Stand: 18.08.2018 06:00 Uhr

Malenter Seen: Von Großherzögen und "Samba-Zügen"

von Julian Marxen

Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.

von Julian Marxen

Es muss ein schnaubendes Rattern sein, das im Juni 1892 Fische, Vögel und Bewohner im beschaulichen Malente-Gremsmühlen aufhorchen lässt. Ein Kahn, besetzt mit Mensch in feinstem Zwirn, tuckert über den idyllischen Dieksee. Und jeder im Ort weiß: Diese Bootstour ist eine hoheitliche Angelegenheit. Der "Anzeiger für das Fürstenthum Lübeck" berichtet, dass kein Geringerer als "Seine Königliche Hoheit Friedrich Peter von Oldenburg nebst Gattin und seinen durchlauchtigsten Kindern" sich die Ehre gibt, bei der ersten "genußreichen Wasserfahrt" dabei zu sein.

Hafenanleger in Malente früher. Hafenanleger in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxen

Bei der Jungfernfahrt des ersten Boots 1892 im Dieksee ist auch der Großherzog von Oldenburg an Bord. Offiziell heißt das Schiff "Elisabeth", im Volksmund wird es aber nur "Zitteraal" genannt. Heute sind die modernen Schiffe der "5-Seen-Fahrt" deutlich komfortabler, eines hat sogar ein kleines Bordrestaurant.

"Elisabeth" rüttelt die Hoheiten durch

Es ist die Jungfernfahrt der Passagierschiffs "Elisabeth", benannt nach der Großherzogin von Oldenburg. Auch wenn dieser Name wohlig klingt, im Volksmund wird das Boot seiner Zeit nur "Zitteraal" genannt, aufgrund des stark vibrierenden 4-PS-Petroleummotors. Ob diese Rütteltour den durchlauchten Gästen gefallen hat?

Bahnhof in Malente früher. © Hans-Joachim Bartels, Chronik von Malente-Gremsmühlen Bahnhof in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxen

Im 19. Jahrhundert kommen viele gut betuchte Damen und Herren aus Berlin und Hamburg mit der Eisenbahn nach Malente-Gremsmühlen. Die Bahnstation Gremsmühlen gleicht einem Laufsteg für die Schönen und Reichen. Von diesem Flair ist heute nichts mehr zu spüren. Das Bahnhofsgebäude selbst steht leer, wird gerade von einem Investor saniert. Sein Plan: den Bahnhof mit Läden und Gastronomie wiederzubeleben.

Immer mehr Gäste kommen mit der Eisenbahn

Das weiß auch der Geschäftsführer der heutigen 5-Seen-Fahrt, Hinnerk Frahm, nicht. Aber die Tatsache, dass er schon in vierter Generation in dem traditionsreichen Unternehmen tätig ist, zeigt: Die Gründungsväter - Kaufleute aus Malente, Plön, Eutin und Timmdorf - hatten damals den richtigen Riecher, als sie die zitternde "Elisabeth" zu Wasser ließen. "Die Geschäftsleute wollten mit dem Motorbootverkehr den Tourismus weiter ankurbeln", berichtet Frahm. Und es funktionierte.

Schloss Schönow in Malente früher. Schloss Schönow in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxsen

Nach dem Ersten Weltkrieg werden in dieser stattlichen Villa psychisch Erkrankte behandelt. Mit dem Bau eines neuen Krankenhauses in den 50er-Jahren an anderer Stelle gibt es für das "Haus Schönow" keine Verwendung mehr. Ginge es nach Malentes Bürgermeisterin, Tanja Rönck (parteilos), könnte auf dem Parkgelände schon bald ein Baumhaushotel entstehen.

Schloss Eggersdorf in Malente früher. © Hans-Joachim Bartels, Chronik von Malente-Gremsmühlen Schloss Eggersdorf in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxen

Die verwunschene Villa zeugt von Zeiten, in denen sich reiche Kaufleute in Malente niederließen und sich ihr Domizil nach Herzenslust einrichteten. 1907 baut ein Berliner Kaufmann, der in den Adelsstand erhoben wurde, sein Haus standesgemäß aus. Heute wirkt das "Schloss Eggersdorf" wie ein Spukhaus. Eingewachsen, unbewohnt, mit verwitterten Steinfiguren inmitten eines parkähnlichen Gartens.

Um 1900: Werbung mit "Gebirgsluft"

Um die Jahrhundertwende reisen immer mehr Menschen an, um die reizvolle Wald- und Seenlandschaft rund um Malente zu genießen. Sie kommen mit der Eisenbahn aus Hamburg und Berlin, einige von ihnen bauen hier sogar Villen, die Kaufleute verbuchen laut Malenter Chronik wachsende Umsätze. Es entstehen neue Hotels. In Zeitungen machen sie mit der Wortschöpfung "Holsteinische Schweiz" auf sich aufmerksam und preisen vollmundig die "reizende Lage und gesunde Gebirgsluft" an. Auch wenn Malente in Wirklichkeit eher Hügel als Berge zu bieten hat, den Sommerfrischlern um 1900 gefällt es trotzdem.

Sicht aus Turm in Malente damals. Sicht aus Turm in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxsen

Der Tourismus macht Malente groß. Der Blick vom 1912 fertiggestellten Wasserturm zeigt: Wo einst landwirtschaftliche Flächen und nur wenige Häuser das Landschaftsbild prägten, stehen heute viele Häuser und Bäume.

Durchfahrten müssen ausgebaggert werden

"Die Holsteinische Schweiz war ziemlich angesagt", weiß Frahm. Und die Fahrt über den Dieksee, Langensee, Behlersee, Höftsee bis nach Plön sei eine besondere Attraktion gewesen. "Meine Vorgänger haben mit der Zeit immer größere Schiffe angeschafft, weil die alten zu klein wurden." Allerdings gab es auch Probleme: "Bei Timmdorf, wo sich die Schwentine unter einer Brücke durchschlängelt und zwei Seen miteinander verbindet, konnte das Schiff nicht unter der Brücke durchfahren. Das Schiff war zu hoch, also mussten die Fahrgäste an Land gehen und auf ein anderes Boot umsteigen", erzählt Frahm. Und in den Plöner Edebergsee sei nur gefahren worden, wenn das Wasser hoch gestanden habe.

Schiff Timmdorf in Malente früher. Schiff Timmdorf in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxsen

Früher wie heute brauchen die Kapitäne viel Fingerspitzengefühl, wenn sie die Haltestelle Timmdorf passieren. An der engen Durchfahrt, die vom Diek- in den Langensee führt, hat sich von 1971 bis heute nicht viel geändert.

Tour durch alle fünf Seen wird möglich

Nach dem Ersten Weltkrieg werden die Durchfahrten dann aber vertieft und die Brücke erhöht. Ein Schiff kann jetzt durchgängig in alle fünf Seen fahren. Aus der "Motorbootgesellschaft Dieksee" wird die "5-Seen-Fahrt". Wie Frahm berichtet, passten 1938 immerhin schon 200 Passagiere auf das größte Schiff der Flotte. Doch der Zweite Weltkrieg schickt die Schiffe in Zwangspause. Öffentliche Fahrten gibt es nicht. Malente-Gremsmühlen wird Lazarettstadt.

Mühle in Malente früher. © Hans-Joachim Bartels, Chronik von Malente-Gremsmühlen Foto: Hans-Joachim Bartels, Chronik von Malente-Gremsmühlen Mühle in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxsen

Die alte Gremsmühle war ursprünglich eine mit Wasser betriebene Getreidemühle. Vom 13. bis ins 20. Jahrhundert wurde hier gemahlen. 1956 wurde der Betrieb eingestellt - zu unrentabel. Als Wahrzeichen Malentes dreht sich ihr Rad aber noch heute. Auf einer Fischtreppe neben der Mühle können mittlerweile Kanu- und Kajak-Fahrer von der Schwentine in den Dieksee übersetzen.

Kneippkur in Malente

Nach dem Krieg geht es in Malente nur schleppend voran. Doch dann sieht der Ort seine Chance in einer neuen Gesundheitsmode und wird Kneipp-Heilbad. Nach und nach entstehen Wassertretbecken, Trimm-Dich-Pfad, Kurpark, Haus des Gastes, neue Kliniken und Hotels. Malente erlebt eine neue Blütezeit, von der auch die Fünf-Seen-Fahrt profitiert. Gleichzeitig verändert der Ort sein Gesicht. Eine Mischung aus Urlauberfamilien und Kurgästen bevölkert die Promenaden, vom exklusiven und mondänen Charme von einst ist immer weniger zu spüren.

Hotels in Malente früher. © Julius Simonsen, Kunst- u. Verlagsanstalt, Oldenburg, Holst. Foto: Julius Simonsen, Kunst- u. Verlagsanstalt, Oldenburg, Holst. Hotels in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxsen

Sie versprühen mondänen Charme: die Hotels "Zum Brahmberg" und "Bellevue". Hier wird um 1900 noch edel gefeiert und genächtigt. Die Häuser werden 2007 und 1989 abgerissen. Viele Malenter trauern den beiden ansehnlichen Gebäuden heute noch nach.

Immenhof, Intermar und der DFB

Statt Villen werden nun funktionale Bauten errichtet. Auf der Halbinsel am Dieksee, direkt neben dem Schiffsanleger, wird das altehrwürdige Städtische Kurhaus Anfang der 70er-Jahre abgerissen. An seiner statt wird das für diesen Ort recht gigantisch wirkende Intermar-Hotel in die Höhe gezogen, mit zwölf Geschossen, einem Saal für 400 Menschen und zwei Tiefgaragen. Auch die Fünf-Seen-Fahrt investiert kräftig. Von 1971 bis 1986 laufen die heute aktuellen Schiffe "Malente", "Grünau" und "Dieksee" vom Stapel. Es ist auch jene Zeit, in der die Deutsche Fußballnationalmannschaft den Geist von Malente beschwört und den Ort endgültig bundesweit bekannt macht, das DFB-Team bereitet sich hier unter anderem auf die Weltmeisterschaft 1974 vor. Zuvor hatten schon die beliebten "Immenhof"-Filme in den 50er-Jahren dem Ort ein Denkmal gesetzt.

Einkaufsstraße in Malente Früher. © Hans-Joachim Bartels Foto: Hans-Joachim Bartels Einkaufsstraße in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxsen

1920 eröffnet Hans Petersen eine Schlachterei in der Bahnhofstraße. Und die Familie verkauft noch immer Fleisch und Wurst. Heute sind die Petersens auf Räucherware wie Holsteiner Katenschinken spezialisiert.

Erst das Hoch, dann der Fall

Die Übernachtungszahlen steigen rasant. "Züge, die in den 80er-Jahren die Urlauberscharen hierher brachten, wurden 'Samba-Züge' genannt. Wochenendausflügler kamen hier schon gut beschwipst an. Das soll fast Ballermann-Feeling gehabt haben, wurde mir erzählt", schmunzelt der 31-jährige Frahm. "Anfang der 90er-Jahre", so Frahm, "zählte die Fünf-Seen-Fahrt fast eine Viertelmillion Fahrgäste im Jahr, heute sind wir bei 80.000." Dass die goldenen Zeiten vorbei seien, liege auch an der Wiedervereinigung und der plötzlichen Konkurrenz in den neuen Bundesländern, ist sich der Chef der "Weißen Flotte" sicher.

Das deutsche Haus in Malente früher. © Hans-Joachim Bartels, Chronik von Malente-Gremsmühlen Das deutsche Haus in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxen

Bereits um 1600 steht laut Amtsprotokoll an dieser Stelle ein "Krug". 1923 wird in "Krohns Gasthaus" nach Bundesvorschrift eine Doppel-Kegelbahn gebaut. Heute wird hier weder gekegelt noch gespeist. Das leer stehende Haus wird lediglich als Werbefläche für Plakate eines nahegelegenen Obsthofes genutzt.

Den Anschluss verpasst?

"Wir haben unser Alleinstellungsmerkmal verloren. Ein Berliner etwa kann schneller und günstiger verreisen, wenn er in Mecklenburg-Vorpommern Urlaub macht." Außerdem habe die Holsteinische Schweiz den Anschluss verpasst, meint Frahm. Und das sieht man, wenn man durch den Ort geht. Malente wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Eingewachsene verlassene Villen, leer stehende Ladenzeilen und Restaurants sowie ein verwahrloster 34 Meter hoher Betonklotz, der einmal Hotel war und mittlerweile zum traurigen Wahrzeichen Malentes geworden ist.

Die Bucht in Malente früher. © Verlag Schöning & Co., Lübeck Die Bucht in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxen

Bis Anfang der 70er-Jahre trübt kein großer Hotelbau die Idylle am Dieksee-Anleger der "5-Seen-Fahrt". Dann wird das "Intermar" gebaut, um die vielen Gäste, die nach Malente kommen, unterzubringen. So viele Touristen wie damals zieht es heute nicht mehr in den Ort. Der Hotelbetrieb ist unlängst eingestellt worden.

Es wird wieder investiert

"Erst die Rente, dann Malente." Ein in der Region bekannter Spruch, der zu stimmen scheint, wenn man die auffallend vielen alten Menschen durch die Straßen gehen sieht. Aber es bewegt sich etwas. Bürgermeisterin Rönck hat den Plan "Malente 2030" angeschoben, um die Gemeinde mit neuen Investitionen in den Tourismus-, Bildungs- und Gesundheitsstandort Malente zukunftsfest zu machen. Und die "5-Seen-Fahrt"? Die Talsohle sei durchschritten, sagt Frahm. Es geht wieder bergauf mit den Passagierzahlen.

Die Bahnhofsstraße in Malente früher. © fehlt Die Bahnhofsstraße in Malente heute. © NDR Foto: Julian Marxen

Um 1900 fahren noch Pferdekutschen auf der Bahnhofstraße, in dem Backsteinhaus auf der rechten Seite eröffnet das "Kaiserliche Postamt". Die Gebäude stehen heute noch immer, sind gut erhalten. Kutschen, Kaiser und Postamt gehören allerdings der Vergangenheit an.

Heiraten auf der "Dieksee"

Und: An Bord des Restaurantschiffs "Dieksee" darf inzwischen auch offiziell geheiratet werden. Das werde gut angenommen. Er selbst habe es auch getan, berichtet Frahm, dem man anmerkt, dass ihm das traditionsreiche Schifffahrtsunternehmen am Herzen liegt. "Es macht gerade richtig Spaß, weil ich sehe, dass in dieser landschaftlich wunderschönen Gegend endlich investiert wird und hier wieder etwas passiert." Und er hofft, dass die enge Verbindung zwischen seiner Familie und der Malenter "5-Seen-Fahrt" noch einmal mindestens 126 Jahre hält.

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Eine Vergleichsaufnahme von Lübeck, früher und heute. © NDR/Fotoarchiv Lübeck Foto: Katrin Bohlmann/Fotoarchiv Lübeck

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein mittendrin | 19.08.2018 | 12:08 Uhr

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