Schacht Konrad: Der ewige Streit um ein atomares Endlager
Das Bergwerk Schacht Konrad in Salzgitter soll Endlager für radioaktiven Restmüll werden. Doch allein bis die niedersächsische Landesregierung 2002 grünes Licht gab, vergingen zwei Jahrzehnte. Eingelagert wird nicht vor 2027. Ein Baustopp wurde 2023 abgelehnt.
Termine für die Inbetriebnahme von Schacht Konrad als Endlager für leicht- und mittelradioaktiven Abfall gibt es im Laufe der Jahrzehnte viele - unter anderem 1988, 1991, 1997, 2012 und 2022. Kaum eine Debatte in Deutschland dauert bereits so lange, hat so viel Geld gekostet und ist immer noch nicht am Ende. Als etwa das niedersächsische Landeskabinett um Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) am 30. April 2002 die Endlager-Genehmigung - auf Behördendeutsch: Planfeststellungsbeschluss - abnickt und das Umweltministerium in Hannover sie am 22. Mai erteilt, rechnet niemand mit einem zeitnahen Baubeginn. Viele Gegnerinnen und Gegner kämpfen noch heute dafür, dass dort kein radioaktiver Restmüll in rund 1.000 Metern Tiefe einbetoniert wird.
Salzgitter-Betriebsrat schlägt Konrad als Endlager vor
Die Idee, in dem Eisenerz-Bergwerk radioaktive Abfälle zu lagern, hat in den 1970er-Jahren der Betriebsrat der Salzgitter Erzbergbau AG. Die Qualität des Erzes ist zu schlecht, um mit der Konkurrenz mithalten zu können und der Betriebsrat sucht nach Möglichkeiten, das Aus für Konrad zu verhindern. Wegen seiner günstigen Lage in Hunderte Meter dickem Tongestein und der Tiefe möglicher Lagerstellen im Eisenerz, prüft die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung - das heutige Helmholtz Zentrum München - ab 1975, ob sich die Grube eignet. Andere potenzielle Standorte zum Lagern von schwach- und mittelradioaktivem Atommüll mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung werden nicht untersucht und verglichen.
Nach damaligen wie aktuellen Berechnungen fallen 95 Prozent der radioaktiven Abfälle in West- beziehungsweise Gesamtdeutschland in diese Kategorie - während gerade einmal ein Prozent der Radioaktivität aller in Deutschland anfallenden Abfälle darin gebündelt ist. Das Gros stammt aus Kernkraftwerken, zudem aus Betrieben und Forschungseinrichtungen.
Mit Beginn des Verfahrens formiert sich der Widerstand
Nachdem die Gesellschaft für Strahlenforschung 1982 grünes Licht für Schacht Konrad gibt, beantragt die damals für Endlagerung zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) im August desselben Jahres beim niedersächsischen Sozialministerium die Bau- und Betriebsgenehmigung für das erste deutsche atomare Endlager. Sie geht seinerzeit davon aus, dass 1988 mit der Einlagerung begonnen werden kann. Der Widerstand ist von Anfang an groß. Landwirte aus Salzgitter, Atomkraftgegnerinnen und -gegner, Bürgerinitiativen, Umweltverbände, Kommunen, Gewerkschaften, Parteien und Betriebe wollen ein Endlager in der alten Eisenerzgrube verhindern, weil sie um die Langzeitsicherheit fürchten. Im Kern bezweifeln sie, dass radioaktiver Restmüll ohne Gefahr für die Umwelt in der Grube gelagert werden kann. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) ist nach wie vor davon überzeugt, dass es - wie in der Schachtanlage "Asse" im Landkreis Wolfenbüttel - "nur eine Frage der Zeit" ist, bis der eingelagerte Müll Kontakt zu Grundwasser führenden Schichten bekommt und Strahlung in die Umgebung ausgeschwemmt wird.
Straßenproteste und Gutachten gegen Endlager in Salzgitter
An der ersten Demonstration im Juli 1981 beteiligen sich laut der später gegründeten Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad - einem Bündnis von Kommunen, Verbänden und anderen Kritikern -, rund 1.500 Menschen. Im Oktober 1982 kommt es bei Protesten an der Schachtanlage in Salzgitter-Bleckenstedt zu Ausschreitungen. Eine Gruppe aus den insgesamt rund 8.000 bis 10.000 Demonstrierenden attackiert Polizisten mit Steinen und Molotowcocktails, mehrere Beamten und Protestierende werden verletzt.
Der Widerstand gegen das Endlager formiert sich auch auf politischer Ebene: Die Stadt Salzgitter weist der PTB 1987 mit drei eigens in Auftrag gegebenen Gutachten erhebliche Fehler bei den Antragsunterlagen für das Planfeststellungsverfahren nach. Diese sind demnach weitgehend unvollständig und nicht nachvollziehbar. Ein Kieler Ingenieurbüro stellt beispielsweise fest, dass die PTB zugrunde liegende Überlegungen nur in groben Zügen darstelle und oft nicht zwischen Annahmen und geprüften Daten unterscheide, berichtet damals die Tageszeitung "taz". Die Konsequenz: Ein neues Erkundungsprogramm muss gestartet werden, das Verfahren verzögert sich. Zudem werden im Zuge des Planfeststellungsverfahrens mehr als 70 Behörden und Naturschutzverbände um Stellungnahme gebeten.
Streit zwischen Bund und Land verzögert Verfahren
1989 hat die PTB alle nötigen Planungsunterlagen zusammengestellt und reicht sie beim inzwischen zuständigen Niedersächsischen Umweltministerium ein. Letzteres wurde nach dem schweren Reaktor-Unfall im ukrainischen Tschernobyl im April 1986 eingerichtet. Doch das öffentliche Auslegen der Unterlagen verzögert sich. Das Ministerium begründet das mit Änderungen bei der zu erwartenden Abfallmenge, nachdem der Bau einer umstrittenen Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf gestoppt wird.
Darüber hinaus verhandelt die Landesregierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) über Ausgleichszahlungen für das kostspielige Endlagerverfahren. 1990 übernimmt in Niedersachsen eine rot-grüne Landesregierung unter Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) - sie ist gegen das Endlager. Im Jahr darauf weist Töpfer das Land offiziell an, die Unterlagen endlich öffentlich auszulegen. Die Landesregierung klagt dagegen, scheitert jedoch vor dem Bundesverfassungsgericht. Mit insgesamt acht Weisungen treiben Töpfer und seine Amtsnachfolgerin Angela Merkel (CDU) das Verfahren immer wieder gegen den Widerstand des Landes voran.
290.000 Einwendungen und 400 offene Fragen
Schließlich werden die Unterlagen 1991 über zwei Monate hinweg öffentlich ausgelegt - mit überwältigender Resonanz. Das Umweltministerium in Hannover registriert rund 290.000 Einwendungen gegen Schacht Konrad als Endlagerstandort. Im September 1992 beginnt der nächste Verfahrensschritt, der sogenannte Erörterungstermin. Er dauert 75 Tage, läuft über fünf Monate und wird damit einer der längsten in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Kommunen Salzgitter, Braunschweig und Wolfenbüttel sowie Greenpeace, der BUND, mehrere Bürgerinitiativen und die Verfasserinnen und Verfasser der Einwendungen tragen dort ihre Bedenken vor und diskutieren mit den verantwortlichen Behörden. Ihnen gegenüber sitzen dabei Mitarbeitende der Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (die spätere Bundesgesellschaft für Endlagerung, kurz BGE), des Bundesamts für Strahlenschutz als Antragsteller und des Landesumweltministeriums als Genehmigungsbehörde. Letztere stellt nach dem Erörterungstermin aus dem 4.000-seitigen Protokoll einen Katalog aus 400 offen gebliebenen Sach- und Rechtsfragen zusammen. Über Jahre hinweg sind Gutachter damit beschäftigt, die ausstehenden Antworten zu erarbeiten.
Rot-grüne Bundesregierung: Hoffnung für Endlager-Gegner?
Derweil geht das Gerangel zwischen Bund und Land weiter. Und der politische Wechsel durch den 1998 gewählten Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein rot-grünes Kabinett löst den Konflikt mit Hannover nicht auf. Zwar will die Koalition einen Kurswechsel, indem sie nur noch ein bundesdeutsches Endlager für sämtliche radioaktiven Abfälle plant - damit wäre zumindest Schacht Konrad aufgrund seiner mangelnden Eignung für hochradioaktive Stoffe aus dem Spiel. Doch die Kernkraftwerksbetreiber lehnen den Vorstoß ab, weil sie bereits viel Geld in die Erkundung investiert haben.
Später verkünden Schröder und Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) einen Atomkonsens mit den Energieversorgern - den Ausstieg aus der Kernenergie. Zu Schacht Konrad vereinbaren sie, dass das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen wird - und dass das BfS seinen "Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses" zurückzieht, "um eine gerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen". Das Endlager kann also erst in Betrieb gehen, wenn Gerichte über mögliche Klagen von Verbänden, Gemeinden und Anliegern entschieden haben.
Endlager-Genehmigung nach 20 teuren Jahren
Am 30. April 2002 winkt die niedersächsische Landesregierung um Sigmar Gabriel den Planfeststellungsbeschluss durch, am 22. Mai erteilt das niedersächsische Umweltministerium die Genehmigung: Sie sieht die Entsorgung aller Arten radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung vor - bei einer Obergrenze von 303.000 Kubikmetern. Für die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad ist das ganze Prozedere "eine Farce". "Hier wird ein fachlich nicht haltbarer Standort genehmigt, den die verantwortlichen Politiker von SPD und Grünen nach eigenem Bekunden nicht wollen", sagt Sprecher Peter Dickel damals.
Sowohl Trittin als auch Niedersachsens Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) gelten als Atomkraftgegner. Doch sie stehen unter Druck: 1,6 Milliarden Mark sind bereits in Schacht Konrad investiert worden - Geld, das die Stromkunden mit ihren Rechnungen bezahlt haben. Seitens der Atomwirtschaft drohen deshalb immense Regressforderungen. Und: Der Staat schlichtweg Entsorgungsmöglichkeiten für seinen Atommüll. Jüttner betont seinerzeit, dass seine Behörde die Genehmigung erteilen musste, da der Antragsteller die Voraussetzungen erfüllt habe.
Drei Kommunen und zwei Landwirte ziehen vor Gericht
Die Genehmigung zieht Klagen nach sich, die wie ein Moratorium wirken. Die Stadt Salzgitter, die Nachbargemeinden Lengede und Vechelde und zwei örtliche Landwirte führen unter anderem mangelnde Vorkehrungen gegen einen terroristischen Anschlag, das Fehlen einer vergleichenden Standortuntersuchung und Gesundheitsrisiken für den Bauern an, der seine Äcker unmittelbar über dem ehemaligen Erzbergwerk bewirtschaftet.
Doch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg weist die Einwände im März 2006 zurück und lehnt eine Revision ab. Gegen diese Entscheidung reichen einige Kläger Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein, scheitern im März 2007 jedoch auch dort. Die Genehmigung für ein Endlager in Schacht Konrad wird damit in letzter Instanz bestätigt und rechtsgültig. Im Mai 2007 beauftragt das Bundesumweltministerium das BfS mit dem Umbau der stillgelegten Erzgrube. Weitere Verfassungsbeschwerden scheitern. 2009 beginnen die Arbeiten.
Verzögerungen beim Bau und explodierende Kosten
Reibungslos verlaufen auch diese nicht. Im Juni 2012 etwa dringt Wasser in den Schacht Konrad ein - Experten zufolge sogar mehr als in die marode Wolfenbütteler "Asse". Im März 2013 gibt die Vorgängergesellschaft der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) bekannt, dass sich der Betriebsbeginn des Endlagers wegen zusätzlicher Sanierungsarbeiten bis 2021 verzögern könnte. Im Jahr darauf legt das BfS aktualisierte Zahlen vor: Während Experten in den frühen 1980er-Jahren noch mit Baukosten von umgerechnet 900 Millionen Euro ausgingen, schätzt die Behörde sie mittlerweile auf 2,9 Milliarden Euro. Auch der Eröffnungstermin ist weiterhin ungewiss. Derzeit geht die BGE davon aus, dass 2027 die ersten schwach- und mitteradioaktiven Abfälle in Salzgitter eingelagert werden - bis dahin könnten sich die Kosten auf 4,2 Milliarden Euro summiert haben.
Gegner wollen nicht aufgeben
Die Gegner von Schacht Konrad geben ihren Widerstand unterdessen nicht auf. 2021 stellen die Landesverbände von BUND und Naturschutzbund (NABU) beim niedersächsischen Umweltministerium den Antrag, die Planfeststellung zu widerrufen beziehungsweise zurückzunehmen. Die Organisationen und ihre Unterstützer bemängeln, dass die Genehmigung inzwischen 20 Jahre alt ist und die dafür vorgelegten Pläne bereits damals nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprochen hätten.
Am 19. Dezember 2023 werden die Anträge auf Rücknahme oder Widerruf der Planungen und die Forderung nach Einstellung weiterer Baumaßnahmen vorläufig abgelehnt. Wie das Umweltministerium mitteilt, handele es sich um das Ergebnis einer rein rechtlichen Prüfung. "An unserer kritischen Haltung zum Endlager ändert das nichts", sagt Minister Christian Meyer (Grüne).
Das Bündnis der Kritiker zeigt sich enttäuscht und kündigt die Prüfung weiterer juristischer Schritte an. Konrad-Gegner wie Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) hatte bereits 2021 gesagt: "Wir geben nicht auf, bis das Projekt Konrad aufgegeben wird."