Stand: 21.12.2013 13:00 Uhr

Bibeln und Spucknäpfe für Schwedens Seeleute

"Nicht fluchen!" "Nicht auf den Boden spucken!" "Schreib nach Hause!"

Die Pappschilder im Gemeinschaftsraum der schwedischen Seemannskirche in den 1920er-Jahren zeugen von einer Zeit, in der das Gebaren vieler Matrosen rau wie die See ist. Arbeitslosigkeit und Inflation greifen um sich. Viele Männer nicht nur schwedischer Nationalität kommen zur Gustaf-Adolfskyrkan, um nicht auf der Straße sein zu müssen. Sie wärmen sich bei einem Kaffee auf, lesen, schreiben Briefe und zielen gelegentlich in die bereit gestellten Spucknäpfe, die im Raum verteilt sind. Wer abends kein Dach über dem Kopf hat, darf über Nacht bleiben.

"Ich weiß nicht, wie viele Matratzen schon auf diesem Boden gelegen haben", sagt Kristina Ekelund heute. Die Vorsitzende der schwedischen Kirchengemeinde in Hamburg hat sich intensiv mit der Historie der evangelisch-lutherischen Seemannskirche auseinandergesetzt und die Festschrift zum 100. Geburtstag des Gebäudes im Jahr 2007 verfasst. Doch die Geschichte der schwedischen Seemannsmissionstätigkeit in Hamburg beginnt noch früher, und zwar 1883.

Bibel statt Bordell im "Hort der Sinnlichkeit" Hamburg

In diesem Jahr kommt Pastor Olsson, zuvor Missionar in Afrika, auf Bestreben der "Evangeliska Fosterlandsstiftelsen" (Evangelische Heimatlandstiftung, EFS) nach Hamburg. Er will die schwedischen Seemänner in diesem "Hort der Sinnlichkeit und des Materialismus", wie er die Hansestadt nennt, auf den rechten Weg bringen. Bibelstudium statt Bordellbesuchen, Kirchenlieder statt Kneipengegröhle.

Die Schifffahrt boomt im auslaufenden 19. Jahrhundert - und mit ihr wächst die Zahl der Menschen aus den nordischen Ländern in der Hansestadt. Immer mehr skandinavische Schiffe laufen in den Hafen ein. Auch an Bord deutscher und englischer Frachter heuern regelmäßig Schweden an. Insgesamt gelangen jährlich etwa 34.000 skandinavische Seeleute in die Stadt.

Anfangs feiert Gemeinde Gottesdienste in der englischen Kirche

Doch um eine Seemannsmission zu betreiben, fehlen Pastor Olsson zunächst geeignete Räumlichkeiten. Er hält Andachten an Bord der Schiffe und später mehrere Jahre lang in der englischen Kirche in der Großen Hafenstraße. Zudem ist am Grasbrook und am sogenannten "Petroleumhafen [...] ein Leseraum eingerichtet worden. Hier wird die edle Saat fleißig gesät", heißt es in einem zeitgenössischen Bericht.

Olsson und seine Nachfolger warten nicht, bis die skandinavischen Seeleute den Weg zu ihnen finden, sie rudern hinaus zu den ankernden Schiffen und besuchen die Matrosen. "Im Hafen fuhr ich in unserem kleinen Ruderboot über Wellen und Wogen auf dem Strom, wo Schlepper kreuz und quer fuhren, oft kilometerweite Strecken. Schiff nach Schiff wurde besucht, Bücher wurden verkauft, Traktate verteilt", schreibt ein Missionshelfer aus dieser Zeit. Auch die Patienten in den Krankenhäusern und die Gefangenen in Fuhlsbüttel erhalten Besuch von den schwedischen Kirchenleuten.

Im November 1903 nimmt der lang gehegte Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus für die Skandinavier Form an: Mithilfe von Spenden und Unterstützung der Evangelischen Vaterlandsstiftung (EFS) erwirbt die Kirche ein Grundstück in unmittelbarer Hafennähe. Preis: 37.212 Mark.

Seit 1907 steht die Gustaf-Adolfskyrkan

Vier Jahre später steht der Backsteinbau an der Ditmar-Koel-Straße und wird am 12. Mai 1907 feierlich eingeweiht. Neben dem Kirchensaal, Lese- und Schreibräumen finden sich hier mehrere Wohnungen und das Pastorat. Später kommt eine schwedische Schule hinzu. Die finnische Seemannsmission bekommt einen eigenen Leseraum. Die Seeleute wie auch viele der in Hamburg wohnenden etwa 1.800 Schweden kommen gern. Häufig sind die Gottesdienste überfüllt.

Dies ändert sich schlagartig mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Hamburger Hafen ist für nicht-deutsche Schiffe gesperrt. Dennoch gibt es für die Mitglieder der Gemeinde viel zu tun. Sie kümmern sich um in Hamburg verbliebene Not leidende Schweden. Zur Weihnachtsfeier im Jahr 1917 schaffen sie es, "echten Kaffee", das schwedische Leib- und Magengetränk, zu organisieren. Den Hefekuchen berechnen sie für etwa 40 Leute - es kommen 90.

Dieses Thema im Programm:

Rund um den Michel | 26.12.2016 | 17:30 Uhr

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