Pferde und Motorräder: Bad Segebergs Rennkoppel
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
Den Sand zwischen den Zähnen spürt Hans-Werner Baurycza auch heute noch - aufgewirbelt von unzähligen Motorrädern samt Beiwagen. Mitte der 1950er-Jahre erlebt Baurycza als damals Vierjähriger die Grasbahnrennen auf dem Landesturnierplatz in Bad Segeberg. "Es war richtig laut. Die Menschen schrien und waren begeistert", erzählt er. "Neben der Tribüne war das Fahrerlager. Da kamst du als kleiner Steppke auch rein. Alle waren am Schrauben. Die Fahrer nahmen einen auch mal beiseite und zeigten einem was."
Zur 800-Jahres-Feier der Stadt Bad Segeberg marschieren die Nationalsozialisten 1937 auf der Rennkoppel auf. Anschließend findet das Schleswig-Holsteinische Landesturnier statt. Heute nutzen die Bad Segeberger den Landesturnierplatz auch als Naherholungsgebiet.
Stadtgeschichte mit Rennkoppel verknüpft
Wenn der 68-Jährige davon erzählt, meint man die Motorräder noch lärmen zu hören. Auch wenn es an diesem Tag ruhig ist auf dem Landesturnierplatz, der in Bad Segeberg auch als Rennkoppel bekannt ist. Vögel zwitschern, eine Joggerin trabt vorbei, Baurycza steht auf der Tribüne des Platzes und erzählt. Der Bad Segeberger beschäftigt sich mit der Geschichte der Kreisstadt, hält Vorträge dazu, verfasst Bücher und hütet ein umfangreiches Fotoarchiv. Die Geschichte der Stadt ist seiner Meinung nach eng mit der des Landesturnierplatzes verknüpft.
Polizisten und Dienstmädchen in Uniform laufen 1910 über den Bad Segeberger Marktplatz. Grundsätzlich hat sich an dem Platz heute nicht viel geändert: Die Fassaden sind aber erneuert und ein Brunnen steht in der Mitte.
1905 erster Pferderenntag
"Ursprünglich war hier alles Ackerland, betrieben von Bauern aus Klein Niendorf", berichtet er. Doch 1902 kauft Bad Segeberg laut Baurycza die Fläche, baut sie als Turnierplatz mit Zuschauertribüne aus, gründet einen Pferderennverein und veranstaltet 1905 den ersten Pferderenntag. "In der Zeit nach der Jahrhundertwende war es sozusagen modern, Trab- und Galopprennen durchzuführen. Das war bei der Bevölkerung damals sehr beliebt", erklärt Baurycza. Die Rennkoppel Bad Segeberg taucht damals neben Rennbahnen wie Hamburg Horn in großen Sportzeitungen auf. "Sonntagnachmittags kamen auch mal 6.000 Besucher zu so einem Pferderennen", berichtet Baurycza.
Läden gibt es bereits 1910 viele in der Hamburger Straße. Auch heute geht der Bad Segeberger hier einkaufen und Kaffee trinken.
Nach dem Krieg wieder Kartoffelacker
Die Tribüne, auf der der 68-Jährige jetzt steht, baut die Stadt Bad Segeberg 1937 zu ihrer 800-Jahr-Feier. Es ist die Zeit der Nationalsozialisten. Zeltlager und andere Naziveranstaltungen finden auf der Rennkoppel statt. Und ein damals gefragter Mann lässt sich auf der neuen Tribüne umjubeln: NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.
Lange ist das Kurhaus, hier ein Bild aus dem Jahre 1910, am Großen Segeberger See einer der Vorzeigebauten Bad Segebergs. 1968 wird es abgerissen. Anschließend entstehen dort Klinik- und Rehaeinrichtungen in - damals als modern geltenden - schmucklosen Hochhäusern.
Später besuchen Größen wie der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer oder der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann den Platz. Sie alle wollen sich auf der Rennkoppel sehen lassen, die nicht immer nur für Pferderennen genutzt wird. "Nach dem Krieg wurden hier auch Kartoffeln angebaut und 1947 hat der HSV hier mit Erwin Seeler gespielt - für 16 Zentner Kartoffeln und einen Wagen voll Brot", erzählt Baurycza.
Um 1900 sieht es auf der Burgfeldstraße noch weitaus beschaulicher aus, als heutzutage.
"Wir wollten Teil der ganzen Sache sein"
Mitte der 1950er-Jahre dann kommen die Grasbahnrennen nach Bad Segeberg - und begeisterten bis zu 16.000 Besucher an einem Tag. Ab diesem Zeitpunkt war Baurycza dabei, wenn etwas los war auf der Rennkoppel. "Da kamen die Menschen zusammen. Da war was los. Das ist wahrscheinlich das, was für Jugendliche heute der Fernseher bietet", meint er - und erinnert sich: "Als ich älter war, hab ich hier mit meinem Bruder auf einer Imbissbude mitgeholfen. Wir haben Eis verkauft - und wollten so Teil der ganzen Sache sein."
Auch 1950 ziert der Wasserturm schon Bad Segeberg. Erbaut wurde der Garant für ausgeglichenen Wasserdruck bereits 1910. Aktuell wird er gerade zum Hotel umgebaut.
Acht Hektar für Pferdesport und andere Veranstaltungen
Bis heute ist das acht Hektar große Gelände ein Multifunktionsplatz: Zirkusse schlagen hier ihre Zelte auf, ebenso wie Pfadfinder. Jahrmärkte, Laternenumzüge, Musikveranstaltungen, Vogelschießen - all das findet hier statt. Und wenn gerade nichts los ist, nutzen die Bad Segeberger das Gelände als Parkplatz und Naherholungsgebiet- zum Spazierengehen und Joggen.
1910 betreibt die Familie Sorgenfrey die Gastwirtschaft Solbad Segeberg. Auch später wird hier bewirtet. Von der letzten Schenke, dem Höhlenkrug, zeugt heute allerdings nur noch die Aufschrift an dem Gebäude. Die Wirtschaft wird nicht mehr betrieben.
Und natürlich tummeln sich auf dem Turnierplatz nach wie vor regelmäßig Pferd und Reiter zu Renn-, Spring- und Dressurveranstaltungen. Die Deutsche Meiterschaft der Ponyfahrer, das Fest des Pferdesports, das Deutsche Quadrillen-Championat, das Bundesbreitensportfestival und die Landespferdeleistungsschau finden hier unter anderem statt.
Das Rathaus hat sich von 1970 bis heute äußerlich nicht groß verändert.
Treffpunkt für Menschen
"Ich versuche, bei möglichst vielen Veranstaltungen dabei zu sein", sagt Baurycza. Auch wenn er heute nicht mehr die Begeisterung aus seiner Kindheit spürt, wenn er auf den Zuschauerrängen eine Veranstaltung verfolgt. Der Bad Segeberger schätzt seine überschaubare Stadt, die trotzdem viel zu bieten hat - eben auch durch den Landesturnierplatz. "Ohne die Rennkoppel gäbe es in Bad Segeberg nur die Karl May-Spiele", sagt er. "Es ist ein Treffpunkt für viele Menschen, die sich hier wiederfinden", sagt er.
1953 ist das Bühnenbild der Karl May-Spiele noch etwas sparsamer als heutzutage.
Wer mehr über die Geschichte Bad Segebergs erfahren will, kann sich dazu zum Beispiel auf der Website der Stadt informieren.