Eckernförde: Der Fischer vom letzten Haus am Strand
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
von Daniel Kummetz
Die Ostsee hatte ihn obdachlos gemacht. Das Meer, das ihn und seine Familie sonst so gut ernährte, nahm Lorenz Marquardt im Jahr 1872 sein Zuhause. Die Sturmflut zerstörte das Haus des Fischers in der Nähe der Eckernförder Innenstadt. Er zog in den inzwischen eingemeindeten damaligen Nachbarort Borby auf der Nordseite des Hafenbeckens. Erst wohnte Marquardt beim Bäcker, später baute er sich ein Haus direkt am Strand. Und damit entstand ein zweites Standbein. Aus dem einstigen Eckernförder Fischer wurde dann der Borbyer Bootsführer - jedenfalls für vier Monate im Jahr für die Touristen.
Der Blick über den Eckernförder Hafen auf die Borbyer Kirche hat sich kaum verändert. Das Hafenbecken selbst sah 1924 allerdings etwas anders aus - damals gab es noch den Isern-Dükern-Steg. Mit dem Schieberegler auf diesem und den weiteren Bildern können Sie das Eckernförde von früher und heute vergleichen. Verschieben Sie den Regler einfach mit der Maus oder dem Finger auf Smartphone und Tablet.
Ein Fischer dachte früh an den Tourismus
"Als er das Haus gebaut hat, dachte er schon an die Vermietung und hatte hier im Sommer Gäste", erzählt Lorenz Marckwardt. Er ist ein Ur-Enkel des Teilzeit-Bootsführers, war selbst Fischer - und lebt in dem nach der großen Flut gebauten Haus. Von seinem Ur-Großvater erbte er auch seinen Namen. Nur die Schreibweise des Nachnamens hat sich über die Jahrzehnte durch Behördenfehler verändert.
An diesem Steg am Borbyer Ufer legte Lorenz Marquardt um 1900 mit seinen Fischerbooten zu Ausflugstouren ab. Der Steg ist im Besitz der Familie geblieben - sein Ur-Enkel Lorenz Marckwardt hat hier noch ein Fischerboot liegen, mit dem er auch im Ruhestand rausfährt.
Im Sommer zwei Segeltouren am Tag
"Er hat mit den Touristen Segeltouren gemacht", sagt Marckwardt. Motorisiert waren die Boote damals noch nicht. Bei Flaute musste gerudert werden. "Angeboten wurde das vormittags und nachmittags", erzählt Marckwardt. Der Hintergrund war ganz praktisch: Marquardt war Wadenfischer - und nur von September bis April unterwegs. Im Sommer war er nicht auf See - und so konnte sich um die Touristen kümmern.
Sie ist eines der Wahrzeichen der Stadt Eckernförde: die Holzbrücke im Hafen. Sie verband auch 1917 schon die Innenstadt mit Borby - dem Ortsteil, der damals noch eine selbständige Gemeinde war.
Nur noch wenige Fischerboote im Hafen
Erst fast nur Fisch, dann immer mehr Tourismus: Diese Entwicklung hat ganz Eckernförde durchgemacht. Mit 100 Booten waren Fischer um 1900 unterwegs, heute sind es noch knapp über 20 - aber auch nur, wenn man die Nebenerwerbsfischer mitzählt. Bis zu 35 Räuchereien verarbeiteten den frisch gefangenen Fisch damals in der Stadt - heute gibt es nur noch eine. Den letzten Kutter aus Eckernförde fährt auch ein Nachfahre des Bootsführers: der Sohn von Lorenz Marckwardt.
1941 lagen noch deutlich mehr Fischerboote an der Kaimauer im Hafen als heute. Der Rundspeicher (l.) war damals zehn Jahre alt und wurde von einem Getreidehändler genutzt - bis 1986.
In Borby traf sich die "High-Society"
In Borby begann der Badetourismus - und kam erst viel später auf die andere Seite des Hafenbeckens. Das Marie-Louisenbad in Borby lockte die Gäste an, oft auch wohlhabende, wie Lorenz Marckwardt erzählt. "Hier hat sich die ganze High-Society aufgehalten". Heute ist im Sommer das ganze Ufer voll von Touristen. Marckwardt kennt die Geschichten von früher aus Familienerzählungen sowie alten Dokumenten - und hält die Erinnerung wach. In einem Raum hängen an einer grünen Wand lauter alter Fotos von Vorfahren und anderen Fischern. Sein Ur-Großvater ist ein paar Mal dabei.
Auch wenn der Tourismus 1905 in Eckernförde selbst noch nicht brummte, gab es am Südstrand schon eine gern genutzte Promenade.
Ein Ahnenbild - als Postkarte
Spuren vom Bootsführer Marquardt und der früheren Fischerei finden sich auch im Stadtarchiv von Eckernförde. Hier gibt es viele Fotos und Postkarten von Fischerbooten, dem Hafen und eben von Fischern selbst. Eine kleine Postkarten-Porträt-Serie schlummert dort in einem Aktenordner. Zu ihr gehört auch eine Karte, auf der Marquardt mit feinem Hut, Weste und Hemd zu sehen ist. Er guckt mit ernstem und klarem Blick leicht am Betrachter vorbei. Was aussieht wie ein professionelles Porträt-Foto für die Ahnen-Galerie, war im Jahr 1900 tatsächlich ein Urlaubsgruß. Ein Heiner schreibt an der Seite in schönster deutscher Schrift seiner "lieben Lene" aus den Ferien. Auf einer anderen Karte sieht man "Bootsführer Marquardt" auch auf seinem Steg in dunklem Ölzeug und mit Südwester.
Der Trend zum Fischerporträt
Solche Postkarten gibt es heute in Eckernförde nicht mehr zu kaufen. Zwar bieten die Händler in der Innenstadt bestimmt drei Dutzend verschiedenen Motive an. Doch Porträts von Fischern sind nicht darunter. "Diese Postkarten sind aus heutiger Sicht auf jeden Fall besonders", sagt Stadtarchivarin Dorothee Bieske. In der damaligen Zeit sei es nicht ungewöhnlich gewesen. "Das sind sogenannte Typenporträts, die hat es damals genauso in der Malerei gegeben." Bieske denkt dabei an Bilder der Maler, die in der berühmten Künstlerkolonie Skagen lebten. "Die malten genau das, was wir hier auf den Postkarten sehen können", sagt sie.
Blick von der Frau-Clara-Straße auf die Kieler Straße - heute die Eckernförder Fußgängerzone. In dem Haus an der Ecke zur Ottestraße war um 1900 das Büro eines Reeders und Kaufmanns untergebracht. Heute hat hier die Commerzbank ihren Sitz.
Eine einladende Adresse
Die Porträts von Marquardt lagen damals also gewissermaßen voll im Trend. Ob er sie selbst in Auftrag gegeben hat oder sie ein Fotograf aus künstlerischem Interesse erstellt hat, ist nicht klar. Werbung für sein Sommergeschäft waren sie allemal. Das könnte man auch über die alte Adresse des Hauses sagen, in dem sein Einstieg in den Tourismus so richtig begann. Sie lautete: "Bootsführer Marquardt, letztes Haus am Strand, Borby".
1908 gab es viel mehr Räuchereien und Speicher in Eckernförde als heute. Sie prägten auch die Skyline - wie beim Blick von Borby auf die Stadt.