am Wochenende in Köln und Bonn an neuen Denkanstößen bringen?
Käßmann: Ich werde versuchen zu begründen, warum ich gegen Waffenlieferungen bin - so sehr ich auch weiß, dass das nicht der einzig mögliche Weg ist. Ich bin Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft. Für mich ist Bertha von Suttner ein großes Vorbild. Es gibt ja nicht so viele Frauenvorbilder in der Friedensbewegung. Sie hat vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder gesagt: Die Waffen nieder. Wir müssen verhandeln. Wir dürfen es überhaupt nicht dazu kommen lassen. Wir müssen Mediation betreiben, Vermittlung, damit dieser Krieg gar nicht erst ausbricht. Sie ist kurz vor dem Ausbruch des Krieges gestorben und hinterher haben ihr viele Recht gegeben, weil dieses entsetzliche Sterben hätte verhindert werden müssen.
Ich werde sagen, ich stehe da als Christin auf. Ich finde, wir können die christliche Botschaft "Steckt das Schwert an seinen Ort" nicht einfach ignorieren. Ich habe mal den Nachlass des Vaters meiner Freundin sortiert und da war das Gebetbuch für den deutschen Soldaten im Felde. Unter dem fünften Gebot "Du sollst nicht töten" stand in Klammern: "Gilt nicht im Kriegsfall". Ich finde, so einfach können wir es uns mit der biblischen Botschaft nicht machen.
Drittens stehe ich da auch als Großmutter von sieben Enkelkindern und denke: Für unsere Zukunft, für die Zukunft dieser Kinder muss doch Abrüstung, weniger Waffen, weniger Entwicklung von Waffen, weniger Geld für Waffen das Ziel sein. Und nicht der Weg, der zu immer mehr Waffen und noch größerer Rüstung führt.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.