Geplantes Corona-Wörterbuch: Der Schnutenpulli geht, die Poesie bleibt
Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat mehr als 2.500 Wörter gesammelt, die durch die Corona-Pandemie entstanden sind. Geplant ist ein Wörterbuch zur Corona-Sprache - in die unsere Autorin noch einmal eintaucht.
War der ganze Kram nur ein wirrer Traum? Neblig die Erinnerung an dieses teils gelockdownte, geshutdownte Zwischenspiel, die C-Krise, getaktet in 200er-Inzidenz, 15-Minuten-Regel, 2G-Bändchen, 3G-Nachweis und 7-Tage-Mittelwert. Zeiten, in denen wir noch einmal neu zählen lernten. Und buchstabieren sowieso: Cluster-5-Variante, CO2-Ampel, AHA+C+L-Regel, B.1.617-Mutation. Wir, die Alltagshelden im e-meeten, Mix-and-Match-Impfen, Click and Collect, Click and Meet. Einige immer noch mütend, overzoomed und mittendrin im Cavesyndrom, dem Freedom Day nicht ganz trauend.
Popeltest in der Abstrichkabine
Surreale Traumbilder von der Control-Covid-Strategie spuken in uns umher: Abflachen der Kurve. Wir wissen Bescheid. Popeltest in der Abstrichkabine. Fester Stand auf dem Abstandssticker. Smalltalk durch die Plexiglaszelle. Abwassermonitoring unserer Ausscheidungen. Der Bote bringt Post mit Ablagegenehmigung. Challenge: Wärmescanner. Während die einen sich einen reinboostern, belohnt mit Impfpizza oder Impfwurst, dokumentiert per Impfselfie, zelebrieren die anderen ihren Remote-Tag bar jeden Stils in Jogginghose. Casualisierung im Pandemieblues. Teleprost.
Zuerst die Wildtypwelle. Anhänglich, dieses Spikeprotein, die Höllenhundvariante weiß superzuspreaden. Mit Schweizer-Käse-Prinzip raus aus dem Salamilockdown. Am Ende kommt’s mit Schmackes, klar: Ketchupeffekt. Boost, Bazooka, Wumms.
Balkonklatscher, Klopapierprepper und Baumarkttouristen
Wie Halbschlafende sehen wir es noch vor uns, das Panoptikum der Anderthalbmetergesellschaft: Begrüßen wir sie ein letztes Mal wehmütig mit dem Abstand eines Babyelefanten - mit Fußshake, Ellenbogen- oder Vulkaniergruß - den selbsterklärten Seuchensheriff, Containmentscout, Hygieneritter und Ausbruchmanager, ja sogar die Balkonklatscher, Klopapierprepper und Baumarkttouristen, nicht zuletzt: Team Freiheit, Vorsicht und Augenmaß. Vorbei die Abende, in denen gut ausgewählt werden wollte, wer unter die Ein-Freund-Regel fällt. Verblasst unsere schnöden, öden Highlights: Bierwalk mit unschlagbarer Frischluftquote. Aber sorry, nicht auf die Parkbank setzen: Verweilverbot! Asiafood aus der Ghostkitchen. Das große Hupen beim Autokonzert. Körpernahe Dienstleistung nur im Breakoutroom. Der Balkonchor tönt: Corönchen richten und weitergehen. Gib mir ein Todesküsschen.
Adieu Faceshield, Kinnwindel und Schnutenpulli!
Wir reiben uns den Schlaf aus den Augen. Willkommen also zur Öffnungsorgie, dem Testrave unserer After-Corona-Bodies. Unübersehbar die Coronafigur: obenrum Krisenfrise, hüftnaher Lockdownspeck und Coronaplauze, die auch postcoronal für den Knuffelkontakt anschmiegsam bleibt. Nix mehr mit Mask-have. Erledigt die unnötige Notwendigkeit, dem Fetzen mit Kosenamen irgendwas Liebevolles anzudichten. Typ sachlich: Gesichtsvisier, Behelfsmundschutz, Gesichtslappen, Typ krampfhaft witzig: Faceshield, Kinnwindel, Schnutenpulli.
Der Zellstoffhamster prostet uns zum Abschied zu, mit seinem Zaunbier. Der Albtraum ist vorbei. Die Poesie bleibt.
Eine Liste der vielen neuen Corona-Begriffe finden Sie im Online-Wortschatz-Informationssystem des Instituts für Deutsche Sprache.