Waldemar Bonsels: Die braune Seite des "Biene Maja"-Schöpfers
"Die "Biene Maja" stammt aus der Feder eines Norddeutschen: 1912 erschien das Buch von Waldemar Bonsels erstmals. Der gebürtige Ahrensburger war Dandy und Frauenschwarm - und ein Wendehals, der sich den Nazis andiente.
"Ahrensburg hat seinen Dichter! Auf den Eintrittskarten zum Lichtspielhaus steht es schwarz auf blau, stolz, strahlend: 'Waldemar Bonsels, geb. 21. Februar 1880 zu Ahrensburg, liest aus eigenen Werken.' Man hat so Teil an ihm, fühlt sich ein bißchen mit berühmt, und der große Sohn der kleinen Stadt steht auf dem Podium im hellen Lichtspielsaal voller Menschen." aus: "Hamburgischer Korrespondent" vom 16. November 1932
Als der Autor Waldemar Bonsels im November 1932 nach fast fünf Jahrzehnten in seinen Heimatort Ahrensburg (Kreis Stormarn) zurückkehrt, steht die Gemeinde Kopf. Festlich geschmückt ist der große Saal des Lichtspielhauses, man "hatte mit dem Lorbeerhain nicht gespart", wie eine Zeitung schreibt. Der Gemeindevorsteher überreicht Bonsels eine Mappe mit historischen Fotos seines Elternhauses, eine Straße wird nach dem Dichter benannt. Besonders die jungen Besucherinnen hängen an den schmalen Lippen des Autors. Mit sanfter Stimme und verklärtem Blick trägt er aus seinen Werken vor, von denen eines ihn weltberühmt gemacht hat: "Die Biene Maja".
"Maja" seit 110 Jahren auf Erfolgsflug
Seit 110 Jahren schwirrt "Maja" mittlerweile durch die Kinderzimmer der Welt, das Buch ist in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. Die TV-Trickfilmserie mit dem Titelsong von Karel Gott aus den 1970er-Jahren entwickelt sich zum Kult. Auch die Zeichentrick-Neuauflage von 2013, für die Schlager-Star Helene Fischer das Titellied singt, ist erfolgreich. Kulleräugig prangt Maja auf Brotdosen, Müsli-Riegeln und Planschbecken. Fast jeder kennt die Kult-Biene - doch ihr norddeutscher Erfinder Bonsels ist weitgehend vergessen.
Ein mittelmäßiger Autor - und glänzender Verkäufer
"Ein kreativer Kopf war er nicht, eher ein Schriftsteller der zweiten Reihe", urteilt Bernhard Viel 2016, nachdem er die erste umfassende Bonsels-Biografie vorgelegt hat. Doch der mittelmäßige Autor Bonsels ist ein glänzender Verkäufer, der es in seinem Leben zu großem Wohlstand bringt und zu einem umschwärmten Literatur-Popstar avanciert. Charakterlich gleicht er seiner tapferen und wagemutigen Biene allerdings nicht, mehr einem schlüpfrigen Aal. Stets auf den eigenen Vorteil bedacht, windet er sich durchs Leben, immer im Dunstkreis derer, die das Sagen haben. Seien es einflussreiche Literaten - oder die Nationalsozialisten.
Waldemar Bonsels wird in Ahrensburger Apotheke geboren
An einem 21. Februar bringt Mutter Nicoline den späteren Bestseller-Autor in der Apotheke ihres Mannes als zweites von insgesamt fünf Kindern zur Welt. Der Tag von Waldemars Geburt gilt als sicher, das Jahr hingegen nicht. Bonsels selbst behauptet später, 1881 geboren zu sein. Andere Quellen geben jedoch 1880 an - und schreiben dem Schriftsteller auch in Bezug auf den eigenen Lebenslauf besondere Fabulier-Lust zu. "Er hat sich selbst immer extrem stark inszeniert und versucht, dem Bild des geheimnisvollen Dichters und Denkers zu entsprechen", so Biograf Viel.
Die Legende vom "Biene-Maja-Teich"
Vier Jahre lang lebt Waldemar mit seinen Eltern in der Apotheke im Ahrensburger Ortszentrum. Bei gutem Wetter spielt der kleine Waldemar am Bredenbeker Teich, der heute vielen als "Heimat der Biene Maja" gilt. Dies hält Bonsels-Experte Viel allerdings für eine "gut gemachte Legende". "Vielleicht hat es unbewusste Erinnerungen aus dieser Zeit gegeben, die in das Buch eingeflossen sind. Aber dass sich Bonsels später aktiv an diesen Teich aus seiner frühen Kindheit erinnert hat, scheint unwahrscheinlich." Nachdem die Familie 1884 Ahrensburg verlässt, kehrt Bonsels nur noch ein einziges Mal auf Lesereise an seinen Geburtsort zurück - zu einem Zeitpunkt, als er "Die Biene Maja" längst geschrieben hatte.
Sehnsuchtsort Kieler Hafen
Von Ahrensburg aus zieht seine Familie zunächst nach Berlin, wo Vater Reinhold Zahnmedizin studiert und praktiziert. 1890 kommen die Bonsels zurück in den Norden und leben sieben Jahre lang in Kiel. Die Schule besucht Waldemar dort allerdings nur widerwillig. Statt die Schulbank zu drücken, treibt er sich lieber in der Natur oder am Hafen herum, wo er Fischer und Schiffe beobachtet. "Das hat wohl auch seine Sehnsucht nach Reisen, Aufbruch, Abenteuer geweckt", so Forscher Viel. Die Kindheit in Norddeutschland und besonders die Nähe zur Küste hätten Bonsels stark geprägt. "Er wohnte ja später auch immer in der Nähe von Wasser - ob am Starnberger See oder auf Capri."
Der Zwangserziehungsanstalt entgangen
Den leistungsorientierten, mittelständischen Haushalt der Eltern empfindet der Schüler Waldemar als beengend. Das Verhältnis zur Mutter ist zwar innig, aber mit dem strengen, sehr religiösen Vater überwirft er sich ein ums andere Mal. Der Junge träumt von einem Vagabunden-Leben - und spielt den Sagenhelden Achill, indem er Blumen mit einem Holzschwert köpft. Als er Silberlöffel stiehlt und verkaufen will, sperrt ihn der Vater zwei Tage lang bei Brot und Wasser im Badezimmer ein. Zwischenzeitlich plant Reinhold Bonsels sogar, Waldemar in eine Zwangserziehungsanstalt zu geben, lässt auf Bitten der Mutter aber von dem Plan ab.
Kaufmannslehre statt Abitur
In Kiel verfasst Waldemar Bonsels auch seinen ersten bis heute erhaltenen Text, eine Schauergeschichte, die er seiner Schwester Anni zum Geburtstag schenkt. Die Abiturprüfungen hingegen schreibt er nicht und verlässt das Gymnasium mit 17 Jahren ohne Abschluss. Er absolviert eine Kaufmannslehre in einer Bielefelder Weberei und lässt sich später zum Missionskaufmann ausbilden. Dieses Wissen wird ihm später dabei nutzen, die eigenen Bücher zu vermarkten.
Als Dandy in Münchener Literatur-Cafés
Nach einer Indien-Reise lässt sich Bonsels in München nieder. In Schwabing gründet er 1904 einen eigenen Verlag. In elegantem Anzug, die Zigarre zwischen den Fingern, mischt er sich unter die Bohème in den Künstler-Cafés. Bonsels sucht die Nähe aufstrebender großer Literaten wie Frank Wedekind. Der Lübecker Autor Heinrich Mann wird sein Mentor. Bonsels selbst gibt den weltmännischen Dandy mit einem Faible für schöne Frauen.
Eine heimattreue kleine Biene
Nachdem Bonsels bis zu diesem Zeitpunkt mit schwülstigen, naturmystischen Romanen eher mäßig erfolgreich ist, gelingt ihm im Sommer 1911 der große Coup. Mit seiner bereits zweiten Gattin und seinen mittlerweile drei Söhnen zieht er in eine Villa in der ländlichen Idylle von Schleißheim, in deren Garten die Bienen summen. Dort schreibt er den Bestseller "Die Biene Maja". Das Tiermärchen liest sich wie eine Metapher auf das Kaiserreich, in dem die tapferen (deutschen) Bienen gegen die feindlichen Hornissen kämpfen. Deutliche militärische Anklänge finden sich an vielen Stellen:
"Und nun, da die kleine Biene an die Kraft und die Stärke der Ihren dachte, an ihre Todesbereitschaft und ihre Treue gegen die Königin, überkam sie ein hoher Zorn gegen die Feinde und zugleich ein beseligter Opferwille und ein beglückender Mut ihrer begeisterten Liebe."
Trost-Lektüre für den Soldaten an der Front
Der Abenteuerroman um die schlaue kleine Bienenheldin, die gemeinsam mit ihrem Volk die übermächtigen Hornissen besiegt, scheint als Begleitlektüre zur allgemeinen Kriegsbegeisterung dieser Jahre wie gemacht. Das Buch wird ein Bestseller. Nicht nur Kinder lesen die Geschichte mit Begeisterung, sondern vor allem Soldaten. Fast jeder, der an die Front zieht, hat "Maja" im Gepäck. "Angesichts der schrecklichen Gewalt im Schützengraben fanden die Soldaten in der 'Biene Maja' Trost, eine Illusion von heiler Welt", so Bonsels-Biograf Viel nach seiner Buch-Veröffentlichung.
Jüdischer Intellekt "Gefahr für die deutsche Nationalseele"
Auch nach dem Ersten Weltkrieg setzt die "Biene Maja" ihren Siegesflug fort. Der mittlerweile wohlhabende Bonsels baut sich eine große Villa am Starnberger See und ein Haus auf Capri. Dort weilt er, als ihn 1933 die Nachricht von der Machtergreifung Hitlers erreicht. Und er, der vormals gute Kontakte auch zu jüdischen Autoren wie Lion Feuchtwanger pflegte und deren Werke gewinnbringend verlegte, setzt sich umgehend an den Schreibtisch und verfasst einen Artikel mit der Überschrift "Begründungen". Darin schreibt er, der jüdische Intellekt sei eine Gefahr für die zarte junge deutsche Nationalseele, "das zehrende Gift an der Unbefangenheit des deutschen Gemüts". Daher müsse Deutschland die Übermacht des Judentums eindämmen. Den Text schickt Bonsels an Joseph Goebbels' Propagandaministerium, das ihn umgehend in mehreren Zeitungen abdrucken lässt.
Goebbels persönlich gratuliert zum Geburtstag
"Er hat sich nie offen rassenideologisch geäußert, sondern immer versucht, seine Judenfeindschaft kulturtheoretisch zu begründen", so Bonsels-Experte Viel. Dies erscheint umso perfider, als Bonsels die spätere Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten so als "kulturelle Notwehr" zu legitimieren versuchte. Bei den Nazis kommt das gut an: Zum runden 60. Geburtstag schickt ihm Propagandaminister Goebbels höchstpersönlich ein Glückwunschtelegramm. 1943 lässt Bonsels für einige nationalsozialistische Funktionäre den kriegsverklärenden Christusroman "Der Grieche Dositos" drucken.
Wenige Monate Publikationsverbot
Als der Zweite Weltkrieg vorbei ist, versucht der Wendehals Bonsels, sich vor den Alliierten als Opfer der nationalsozialistischen Politik zu inszenieren - doch diesmal geht sein Plan nicht auf. Er hält Publikationsverbot, wenn auch nur für wenige Monate. 1952 stirbt er in seiner Ambacher Villa. "Die Biene Maja" überlebt ihren zwielichtigen Vater bis heute.