Wie Sylts Blütezeit die Friedrichstraße veränderte
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte bei uns im Land dokumentieren. Ein interaktiver Fotovergleich macht das besonders deutlich.
Sylt in den 1950er-Jahren: Ein paar Jungs in kurzen Hosen spielen auf der Friedrichstraße und der angrenzenden Bismarckstraße in Westerland Fußball. Heute undenkbar, damals Alltag. "Die Bismarckstraße war noch eine Sandpiste", erinnert sich Jochen Pförtner. Seine Familie betrieb von 1919 bis 1992 ein Fotogeschäft auf der Friedrichstraße. Den Namen erhielt die Straße 1888: Der Kapitän Friedrich Erichsen und der Kaufmann Friedrich Wünschmann hatten für den Straßenbau unentgeltlich ihre Grundstücke zur Verfügung gestellt. Zum Dank benannte man die Straße nach ihnen.
In den 1960er- und 1970er-Jahren zeigte sich die Nachkriegsgeneration gerne im und vor allem vor dem Café Orth. Bis 1972 durfte man noch mit dem Auto vorfahren. Danach war Schluss: die Friedrichstraße wurde zur Fußgängerzone.
Vom Restaurant zum Fotogeschäft
Jochen Pförtners Großvater kauft Anfang der 1920er-Jahre das "Haus Seestern" in der Friedrichstraße, eine Backsteinvilla mit Türmchen und Veranda, damals ein Restaurant. Der Kaufpreis: 36.000 Reichsmark. "Das war viel Geld damals", sagt Jochen Pförtner. Sein Großvater lässt einen Teil des Gebäudes abreißen und baut ein Fotogeschäft auf. Die Familie lebt unter anderem von der Strandfotografie. "Aber es kamen auch viele, die ihre Hochzeitsfotos bei uns machen ließen oder ihre Filme zum Entwickeln abgaben", erzählt Jochen Pförtner.
Die Kurpromenade in Westerland vor dem Bau des neuen Kurzentrums - das wurde in den Jahren 1966 bis 1968 gebaut. Viele Villen im Bäderstil wurden dafür damals abgerissen.
Aufbruchstimmung in der Friedrichstraße
Mitte der 1960er-Jahre kündigten sich einschneidende Veränderungen für das an die Friedrichstraße grenzende Kurzentrum in Westerland an: Die ersten schmucken Bäderstilvillen müssen mehrgeschossigen Appartementsblocks weichen. Von 1966 baut ein Stuttgarter Investor einen ganzen Gebäudekomplex an der Kurpromenade. "Dem Investor war es gelungen, die Interessen von drei Hoteliers zu bündeln. Deren Häuser waren in die Jahre gekommen. So bekamen sie neue Hotels, sparten sich aufwendige Sanierungsarbeiten", erzählt Peter Matthiesen. Die Hotels Roth, Wünschmann und Mon Bijou sowie die damalige Kurverwaltung werden abgerissen und neu gebaut.
Im "Anton Arp" Haus gab es damals einen Mischwarenladen. 1977/1978 wurde das Haus laut Bauamt Westerland zu einem Schnellrestaurant umgebaut.
Friedrichstraße wird Fußgängerzone
Anfang der 1970er-Jahre kündigt sich eine weitere große Veränderung an. Einigen Geschäftsleuten wird es zu viel mit den Autos. Darunter auch Peter Matthiesen, der seinerzeit Vorsitzender der "Jungen Sylter Unternehmer" ist. "Das war ein einziger Kreisverkehr, Friedrichstraße rauf, Strandstraße runter." Die öffentliche Diskussion darüber ist kontrovers. "Das war zu der Zeit kein Selbstgänger, eine Straße in eine Fußgängerzone umzuwandeln", erinnert sich Peter Matthiesen. Vor allem die FDP, die damals noch eine große Rolle auf Sylt spielte, sei dagegen gewesen, sagt er. Viele Parteimitglieder waren damals Unternehmer auf der Friedrichstraße.
"Als es losgehen sollte mit dem Bau, haben sie einen Sitzstreik organisiert und auch selbst daran teilgenommen", sagt Matthiesen. Der Stadtrat von Westerland setzte sich 1970/72 wie folgt zusammen: dreizehn Vertreter der SPD, neun der CDU, einer der FDP, einer vom SSW. Der stellvertretende Vorsitzende des heutigen FDP-Bezirksverbands Sylt, Karl-Udo Rühl, beschreibt die Bedeutung der FDP Anfang der 1970er-Jahre in Westerland als eher gering. Gebracht hat der Protest ohnehin nichts: Seit 1972 ist die Friedrichstraße Fußgängerzone.
Von 1951 an betrieb die Sylter Meierei Genossenschaft an der Kurpromenade in Westerland eine Milchkurhalle. Das Angebot: rund 130 Milchspeisen. 1998 wurde der Betrieb umstrukturiert. Das Gebäude steht noch und beherbergt heute ein beliebtes Strand-Restaurant.
Verkehrsberuhigte Zone gefiel nicht allen
In den 1970er-Jahren sind die Geschäfte in der Friedrichstraße noch fast alle in Sylter Hand und auch am Bedarf der Einheimischen orientiert. Es gab ein Lebensmittel- und Elektrogeschäft, einen Radio- und Fernsehladen, Cafés. "Ein ganz normales, kleinstädtisches Einzelhandelsumfeld. Und alles in Sylter Hand", erzählt Peter Matthiesen. 50 bis 60 Quadratmeter, größer sind die Geschäfte nicht. "Mit den großen Läden, das kam erst später, als die Filialisten die Friedrichstraße für sich entdeckt hatten", sagt er.
Gebaut im Jahr 1908, war hier von 1952 an ein Geschäft für ostasiatische Antiquitäten ansässig. 1985 übernimmt eine Kette aus Osnabrück das Gebäude.
Pachten verdoppeln sich
Kostete der Quadratmeter Anfang der 70er-Jahre noch 35 bis 40 D-Mark, sind es in den 1980er-Jahren deutlich mehr: "Das hat sich verdoppelt", betont Peter Matthiesen. Bis kurz vor Einführung des Euros im Januar 1999 hätten die Pachten bei rund 100 D-Mark pro Quadratmeter gelegen. Anfang der 1980er-Jahre zieht mit Coop die erste Filiale einer großen Kette in die Friedrichstraße ein. Das Unternehmen hatte das Haus von einer alt eingesessenen Sylter Familie gekauft, den Düysens. Im Jahr 2009 wird das damalige "Düysen Haus“ abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
Viele Sylter und Gäste trauern ihm noch heute hinterher: dem Meerwasser-Freibad in Keitum direkt am Wattenmeer. Gebaut 1969, wurde es 2007 abgerissen. Es sollte eine Therme entstehen. Doch das Projekt scheitert, jahrelang verschandelte eine Bauruine den Blick auf das Wattenmeer. 2017 dann der Abriss. Das Traumgrundstück am Wattenmeer ist bislang unbebaut.
"Heute würde man die ursprünglichen Villen restaurieren"
Heute gehören die Filialen großer Ketten aus allen Branchen zur Friedrichstraße dazu: Ob aus Mode, Kosmetik, Einrichtung oder Fast Food - was viele Sylter heute als Bausünde bezeichnen, wird damals als Erfolg betrachtet. "Heute würde man die ursprünglichen Villen restaurieren. Doch das war eine andere Zeit nach dem Krieg", meint Peter Matthiesen.