Ein älterer Mann mit Brille blickt nach links © picture alliance / dts-Agentur
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AUDIO: Andreas Zick: "Rechtsextremismus ist in der Mitte verankert" (26 Min)

Andreas Zick: "Rechtsextremismus ist in der Mitte verankert"

Stand: 08.02.2025 06:00 Uhr

Der Gewalt- und Konfliktforscher Andreas Zick erläutert, wie sich rechtsextreme Auffassungen in der Mitte der Gesellschaft "normalisieren" und wie nationales und völkisches Denken im Kulturbetrieb Raum greift.

Jede zwölfte Person in Deutschland hat ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, fast jeder Dritte teilt völkische Ansichten. Das ist das Ergebnis der Studie "Die distanzierte Mitte" unter Leitung von Andreas Zick. "Es hat sich Vieles normalisiert. Wir betrachten es nicht mehr als so erschreckend wie in den 90er-Jahren", so Zick. Selbst Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele halten 44 Prozent der Befragten für moralisch gerechtfertigt. Anders als früher befürworten laut der aktuellen Erhebung insbesondere Jüngere immer stärker rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen, unabhängig vom Bildungsstand.

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Herr Zick, wie hat sich die Einstellung der Mitte gegenüber rechtsradikalen Positionen, etwa völkischen, rassistischen, fremdenfeindlichen oder antisemitischen, in den vergangenen Jahren verändert?

Andreas Zick: Es hat sich vieles normalisiert. Wir betrachten es vielleicht nicht mehr als so erschreckend wie in den 90er-Jahren: Rostock-Lichtenhagen, Solingen - wir hatten damals diese Welle der Gewalt. Wir haben aber nicht so viele organisierte Rechtsextreme gehabt wie heute. Das sind im Hellfeld 35.000 organisierten Rechtsextreme, von denen viele Waffen besitzen, und die haben Freundinnen und Freunde.

Wir haben rechtsextreme Strukturen, wir haben eine Partei in allen Landtagen und im Bundestag, die in Teilen beobachtet wird. Wir sind umgeben von rechtsextremen, autoritär orientierten Ländern, auch das gehört ja zu der ganzen Geschichte. Bei den rechtsextremen Orientierungen interessiert uns, wie stark sie in die Mitte einsickern. Die These ist: Wenn das in der Mitte einsickert und als Normalität akzeptiert wird oder gewünscht ist, dann wackelt die Demokratie, dann entleert sie sich, dann wird sie instabil. Die Akzeptanz rechtsextremer Orientierungen in der Mitte passiert in Wellenbewegungen, und im letzten Jahr haben wir festgestellt, dass es auf einmal einen massiven Anstieg gibt. Bei acht Prozent der Menschen gehen wir davon aus, dass sie ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben, aber nicht rechtsextrem organisiert sind und sich selbst als Mitte verstehen. Das sind Menschen in der Mitte. Wir stellen auch fest, dass es Menschen im sogenannten Graubereich gibt - das haben wir schon vor vier, fünf Jahren festgestellt. Der Anteil an Menschen, die ihre politischen Ansichten in der Mitte betrachten, unabhängig von der Partei, die sie wählen würden, steigt auch an und liegt bei 20 Prozent.

Die Frage ist: Wo äußert jemand rechte Positionen, vielleicht auch konservative Positionen, und wo gilt eine rechtsradikale Einstellung? Ein Kriterium haben Sie schon genannt: Da gibt es dieses geschlossene, völkische, rassistische Weltbild. Und dann gibt es viele andere Ansichten, die man auch rechts bis rechtsradikal verorten kann. Wo ziehen Sie die Grenze? Wo beginnt wirklich eine rechtsradikale Position?

Zick: In der Forschung interessiert uns vor allen Dingen die ideologische Orientierung. Das ist, wenn man bei 18 Aussagen eindeutig im Zustimmungsbereich liegt. Zum Beispiel bei der Aussage: "Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform." Da stimmen aktuell sieben Prozent zu, bei den jüngeren Befragten sind es elf Prozent. "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" - das ist ein Satz der NSDAP. Da stimmten im letzten Jahr 24 Prozent zu, 19 Prozent teils teils. Und: "Es gibt wertvolles und unwertes Leben." Dem Punkt stimmten zwölf Prozent zu und zwölf teils teils. Das sind Aussagen, die eine rechtsextreme Orientierung zeigen.

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Früher war es so, dass die Älteren eher anfälliger für rechte bis rechtsradikale Positionen waren. Aber jetzt haben Sie eine Trendumkehr festgestellt: ein Rückgang rechtsextremer Einstellung unter den Älteren bei gleichzeitiger Zunahme rechtsradikaler Positionen unter den Jüngeren. Das ist ein bisschen überraschend, weil die Jüngeren bei diesem Thema in der Schule grundversorgt worden sein müssten. Bei denen steigt das gerade sehr, vor allem bei den jüngeren Männern. Das sieht man auch bei den Erstwählern der letzten Landtagswahlen: Die präferierte Partei ist die AfD.

Zick: Genau. Sie haben den Konjunktiv verwendet: Sie müssten eigentlich. Da ist irgendetwas nicht passiert. Unsere alte Idee ist, dass die Älteren immer konservativer werden, nationalchauvinistischer, weil sie zurückgucken und denken: Früher war alles besser, da war Deutschland noch so schön. Und die Jungen sind eigentlich die, die Zukunftsmodelle machen, die die offene Gesellschaft denken, die die Diversität kennenlernen, die eigentlich stärker fähig sind, Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus, all das zu bremsen. Diesen Effekt gibt es im Moment nicht. Das Interesse von jungen Menschen an Politik ist angestiegen, und auf der anderen Seite deutet sich aber ein autoritäres Politikverständnis an: Die sollen mal richtig entscheiden und die richtigen Programme auflegen, dann bin ich auch mit der Demokratie zufrieden. Die stärkste Präferenz unter den jungen Befragten ist die AfD.

Das Gespräch führte Dietrich Brants. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.

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