Wie ein Eiscafé in Ratzeburg zum Kult wurde
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
von Lisa Pandelaki
Segelschiffe und Tretboote schaukeln sanft auf dem Wasser, in dem sich der blaue Himmel spiegelt. In der Mitte des Sees erhebt sich die Stadtinsel Ratzeburgs, dominiert von den roten Mauern und grünen Dächern des Doms. Es ist einer der ersten Frühlingstage des Jahres, und die Stadt im Kreis Herzogtum-Lauenburg zeigt sich von ihrer Schokoladenseite. Die schönste Aussicht auf Stadtinsel und Dom bietet sich wohl dort, wo Königsdamm und Bäker Weg aufeinander treffen. Dort steht ein reetgedecktes Haus aus roten Klinkersteinen. Davor hat sich eine gerade kleine Schlange gebildet. Hier wird Eis aus eigener Herstellung verkauft. Und das schon seit gut 70 Jahren.
Wo früher das Eiscafé Globert stand, steht heute das Eiscafé Bruhn. Das Gebäude ist im Laufe der Jahre erweitert worden. Eine zeitlang war im hinteren Teil sogar ein Lokal und später ein Restaurant.
Inspiriert von Eismaschinen aus den USA
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kam Gerhard Globert aus der Kriegsgefangenschaft mit leeren Händen nach Ratzeburg. Während seiner Zeit bei der Marine hatte er in den USA Eismaschinen gesehen. Daran erinnerte er sich nun, erwarb ein Gerät und begann an einem kleinen Stand auf dem Königsdamm das erste Eis in Ratzeburg zu verkaufen. Durch harte Arbeit und mit Hilfe seiner Frau Thea eröffnete er einige Jahre später eine richtige kleine Eisdiele am Königsdamm, Ecke Bäker Weg.
Einen schöneren Blick auf den Ratzeburger See und Dom als hier gibt es nicht. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Traumhafte Lage
"Damals herrschte eine ganz andere Infrastruktur. Das Gebiet um den Königsdamm hatte alles, was man brauchte", erinnert sich Ulrich Gehrke an das Ratzeburg seiner Kindheit. Es gab einen Kaufmann, einen Gemüsewarenladen, einen Fleischer, eine Bäckerei, einen Kiosk - und eben die Eisdiele Globert. Dort, wo die Aussicht auf den Dom am schönsten ist, kam Gehrke immer auf dem Schulweg vorbei. Und auch wenn das Geld in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht unbedingt lose im Portemonee saß: Ein paar Pfennige für eine Kugel Eis war doch schon mal drin.
Der Ratzeburger Dom thront über der Stadt und ist von allen Seiten aus gut zu sehen. Das Gotteshaus wurde im Mittelalter im romanischen Stil errichtet und ist eines der ältesten kirchlichen Bauwerke in Schleswig-Holstein.
Die Schraube im Eis
"Wir sind sehr gerne zu Herrn Globert gegangen. Damals kostete die Kugel Eis fünf Pfennig", erzählt Gehrke. An eine Begebenheit erinnert er sich noch genau. Er und ein Freund holten sich bei Golbert eine Kugel Eis - geteilt auf zwei Waffeln. Mit dem Eis in der Hand schlenderten sie am See entlang, vorbei an den Tretbooten der Segelschule Morgenroth. "Plötzlich entdeckte mein Freund Hubertus eine Schraube in seinem Eis. Da waren wir natürlich etwas entrüstet, wie man es als kleiner Junge eben ist. Wir sind dann hingegangen: 'Herr Globert, was ist das denn?' 'Oh, das ist ja toll, gut dass du gekommen bist, die Schraube gehört unten in mein Rührwerk, hier haste ein neues Eis.'" Damit war für die Jungs die Welt wieder in Ordnung.
Beliebtes Freizeitziel für Hamburger
"Fietje Globert", wie die Ratzeburger ihn nannten, kannte jeder. Großgewachsen, schlank, oft mit einer weißen Matrosenmütze auf dem Kopf, mit norddeutschem Dialekt und sehr unterhaltsam - ein feiner Kerl, erinnert sich Gehrke. Man sagt über Globert, er habe die Stelle an der Ecke Königsdamm und Bäker Weg gesehen und gesagt: "Hier muss man eine Eisbude eröffnen." Und das Geschäft lief dann auch gut. Viele Hamburger verbrachten damals ihre Freizeit in Ratzeburg, und bis heute ist die Eisdiele an dieser Stelle eine Institution. Auch später, als viele Läden aus der Vorstadt in den Stadtkern wanderten, blieb die Lage am Königsdamm eine gute. Denn die Menschen kamen auf ihrem Hin- und Rückweg in die Stadt weiterhin bei Globert vorbei.
Menschen aus der Vorstadt kamen beim Gang zum Markt mit seinen Einkaufsmöglichkeiten auch immer beim Eiscafé Globert vorbei.
Ein Herz für die Kunden von morgen
Eigentlich hat die Kugel Eis damals zehn Pfennig gekostet, doch Globert hat es oft nicht so eng gesehen. Vor allem, wenn es um Kinder ging, weiß Armin Bruhn, der heutige Besitzer des Eiscafés. Wenn die Kinder kamen, Globert ihr Herz ausschütteten, aber nur fünf Pfennig in der Tasche hatten, gab es eben trotzdem ein Eis. "Das sind die Kunden von morgen, hat er gesagt, und das immer so propagiert," erklärt Bruhn. Seine Schwiegermutter übernahm den Eisbetrieb und das angebaute Lokal 1979 von Globert, der sich anschließend zur Ruhe setzte.
Grenzöffnung sorgt für Belebung
Nach der Grenzöffnung 1990 war in Ratzeburg schlagartig mehr los. Dafür sorgte der Durchgangsverkehr von Ost nach West und umgekehrt. Für das Eiscafé am Königsdamm hatte diese Entwicklung nicht nur positive Auswirkungen. Denn bis heute kommt der meiste Verkehr von Norden her in die Stadt, und dort gibt es Konkurrenz: ein weiteres Eiscafé. Viele Menschen auf der Durchreise bleiben eher dort hängen.
Auch der Marktplatz hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Geschäfte des täglichen Bedarfs, wie der Möhlersche Haushaltswarenladen an der Ecke zur Domstraße, sind verschwunden. Mehrere Gastronomiebetriebe haben ihren Platz eingenommen.
Zurück zu den Wurzeln
Trotzdem lassen sich Armin Bruhn und seine Frau nicht abschrecken und übernehmen 2002 den Eisladen am Königsdamm. "Ich habe meinen Job gekündigt und dann mit 40 angefangen, das Eismachen zu lernen." Gemeinsam beschließen die Bruhns, zu den Wurzeln des Betriebs zurückzukehren und sich nur noch auf Eis und Kuchen zu konzentrieren. Das zugehörige Lokal schließen sie. Ihr Eis stellen die Bruhns, wie Globert damals, selbst her - ausschließlich aus natürlichen Zutaten und teilweise noch nach den globertschen Rezepten. In diesem Jahr ist Bruhns Sohn mit in das Geschäft eingestiegen. Er möchte das Angebot mit einem Pralinensortiment ergänzen. "Wenn Sie ein Geschäft erfolgreich führen wollen, das gut gelaufen ist, machen Sie es genauso weiter. Dann läuft es auch", ist sich der Eismann sicher.
Einen weiteres Traditionsunternehmen in Ratzeburg ist die Buchhandlung Weber in der Herrenstraße. Sie hat sich ebenfalls über die Jahre gehalten und feierte im vergangenen Jahr 150-jähriges Bestehen. Eröffnet wurde die Buchhandlung 1867 von Max Schmidt, inzwischen ist sie nach mehrmaligem Besitzerwechsel in den Händen von Harald Weber.
"Für mich immer noch Globert"
Heute sind es sein Name und sein Gesicht, die natürlich vor allem Kinderaugen zum Leuchten bringen. Doch auch der Name 'Globert' ist vielen Ratzeburgern noch immer ein Begriff. "Ich sehe ihn noch da stehen mit seinem riesengroßen, hölzernen Löffel. Ich nehme mal an, der war so 1,20 Meter lang, und damit rührte er sein Eis", erzählt Ulrich Gehrke. "Für mich ist der Eisbetrieb unten am Königsdamm immer noch Globert, auch wenn Herr Bruhn jetzt da drin ist."
Eine Postkarte von 1920 zeigt eine satirische Collage vom Marktplatz Ratzeburgs in der Zukunft. Von dem erwarteten Verkehrschaos ist heute nichts zu sehen.
Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version des Artikels stand, dass die Herrenstraße den Königsdamm mit dem Marktplatz verbindet. Richtig ist, dass die Langenbrücker Straße Marktplatz und Königsdamm miteinander verbindet.