"Der Hitler-Fake": Regisseur Christian Bock im Interview
Die angeblichen Tagebücher von Adolf Hitler, die das Magazin "Stern" im April 1983 vorstellte, waren eine großangelegte Fälschung. In dem Dokumentarfilm "Der Hitler-Fake" erzählt der Filmemacher Christian Bock, wie es zu diesen unglaublichen Ereignissen kam.
Herr Bock, die Geschichte ist ja schon mehrfach erzählt worden. Was hat Sie denn jetzt noch daran gereizt? Was gab es noch zu erzählen?
Christian Bock: Gereizt hat mich daran, ob dieses Gesamtsujet heute noch irgendeine Relevanz hat, ob es diese Mystifizierung von Hitler heute noch gibt, diesen Wunsch, Hitler als Privatmann kennenzulernen und vor allen Dingen diese Szenerie des NS-Devotionalien-Sammelns. Das fand ich sehr reizvoll.
Und was haben Sie herausgefunden?
Bock: Ja, das gibt es alles noch. Ich war zum Beispiel bei einer regelmäßig stattfindenden Auktion von Gegenständen aus dem Dritten Reich. Da war ein Besteck aus Hitlers Salonwagen, Fotos mit Hitler-Unterschrift, Nazi-Fahnen - da habe ich mir gedacht: Das kann nicht wahr sein, dass dieser ganze Kram heute noch verkauft wird an Leute, die sich irgendetwas davon versprechen, das in ihrem Besitz zu haben. Das hat so ein bisschen was Schwarz-Magisches, wenn man so etwas bei sich zuhause hat - so mein Eindruck.
Angenommen, dieser Vorfall wäre in den 1980er-Jahren nicht passiert, und heute würde jemand sagen: "Ich habe die Hitler-Tagebücher." Wäre heute das Interesse daran genauso groß wie damals?
Bock: Klar, man wäre ja ein schlechter Journalist, wenn man - aus welcher Quelle auch immer - die Tagebücher von Adolf Hitler angeboten bekommt. Natürlich ist man misstrauisch, aber natürlich wäre das heute noch immer eine Geschichte. Sie würde heute so nicht mehr stattfinden, glaube ich, weil die technischen Möglichkeiten der Überprüfung heute ganz anders sind. Man kann sehr viel schneller das Papier, die Tinte, die Verpackung untersuchen. Das wäre sehr viel schneller aufgeflogen, wenn man es gemacht hätte - was ja damals einer der Fehler war, dass man sich auf diese chemisch-technischen Analysen nicht so richtig verlassen und es einfach vernachlässigt hat.
Der Hauptakteur damals rund um die angebliche Sensation, wie auch in Ihrem Film, ist der ehemalige "Stern"-Reporter Gerd Heidemann, der heute 91 Jahre alt ist. Warum ist er Ihr Hauptakteur?
Bock: Aus dem einfachen Grund, weil er der einzige ist, der noch da ist. Das ist ja 40 Jahre her, da sind viele verstorben, unter anderem der Fälscher Konrad Kujau, der 2000 an Krebs verstorben ist. Gerd Heidemann schleppt seitdem dieses persönliche Trauma mit sich herum. Ich habe ihn mehrmals mit meinen Kollegen zusammen in seinem Keller in einem Gebäude in Altona besucht. Dort hat er ein persönliches Archiv, das aus tausenden von Aktenordnern besteht, in dem er Geschichte und Geschichten sammelt. Ich hatte immer den Eindruck, dass er zu dokumentieren versucht, dass er nicht allein schuld ist, dass auch andere schuld sind, dass er so eine Art Bauernopfer ist. Das ist als Filmemacher wahnsinnig spannend. Gerd Heidemann war sehr offen, auch sehr lebendig für sein Alter, und es war sehr interessant, mit ihm zu reden.
Und er hat vermutlich auch gehofft, dass er möglichst gut wegkommt bei der Geschichte. So positiv ist aber seine Rolle auch in Ihrer Dokumentation nicht, oder?
Bock: Natürlich nicht. Es ist legitim, dass er versucht, seine Sicht der Dinge zu schildern, aber wir holen uns natürlich auch andere Stimmen hinzu. Er war damals ein berühmter Reporter, ihn kannte fast jeder. Ich glaube, er hat nie diese professionelle Distanz zu seinem Sujet gehabt, und er hatte eine ganz eigenartige Faszination für die NS-Zeit, die ihm die Sicht und die Kritikfähigkeit verbaut hat, weswegen er auf diesen Fälscher hereingefallen ist.
War er vielleicht ein verblendeter, ruhmsüchtiger Journalist, der einfach alles tun wollte, um Geltung zu bekommen? Oder würden Sie sogar sagen, dass er auch ein richtiger Mittäter gewesen ist?
Bock: Ich glaube, er war schon ziemlich eitel. Er war von seinen Erfolgen geblendet und wollte dann auch den ganz, ganz großen Erfolg. Er ist verurteilt worden wegen Unterschlagung von Geldern vom "Stern". Er behauptet bis heute, das Geld nicht unterschlagen zu haben. Das kann ich nicht mehr belegen oder widerlegen, weil ich nicht weiß, wo das Geld hin ist. Ihn zu beurteilen, ist einfach schwer. Er ist eine sehr tragische Figur, finde ich.
Es gab ja schon einen Podcast, in dem er sehr viel erzählt hat. War das das Arbeitsmaterial, Ihre Grundlage, und haben Sie darüber hinaus noch Dinge aus ihm herauslocken können?
Bock: Wir haben noch mehr Tonbandmaterial von ihm bekommen, was noch nicht bekannt war. Unter anderem, wie er sich mit einem alten Nazi über eine Passage aus einer angeblichen Niederschrift unterhält, wo Hitler angeblich schreibt oder durchblicken lässt, dass er die Vernichtung der europäischen Juden gar nicht geplant hätte, sondern eine Art Umsiedlung. Heidemann freut sich, dass Hitler doch nicht der ganz Böse ist, sondern dass Himmler und die SS an allem schuld sind. Das ist wirklich sehr eigenartig. Darauf angesprochen sagt Gerd Heidemann, dass er sich ja bei den alten Nazis einschleimen musste, weil sie ihm sonst nicht vertraut hätten. Das ging damals nicht, das geht heute erst recht nicht - da ist er wirklich viel zu weit gegangen.
Das Interview führte Julia Westlake.