Bibeln und Spucknäpfe für Schwedens Seeleute
Schweden schicken waggonweise Spenden nach Deutschland
In den Kriegs- und Nachkriegsjahren kümmert sich eine Frau ganz besonders um die Notleidenden: Ragna Norström. Die als Lehrerin der schwedischen Schule angestellte Frau organisiert Essen, Hilfsmittel und Notunterkünfte für obdachlos gewordene Menschen. Auf ihr Betreiben hin sammeln die Menschen in Schweden Spenden und schicken Güterwaggons mit Tonnen von Kleidung, Haushaltsgeräten, Essen und mehr nach Deutschland.
"Schwer zu sagen, wer sich darüber am meisten freut, die Kinder über neue Schuhe oder die Hausfrau, die stolz mit Haushaltsutensilien unterm Arm davongeht, glücklich, eine Abwaschbalje (= Zuber, die Redaktion) oder prima rostfreie Bestecke aus Schweden ergattert zu haben", heißt es in einem zeitgenössischen Bericht.
Luftschutzbunker wird zum Freizeitraum
Anfang der 1950er-Jahre haben sich die Verhältnisse weitgehend normalisiert. Der Luftschutzbunker wird zu einem Freizeitkeller umgebaut, in dem Jugendliche Billard und Tischtennis spielen. "Wo vorher Menschen in Angst und Schrecken beieinander kauerten, sollte nun edlem, jugendlichem Wettstreit unter fröhlichem und freiem Vorzeichen Raum gegeben werden", schreibt Pastor Stig Andreasson. Auch Busse mit schwedischen Touristen auf dem Weg in den Süden machen in dieser Zeit gern Halt in der Ditmar-Koel-Straße.
Lkw-Fahrer "die Seeleute der heutigen Zeit"
Als 1969 der Hamburger Containerhafen den Betrieb aufnimmt, bedeutet dies einen Wendepunkt in der Geschichte der Seemannsmission. Da das Löschen und Befrachten der Schiffe nun wesentlich schneller geschieht und die Liegezeiten der Schiffe nur noch wenige Stunden betragen, erreichen die Kirchenleute immer weniger Seemänner.
Dafür kommen im Laufe der folgenden Jahre neben den Hamburger Schweden immer mehr skandinavische Arbeitsmigranten in das Gotteshaus am Hafen, ob Handwerker oder Lkw-Fahrer, die "Seeleute der heutigen Zeit, diesen in Art und Umgang nicht unähnlich", wie es ein Pastor formuliert. Auch Studenten gehen zunehmend ein und aus. Teilweise beaufsichtigen die Pfarrer sogar Prüfungen von Teilnehmern an schwedischen Fernstudiengängen.
Erst 1997 erhält der Kirchturm eine Uhr
Bis 1997 können die Besucher der Gustaf-Adolfskyrkan an dieser übrigens nicht erkennen, ob sie pünktlich zum Gottesdienst oder einer anderen Veranstaltung kommen: Eine Kirchturmuhr fehlt. Erst zum 90-jährigen Bestehen werden die bereits vorhandenen leeren weißen Uhrentafeln nach der Spende eines Gemeindemitglieds mit Zeigern und Zahlen versehen.
Das letzte Stündlein hat der Kyrkan längst nicht geschlagen. Allerdings sind die Zeiten in finanzieller Hinsicht schwieriger geworden, seit die schwedische Kirche 2010 entschieden hat, ihre Seemannskirchen im Ausland nicht mehr zu unterstützen. Seitdem finanziert sich die Hamburger Kyrkan ausschließlich durch Spenden. 2012 verkauft die Kirche das Gebäude an einen Unternehmer. "Zum Glück ist er Schwede und Gemeindemitglied", sagt die Vorsitzende Kristina Ekelund.
Auch Königspaar schätzt die Atmosphäre
Sie freut sich über das rege Gemeindeleben und die vielen Besucher - unter ihnen bisweilen so prominente Personen wie das schwedische Königspaar, das die warme und fröhliche Atmosphäre dort sehr schätzen soll.
Moralisiert wie in den Anfangszeiten wird längst nicht mehr. Doch mit zahlreichen Festen, dem seit 1898 jährlich veranstalteten Weihnachtsbasar und dem Kirchenchor, ist sie für viele Schweden heute weiter das, was sie schon einst für die Seeleute war: ein Stück schwedischer Heimathafen in Hamburg.
- Teil 1: Bibel statt Bordell im "Hort der Sinnlichkeit" Hamburg
- Teil 2: 1920er-Jahre: "Leseraum oft voll von Betrunkenen"
- Teil 3: Schweden schicken waggonweise Spenden nach Deutschland