Handwerker der VEB Denkmalpflege Schwerin bauen Ende der 80er-Jahre den Davidstern für die Bekrönung der Neuen Synagoge in Berlin. © Freilichtmuseum für Volkskunde Schwerin-Mueß

NDR Serie "Was war da los?": Ein Juden-Geschenk fürs DDR-Prestige

Stand: 20.01.2024 00:04 Uhr

Schweriner Handwerker sollen Ende der 1980er-Jahre dabei helfen, die jüdische Synagoge in Ostberlin wieder aufzubauen. Ihre Aufgabe: die Bekrönung mit dem Davidstern. Doch mit Respekt gegenüber dem jüdischen Glauben hat Honeckers Auftrag nichts zu tun. Die NDR Serie "Was war da los?" klärt auf.

von Benjamin Unger

"Das war mit Sicherheit eines der bedeutendsten Projekte der DDR-Denkmalpflege überhaupt", erzählt Wolfram Kessler, einst Architekt im VEB Denkmalpflege Schwerin, über den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in Berlin. Der Auftrag vom DDR-Staatsapparat: Restaurierung und teilweise Neuanfertigung des im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten jüdischen Gotteshauses in der Oranienburger Straße. Schweriner Handwerker sollen sich dabei um die Bekrönung mit dem Davidstern kümmern - Kessler übernimmt das Projekt als Planer und Architekt Ende der 1980er-Jahre federführend.

VIDEO: Zeitreise: Berliner Synagogenkuppel aus Schwerin (7 Min)

Denkmalpflege für das "sozialistische Bewusstsein"

Die Denkmalpflege in der DDR ist selbstredend politisch: Im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik wird das 1975 klar formuliert: Ziel sei es vor allem, "der Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins" zu dienen. Dazu werden die Fachkräfte zentral dirigiert, vom "Institut für Denkmalpflege", das dem Ministerium für Kultur untersteht. Ausgeführt werden die Arbeiten dann von einem Spezialbetrieb: dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Denkmalpflege mit fünf regionalen Standorten in Schwerin, Berlin, Erfurt, Dresden und Quedlinburg.

Architekt Wolfram Kessler mit einer Skizze der Kuppel für die Neue Synagoge in Berlin. © NDR Foto: Benjamin Unger
Architekt Wolfram Kessler hat für den VEB Denkmalpflege Schwerin gearbeitet und das Davidstern-Projekt für die Neue Synagoge Berlin geleitet.

Wolfram Kessler ist in Mecklenburg einer der DDR-weit rund 1.500 Spezialkräfte - Handwerker mit besonderen Fähigkeiten, in der DDR auch "Spezialkapazitäten der Denkmalpflege" genannt. Effizient und möglichst kostensparend sollen sie ihren Job für den hochverschuldeten Staat verrichten. Kessler arbeitet damals unter anderem an der Restaurierung der Schlösser in Ludwigslust und Schwerin. Solche Bauwerke sind der DDR besonders wichtig: Sie sind Touristenmagnete - und sorgen somit für Devisen.

Wiederaufbau der Synagoge: Kein Akt der Nächstenliebe

Ein Dokument des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zum Beschluss für den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in Berlin von 19´88. © Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv
Als die DDR-Staatsführung den Wiederaufbau der Neuen Synagoge in Berlin beschließt, spielen etwaige Wiedergutmachungen gegenüber der jüdischen Gemeinde keine Rolle. Im Hintergrund wirken andere Motive.

Ende der 1980er-Jahre gibt es dann ein Projekt für die VEB, bei dem Geld wohl keine ganz so wichtige Rolle spielt - denn es ist politisch immens wichtig: "So um das Jahr 1988 gab es eine Besprechung, in der es hieß, es sei wichtig, dass wir ein Zeichen setzen und die Synagoge restaurieren. Wir sollten uns um die Bekrönung kümmern", erzählt Architekt Kessler. Es geht um die Neue Synagoge in Berlin. 1866 eingeweiht, nutzten Wehrmacht und Gestapo die Synagoge ab 1940 als Lagerhalle und Folterort, wie die Stiftung Neue Synagoge schreibt. Im November 1943 wird das einstige jüdische Gotteshaus schwer von Bomben getroffen. Nach 1945 liegt die Ruine dann im sowjetisch besetzten Teil Berlins und somit unter Kontrolle der DDR.

"Das war damals ein bedeutsames politisches Zeichen", sagt Kessler: "Die DDR baut das Gotteshaus dieser Glaubensgemeinschaft wieder auf!" Allerdings ist dies kein Akt purer Nächstenliebe.

Antisemitische Denkweise: Die "jüdische Lobby" soll helfen

Sonderbriefmarke der Deutschen Post mit der Neuen Synagoge Berlin © NDR Foto: Benjamin Unger
Die Welt soll es wissen: Die DDR widmet dem Wiederaufbau der Berliner Neuen Synagoge eine Sonderbriefmarke. Die Währungsunion war damals bereits hergestellt.

Die chronisch klamme DDR steckt in den 1980er-Jahren mal wieder in ökonomischen Schwierigkeiten. Die Staatsführung sieht eine Lösung: Erich Honecker muss zu einem offiziellen Staatsbesuch in die USA eingeladen werden. Das würde die internationale Reputation der DDR aufwerten - und auch wirtschaftlich Vorteile bringen. Dafür sorgen soll: die "jüdische Lobby" in den Vereinigten Staaten. Das krude Kalkül der Sozialisten: Wir restaurieren etwa die Synagoge in Ostberlin, das sorgt für Wohlwollen bei "den Juden" und als Dank sorgt die "jüdische Macht" für eine Einladung nach Amerika - eine typisch antisemitische Denkweise. "Honecker beginnt also, Juden in den USA, in Israel, aber auch in der DDR zu hofieren", analysiert der Filmemacher Richard Chaim Schneider in seiner ARD-Doku "Wir sind da! Teil 5: Deutschland Wohin?" von 2000. "Das SED-Regime ist überzeugt, dass der Weg nach Washington über Israel führt." 

Und so wird die "Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum" gegründet - mit dem Ziel, die Synagoge in der Oranienburger Straße wieder aufzubauen. DDR-typisch öffentlichkeitswirksam flankiert mit einer eigenen Briefmarken-Serie.

"Wir machen den Davidstern"

Handwerker der VEB Denkmalpflege Schwerin bauen Ende der 80er-Jahre den Davidstern für die Bekrönung der Neuen Synagoge in Berlin. © Freilichtmuseum für Volkskunde Schwerin-Mueß
Auf Basis historischer Fotos und Zeichnungen rekonstruieren die Handwerker des VEB Denkmalpflege Schwerin Ende der 80er-Jahre die Hauptspitze für die Berliner Neue Synagoge.

"Als wir den Auftrag bekommen haben, da ging mir schon einiges durch den Kopf. Wir machen den Davidstern - das Symbol des Judentums", erzählt Wolfram Kessler über seine damalige Ehrfurcht. Für ihn als Architekten ist es zudem eine technische Herausforderung: "Durch den Krieg war ja die gesamte Bekrönung zerstört. Ich musste also viel recherchieren, habe in Archiven historische Fotos und Zeichnungen von der Synagoge gesucht. Ich durfte mir gewisse Funde sogar mit besonderer Genehmigung kopieren." Die Fotos und Dokumente sind die Grundlage für seine Rekonstruktions-Zeichnungen. Nach dieser erarbeiten die Kupferklempner, Metallbinder und Gürtler der VEB dann die Bekrönung: die fünf Meter hohe und einen Tonne schwere Hauptspitze für die Neue Synagoge.

Der Plan scheitert, aber der Wiederaufbau klappt

Kuppel mit Davidstern der Neuen Synagoge Berlin. © Andreas L. Leßmeister, Neumühler Bauhütte
Die DDR kommt an ihr Ende - die Synagogen-Bekrönung kann der VEB Denkmalpflege Schwerin vor der eigenen Auflösung aber noch fertigstellen.

Schnell wird allerdings klar, dass der Plan von Honecker & Co. nicht aufgeht: "Die sogenannte jüdische Lobby in den USA war keinesfalls so 'mächtig', wie die Führungsschicht um Honecker glaubte", schreibt Stefan Meining in seinem Buch "Kommunistische Judenpolitik. Die DDR, die Juden und Israel". "Die DDR-Führung ist in gewisser Weise einem antisemitischen Stereotyp aufgesessen, durch Verbesserung ihrer Beziehungen zu jüdischen Organisationen den General-Schlüssel zur US-Regierung zu bekommen."

Die klischeetriefende Logik schlägt fehl. Außerdem bröckelt der Staat ohnehin: Während der Restaurierungsarbeiten fällt die Mauer und die Wiedervereinigung kommt. Der VEB Denkmalpflege und Wolfram Kessler schließen das Synagogen-Projekt noch ab, bevor ihr Betrieb aufgelöst wird. 1994 wird die Bekrönung montiert. Geplant und gezeichnet vom Schweriner Wolfram Kessler. Heute ist die Synagoge mit ihrer Kuppel und dem Davidstern eines der sichtbarsten und bekanntesten Bauwerke in Berlin. Selbst gesehen hat Wolfram Kessler seine Arbeit nach mehr als 30 Jahren allerdings noch nicht. Aber, so sagt er, "das habe ich mir für dieses Jahr fest vorgenommen."

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