Frank Strobel: "Filmmusik muss die Geschichte des Films miterzählen"
Der Filmmusikdirigent Frank Strobel war zu Gast bei der NDR Radiophilharmonie, wo er das Filmmusik-Wunschkonzert leitet. Im Interview spricht er darüber, wann eine Filmmusik gelungen ist.
Seine Eltern haben ein Kino in München betrieben, da kam Frank Strobel schon als Kind mit Filmen in Berührung. Später hat er auch selbst Filme vorgeführt. Hinten im Projektorraum sieht man den Film eher nicht, hört aber die Musik umso mehr - und da war es um ihn geschehen. Ein Gespräch.
Herr Strobel, die Hörerinnen und Hörer von NDR Kultur konnten sich Filmmusik wünschen. Was werden wir zum Beispiel heute Abend hören?
Frank Strobel: Wir werden wirklich einen Gang durch die Filmmusikgeschichte machen und damit auch durch die Filmgeschichte. Es kommen die ganz großen Klassiker: Wir spielen "Star Wars", "Herr der Ringe", aber es wurden immer wieder auch Serienmusiken gewünscht. Das fand ich interessant. Zum Beispiel spielen wir "Bridgerton", "Sherlock Holmes" und vieles mehr.
Mich würde Ihre ganz subjektive Meinung interessieren: Welche Filmmusik ist die unterschätzteste und welche wird vielleicht am meisten überschätzt?
Strobel: Das ist ganz schwer zu sagen. Denn es ist auch immer die Frage: Wenn wir so eine Musik in den Konzertsaal transferieren, dann hört man anders hin und dann hat die Musik auch eine andere Aufgabe. Es gibt tolle Musiken im Film, die mich absolut überzeugt haben, wo ich aber trotzdem denke, dass sie nicht im Konzert spielbar sind. Es gibt ganz großartige Musiken von Hans Zimmer, die aber nur im Film funktionieren, wo wir aber große Schwierigkeiten haben, die in den Konzertsaal zu bringen, auch wenn das immer wieder gewünscht ist.
Manchmal heißt es, Filmmusik sei dann gut, wenn sie nicht auffalle, weil sie so gut zum Film passe. Das sehen Sie vermutlich anders. Tut das der Filmmusik Unrecht?
Strobel: In Teilen. Ich finde, dass eine Musik, die sich sehr organisch mit dem Gesamtkunstwerk Film verbindet und dadurch vielleicht nicht unmittelbar im Fokus ist, trotzdem eine sehr gute Filmmusik sein kann. Ich glaube, dass es dann eine gute Filmmusik ist, wenn sie nicht nur etwas illustriert, was man sowieso sieht, sondern wenn sie die Geschichte des Films miterzählt. Darin liegt, glaube ich, die große Kunst. Bei einem der Großmeister, John Williams, den wir auch im Programm haben, sieht man das sehr deutlich, weil seine Musiken tatsächlich die Handlung miterzählen. Sie begleiten sie nicht nur, sondern sie gehen mit mit der Handlung und füllen auch die Figuren aus. Eine Musik, die man hört, nehmen wir ja anders wahr als das, was wir sehen. Uns fällt es zum Beispiel ganz leicht, einen Filmdialog wiederzugeben - Filmmusik zu beschreiben fällt einem sehr viel schwerer. Die Musik ist etwas, was in den Körper, ins Herz und in den Bauch hineingeht, während das, was wir sehen, ein bisschen rationaler aufgefasst wird. Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum man Musik im Film per se eher unterschätzt.
Können Sie uns ein Beispiel für einen großartigen oder künstlerisch ambitionierten Film nennen, bei dem die Filmmusik gar nichts taugt? Mir fallen eher umgekehrt verkorkste Filme mit großartiger Musik ein.
Strobel: Da würde ich mich jetzt sehr in die Nesseln setzen. Aber ich würde mal ein Gegenbeispiel aufführen: Es gibt einen ganz grandiosen Film von Alfred Hitchcock, "Die Vögel", bei dem Hitchcock gesagt hat: Dieser Film erzählt sich ohne Musik. Das finde ich eine tolle Entscheidung! Es gibt so viel schlechte Musik im Film, da kann man unzählige Beispiele bringen. Aber es gibt auch große Filme, die ohne Musik auskommen.
Viele sagen, dass Filmmusik früher wesentlich erkennbarer war, mehr Charakter hatte und nicht so stromlinienförmig, so bombastisch wie heute. Da müssen Sie jetzt mit Gegenbeispielen kommen.
Strobel: Ich denke, dass die Filmmusik immer noch eine sehr große Rolle spielt. Und, was interessant ist, auch die Orchestermusik spielt immer noch eine sehr große Rolle. Wenn wir nach Hollywood schauen: Die allermeisten großen Blockbuster-Filme haben einen großen Score für Orchester. Was sich verändert hat, ist das sogenannte Sound Design: Die verschiedenen Ebenen eines Tones, also das, was wir hören, angefangen bei den Dialogen, die Behandlung von Effekten, von den Klangräumen, in denen sich ein Film bewegt, die Atmo, auch die Musik - dieses Sound Design ist mittlerweile so ausgefeilt und in so vielen Schattierungen durchgeführt, dass die Musik tatsächlich hier und da an Rolle verliert. Das kann aber manchmal auch ganz anders sein - es gibt viele Beispiele der jüngsten Produktionen, wo die Musik ganz klassisch ihre Funktion hat und die Geschichte miterzählt.
Das Interview führte Philipp Cavert.