Das historische Bild zeigt den Strand von Schönberg voller Badegäste, die um die zahlreichen Strandkörbe kleine Wälle gebaut haben. © Projekt Spurensuche

Schönberger Strand: Mit dem Zug zu Tausenden an den Strand

Stand: 14.08.2021 06:00 Uhr

Im Jahr 1914 ist der Bahnhof im Schönberger Ortsteil Schönberger Strand eröffnet worden. Die Züge waren damals voll. Reisende saßen auch auf den Dächern. Wie war es früher, wie ist es heute? Schönberger erzählen.

von Maja Bahtijarević

Der schwere Zug schiebt sich langsam in den kleinen Bahnhof. Die Maschine faucht und stöhnt, mit einem schrillen Quietschen kommen die Räder auf den Gleisen zum Stehen. Die Türen gehen auf - und mehr als 500 Menschen ergießen sich über den einzigen Bahnsteig, verteilen sich wie Ameisen über die Schienen. Es muss laut gewesen sein im neuen Bahnhof, damals vor mehr als 100 Jahren, als die ersten Züge überhaupt in Schönberger Strand (Kreis Plön) ankamen.

Ein historisches Bild zeigt Hunderte Menschen am Bahnhof Schönberger Strand, datiert mit "um 1912" © Projekt Spurensuche Das Bild zeigt den stillgelegten Bahnhof Schönberger Strand mit historischen Waggons © Projekt Spurensuche

Um das Jahr 1914 ist der Bahnhof im Schönberger Ortsteil Schönberger Strand eröffnet worden. Die Züge seien voll gewesen damals, so dass die Urlauber und Reisenden auch auf den Dächern saßen, erzählt Zeitzeugin Karin Linnig. (Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie das Schönberg von früher und heute vergleichen. Verschieben Sie den Regler einfach mit der Maus oder dem Finger auf Smartphone und Tablet.)

Badegäste auf den Zugdächern

Gut 20 Waggons hatte die Lokomotive durch die Probstei geschleppt auf ihrem Weg an die Küste am Rande der Kieler Förde. Die lange Fährte von schwarzem Ruß in der Luft löste sich ganz langsam über den Feldern auf. "Ja, ja, die Züge", erzählt Karin Linnig, "die waren voll beladen. Die Badegäste saßen auf den Dächern, wenn die Züge aus Kiel kamen." Die "Hein-Schönberg" fuhr Anfang des 20. Jahrhunderts ein paar Jahre aus der Landeshauptstadt raus mit Endstation Schönberg, ab etwa 1914 dann auch bis zum Ortsteil Schönberger Strand.

Linnigs eigene Erinnerung kommt aber aus einem späteren Jahrzehnt, es müssten so die 50er-Jahre sein, sagt sie. "Ich bin ja erst 1935 geboren - das muss gewesen sein, als ich schon konfirmiert war." Als vierte von fünf Töchtern eines Fischers und seiner Frau lebte Karin Linnig als Kind an der Promenade mit Blick aufs Wasser, am östlichen Teil, der in den Stakendorfer Strand übergeht.

Das historische Bild zeigt das Haus von Wilhelm Linnig, er steht mit Frau Ella davor, die Kinder sitzen auf einem Wall am Weg, der das Grundstück abgrenzt. © Projekt Spurensuche Vor dem ehemaligen Haus des Fischers Wilhelm Linnig an der Promenade in Schönberger Strand fahren Urlauber mit Fahrrädern vorbei. © Projekt Spurensuche

Walter Linnig war einer der Fischer im Ort. Dort, wo Schönberger Strand in Stakendorfer Strand übergeht, steht noch heute das Haus, das er mit seiner Frau Ella und den insgesamt fünf Töchtern Helga, Lilli, Hilde, Karin und Annemarie bewohnte.

Das Wohnzimmer für die Touristen

Das erste Hotel in Schönberger Strand wurde den Aufzeichnungen nach 1902 gebaut: das Hotel "Seelust". Doch solange sie denken kann, habe ihre Mutter Ella das Wohnzimmer vermietet, sagt Karin Linnig. "Wir hatten es nur ganz klein, nur Flur, Küche, Wohnzimmer und oben. Wir kannten das gar nicht anders - und das war schön." Schon vor ihrer Geburt sei das so gewesen. "Da gab es den Tourismus schon, da haben sich die Gäste in den Hotels eingemietet: im 'Seelust', dem 'Haus am Meer', 'Heuers Hotel' oder im 'Strandschlösschen'. Und Privatleute haben dann auch ihre Zimmer vermietet."

Nachdem Vater Walter im Zweiten Weltkrieg verschollen war, arbeitete Mutter Linnig unter anderem in einem der Betriebe an der Promenade. "Meine Mutter hat dort gekocht, und wenn Mittag war, dann wurde da mit einer große Glocke an der Treppe vorne geklingelt - und dann kamen die Badegäste alle rein zum Essen."

Das historische Bild zeigt das erste Hotel in Schönberger Strand "Seelust" vom Wasser aus. © Projekt Spurensuche Das Bild zeigt die Stelle, an der das Hotel "Seelust" gestanden hat - heute ist dort eine Ferienhaussiedlung, davor ein langer Deich. © Projekt Spurensuche

Das erste kleine Hotel an Schönberger Strand war laut der "Spurensuche" das Hotel "Seelust", das 1902 erbaut wurde. Ende des Zweiten Weltkriegs wurde dort ein Lazarett für die Soldaten errichtet, danach fanden geflüchtete Menschen darin eine Unterkunft. 1975 wurde "Seelust" abgerissen - stattdessen stehen dort heute Blöcke mit Ferienwohnungen.

Eigene Sandburgen bauen

Der Strand sei völlig anders gewesen früher, erzählt Linnig. Mit dem alten Deich bis 1974 hatte der Sand viel näher an der Promenade begonnen. Gefühlt sei viel mehr Platz gewesen - so viel, dass sich jeder einen kleinen Sandwall um den Strandkorb bauen konnte, die eigene kleine "Sandburg".

Das historische Bild zeigt den Strand von Schönberg voller Badegäste mit kleinen Wällen um die Strandkörbe herum, Wimpelchen wehen dazuwischengespannt im Wind, Kinder spielen im Sand. © Projekt Spurensuche Menschen laufen über den Deich in Schönberger Strand - genau dort war vor hundert Jahren noch der Beginn des Sandstrandes. © Projekt Spurensuche

Heute laufen Menschen über den Deich in Schönberger Strand. Genau dort war vor 100 Jahren noch der Beginn des Sandstrandes - voller Badegäste mit kleinen Wällen um die Strandkörbe herum

Sandförmchen stibitzen

Wenn Karin Linnig erzählt, klingt es nach goldenen Kindheitstagen. "Wir waren den ganzen Tag am Strand, meine Freundin und ich", erinnert sie sich. "Wir haben manchmal auch die Strandkörbe geplündert, die Sandkuchen-Förmchen und Eimer mitgenommen." Als die Mutter davon erfuhr, habe es Ärger gegeben. "Wir mussten sofort wieder alles zurückbringen - aber wir wussten ja gar nicht mehr, wo das alles hingehört." Linnig muss lachen. "Da haben dann die Kinder der Gäste ganz andere Förmchen wiederbekommen als sie vorher hatten."

Das historische Bild zeigt eine vollgeparkte Promenade in Schönberger Strand. © Projekt Spurensuche Das Bild die Promenade und den Spazierweg oben auf dem Deich in Schönberger Strand. © Projekt Spurensuche

Während des Zweiten Weltkriegs stagnierte der Tourismus, die Gäste blieben aus. In den 50er-Jahren begann er wieder an zu florieren - und seitdem habe sich der Fokus der Gegend immer weiter Richtung Urlauber verlegt, sagt Hans-Jürgen Böttger.

Mit Absatzschuhen und Gehstock auf den Strand

Nicht nur weitgereiste Gäste sollten am Schönberger Strand anlanden. "Offiziell wurde damit gerechnet, dass die Kieler da rausfahren am Wochenende - und das haben sie auch immer gemacht, zu Friedenszeiten", weiß Hans-Jürgen Böttger, ein Schönberger durch und durch und Teil der "Spurensucher" - einer Gruppe Freiwilliger, die über Jahre die Geschichte des Kreises Plön zusammengetragen und in 43 Bänden veröffentlicht hat. "Der Bahnhof war voller Menschen, da fuhren morgens zwei Züge zum Strand", erzählt Böttger, "da sind dann Tausende Leute zum Strand geströmt."

In Kleid und Absatzschuhen, mit Hut, Gehrock und Gehstock, die Schnurrbärte mit Pomade zurechtgezupft, die Söckchen vermutlich sorgsam ausgewählt. Der Blick auf die historischen Bilder verrät, dass der Sandstrand Anfang des 20. Jahrhunderts ein Ort zum Flanieren war, zum Sehen und Gesehen werden. Aber auch Kurgäste kamen nach Schönberg, um in der nahe gelegenen Ostseeklinik im Ortsteil Holm an den Salzwiesen ihre Reha zu machen. Böttger selbst, wie Linnig 1935 geboren, brachte die Bahn aber hauptsächlich in die andere Richtung: als Lehrling auf die Werft nach Kiel. Nach der Arbeit ging es aber regelmäßig zum Strand zum Baden - von Schönberg zu Fuß über die Felder, ein paar Kilometer weit.

Das historische Bild zeigt den Strand von Schönberg mit Gästen, die sehr schick angezogen sind. © Projekt Spurensuche Dort, wo vor etwa hundert Jahren schick angezogene Menschen auf dem Sandstrand von Schönberger Strand flanierten, ist heute ein langer Deich. © Projekt Spurensuche

Der Strand war früher ein Ort zum Spazieren, zum Sehen und Gesehen werden. Die Gäste kamen schick angezogen - und auch das Baden war anders: Lange stand es unter Strafe, sich in der Öffentlichkeit leicht bekleidet zu zeigen. Gelöst wurde dies durch sogenannte Badewagen, zirkuswagenähnliche Anhänger, die als Umkleide dienten und ins Wasser geschoben wurden, sodass die Badegäste ungesehen ins Wasser einsteigen konnten.

Eine Fokusverschiebung

Hauptsächlich war die Gegend lange von der Landwirtschaft geprägt - und die heimischen Bauern seien anfangs skeptisch gewesen, als die ersten Hofbesitzer auch anfingen, Touristen aufzunehmen, erzählt Böttger. "Da wurde man von manchen anderen Bauern dumm angeguckt. 'Das haben wir doch gar nicht nötig, so was', hieß es dann", sagt Böttger. 20 Katen habe es bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch gegeben, und die Bauern seien wohlhabend gewesen zu der Zeit. Doch die Entwicklung habe es für einzelne Landwirte immer schwieriger gemacht - so sehr, dass im Laufe der Jahre viele aufhörten.

"So ist der Wandel", fährt Böttger fort, "in den meisten Dörfern gibt es heute keine Bauern mehr. Während sie früher 50, 60 Hektar Land bewirtschaftet haben, brauchen sie heute 200, um die Familie zu ernähren." So habe sich der Schwerpunkt von Schönberger Strand langsam verlegt - auch, weil einzelne Bauern mit der Zeit mitgingen und in den Tourismus eingestiegen sind. Einer davon ist Timm Heuer.

Das historische Bild zeigt Touristen in Schönberger Strand, die auf dem Deich vor Heuers Hotel spazieren. © Projekt Spurensuche Das Bild zeigt Touristen in Schönberger Strand, die auf dem Deich vor dem Restaurant "Filou" spazieren, das früher "Heuers Hotel" war. © Projekt Spurensuche

Auf der Terrasse auf dem Deich vor Heuers Hotel konnten Urlauber für Kaffee und Kuchen einkehren. Das Hotel ist einem Bau mit Restaurant und Ferienwohnungen gewichen - entlang der Deichkrone sind einige Café- und Restaurantterrassen geblieben.

Vom Schweinebauern zum Tortenbäcker

"Es war die beste Entscheidung, ich bin total zufrieden", sagt Timm Heuer an einem sonnigen Tag, beim Kaffee auf der Wiese seines Hofs an der Zufahrtsstraße zum Schönberger Strand. Zwei Handvoll Tische stehen zwischen den mächtigen Reetdachkaten, in denen früher Hunderte Schweine standen. Heute entstehen dort Torten, hausgemacht von Heuer und seiner Frau. Ein ungewöhnlicher Wandel - vom Schweinebauern zum Stachelbeer-Baiser-Torten-Fachmann. Wie lange er üben musste? Heuer lacht. "Das musste sofort klappen", sagt der Mittfünfziger.

Der Tourismus ist in der Familie Heuer aber nicht fremd: Verwandte hielten das Gasthaus "Seelust" und "Heuers Hotel" an der Promenade, und Timm Heuer selbst erinnert sich gut, oben auf dem Heuboden des Hofes geschlafen zu haben, als unten Zimmer an Urlauber vermietet wurden.

Das historische Bild zeigt den landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Heuer. © Projekt Spurensuche Das Bild zeigt den Hof von Timm Heuer, der heute dort ein Hofcafé betreibt. © Projekt Spurensuche

Der Hof, ehemals die Halbhufe 7, hat Timm Heuer als jüngster Sohn von seinem Vater 1991 übernommen und den landwirtschaftlichen Betrieb mit seinem Bruder weitergeführt. Neben der Schweinezucht haben die Heuers auch Weizen angebaut. Carsten Heuer macht das heute noch. In der "Spurensucher"-Chronik läuft der Hof seit 1891 unter dem Namen "Heuer".

Das Vergangene bleibt Teil des Neuen

Mit seinem Bruder Carsten hatte Heuer den landwirtschaftlichen Betrieb geführt, neben der Schweinezucht auch Getreide angebaut. Doch der Preisdruck des Marktes sei einer der Gründe gewesen, darüber nachzudenken, wie er sich mit seiner Familie für die Zukunft aufstellen kann. "Bei den Schweinen geht das rauf und runter, beim Getreide geht das rauf und runter - dann haben wir mal eine Trockenheit, und, und, und", sagt Heuer, "und die, die sich anderweitig orientiert haben - mit Campingplätzen oder Mietwohnungen - die standen immer deutlich besser da, weil sie eine konstante Einnahmequelle hatten." Die Entscheidung fiel schließlich auf das Café, Anfang 2019 öffnete es seine Türen. Von dem vorherigen Leben aber konnte sich Heuer nicht ganz verabschieden: Auf dem hinteren Teil des Hofes grunzt es weiter vor sich hin.

Das historische Bild zeigt das "Haus am Meer" in Schönberger Strand. © Projekt Spurensuche Das Bild zeigt das ehemalige "Haus am Meer" in Schönberger Strand, heute ist es das Hotel "Seelust" und das Restaurant "Barkasse". © Projekt Spurensuche

Das "Haus am Meer" wurde 1910 erbaut und war eins der Hotels an der Promenade in Schönberger Strand, vor dessen Tür fast schon früher der Strand begonnen hat. Heute heißt das Hotel "Seelust" - in Anlehnung an das abgerissene Hotel in der Nachbarschaft - mit der "Barkasse" als angegliedertes Restaurant.

Ein bisschen Wehmut

Das Alleinstellungsmerkmal von Schönberger Strand sei der einzigartige Strand mit reinem Sand - da sind sich Linnig, Böttger und Heuer einig. Doch es klingt etwas Wehmut nach. "Ah, es war schön früher - aber das ist nicht mehr mein Strand", sagt Linnig. "Ich bin dort geboren, aber ich würde da nicht mehr wohnen wollen." Durch den Tourismus sei es viel unpersönlicher geworden, sagt sie. Heuer pflichtet bei. Auch Zweitwohnungsbesitzer, die sich in der Gemeinde nicht einbringen, trügen dazu bei. "Dass hier jeder jeden kennt, das ist schon Ewigkeiten vorbei", sagt Heuer, sieht es aber pragmatisch. "Die Zeiten ändern sich. So wie früher will ja auch keiner mehr leben, dass nur einmal die Woche gebadet wird," sagt er, "jetzt leben wir in einem Luxus, und den will jeder genießen."

Das historische Bild zeigt das villenartige "Strandschlösschen", ein 1919 erbautes Hotel in Schönberger Strand. © Projekt Spurensuche Dort, wo früher das "Strandschlösschen" in Schönberger Strand stand, steht heute die Ferienanlage "Panorama". © Projekt Spurensuche

Das Hotel "Strandschlösschen" erinnerte an eine kleine Villa. 1919 erbaut war es anfangs eine Pension und wuchs später zum Hotel. Während des Zweiten Weltkriegs fungierte das Haus zwischenzeitlich als kleine Rüstungsfabrik, später als Lazarett und Flüchtlingsunterkunft. Heute steht an dem Ort die Ferienanlage "Panorama".


20.09.2021 16:44 Uhr

In einer früheren Version des Artikels stand, der Bahnhof sei um 1912 eröffnet worden - dies stand auf dem historischen Bild und wurde während der Recherche mehrfach angeführt. Tatsächlich öffnete der Bahnhof 1914, kurz vor dem Krieg. Wir haben dies geändert und danken für den Hinweis.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 14.08.2021 | 12:20 Uhr

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