60. Todestag von Bertha Keyser: Der echte "Engel von St. Pauli"
Bertha Keyser hat sich ein halbes Jahrhundert lang um die Armen und Obdachlosen in St. Pauli und der Neustadt gekümmert. Am 21. Dezember 1964 starb der "Engel von St. Pauli". Die Erinnerung an sie ist noch immer lebendig.
"Sie war eine kleine, zähe, strenge, fromme Frau", sagt Michel-Hauptpastor Alexander Röder dem NDR 2014. Das hätten ihm die älteren Gemeindemitglieder immer wieder berichtet. Ein halbes Jahrhundert hat Bertha Keyser in der Hamburger Neustadt und auf St. Pauli Armenspeisungen organisiert. "Sie hat alles zusammengebettelt und regelmäßig bis zu 650 Mahlzeiten am Tag ausgegeben", sagt Röder. "Es muss hier ein unvorstellbares Elend gegeben haben."
Kampf gegen den Hunger
Der "Engel" hatte auch Gegner. Kommunisten wollten die Hilfe für die Armen verhindern und hofften stattdessen auf die Revolution. "Sie wollten ihre Gulaschkanone umschmeißen, schrien Parolen und versuchten, die Arbeiter davon abzuhalten, sich Nahrung zu holen", erzählt Röder. Der Hunger sei aber stärker gewesen als die Ideologie.
Von der Kammerzofe zur Missionarin
Als sie 1913 nach Hamburg kam, hatte Bertha Keyser schon ein bewegtes Leben hinter sich. Nach ihrer Schulzeit absolvierte sie eine Bäckerlehre. Dann war sie als Kindermädchen in England und als Kammerzofe einer Gräfin in Paris gewesen und hatte in Frankreichs Hauptstadt als Gefängniswärterin gearbeitet. Der raue Hamburger Kiez war ein neues Abenteuer für die Frau aus dem kleinen Ort Maroldsweisach in Unterfranken, wo sie am 24. Juni 1868 geboren wurde.
Finanziert hat sie ihre soziale Arbeit in Hamburg anfangs auch, indem sie die berüchtigten Kriegspredigten des damaligen Michel-Hauptpastors August Wilhelm Hunzinger verkaufte. Ihre Frömmigkeit war einfach und rustikal, aber sie konnte zupacken. Bertha Keyser kümmerte sich auch um Prostituierte. "Sie hat immer nur die Sünde verurteilt, nie den Sünder", erzählt Röder.
Helfend noch im Rollstuhl
Weil Nachbarn sich immer wieder beschwerten, musste Bertha Keyser in Hamburg oft umziehen, um weiter für die "Sperlinge Gottes", wie sie ihre Klienten nannte, arbeiten zu können. Zum Schluss hatte sie im Bäckerbreitergang eine kleine Ladenwohnung. Noch im hohen Alter versorgte sie dort jeden Tag etwa 100 Hungrige mit Essen und Kleidung. "Sie wurde im Rollstuhl von vier Männern rausgetragen, damit sie weiter ihre Mission zu betreiben kann - bis zum letzten Atemzug", sagt Röder 2014.
Hamburg trauert um den "Engel von St. Pauli"
Bertha Keyser starb am 21. Dezember 1964 im Alter von 96 Jahren - mitten in der Arbeit. Den Trauerzug zum Friedhof Ohlsdorf begleiteten 500 Menschen. "Die Zeitungen vermeldeten, dass sowohl Herren in Zylinder und Damen in Pelzmantel als auch abgerissene Typen von St. Pauli zu dieser Trauerfeier gekommen sind und in der Trauer um sie vereint waren", erzählt Michel-Pastor Röder. Freunde sammelten Geld für den schlichten Grabstein mit den eingravierten Worten "Geh auch Du in den Weinberg".
Heute erinnern der Bertha-Keyser-Weg auf St. Pauli, eine Gedenktafel an ihrem letzten Wohnhaus im Bäckerbreitergang sowie ein Porträt in der Krypta der St. Michaeliskirche an sie. Vor allem ihr Name ist immer noch lebendig: der "Engel von St. Pauli". Im Musical "Heiße Ecke" im Schmidt’s Tivoli ist ihr ein Lied gewidmet worden. Der Engel in diesem Song ist die unerwartete gute Tat. Bertha Keyser hat dafür gelebt.