Der letzte Fischer am 125 Jahre alten Nord-Ostsee-Kanal
Der Nord-Ostsee-Kanal ist 125 Jahre alt. Thomas Philipson leitet den letzten Betrieb, der an der künstlichen Wasserstraße noch Fischfang betreibt. Im Boot mit einem, der eine lange Tradition fortführt.
Es ist früher Morgen, erst seit wenigen Stunden scheint die Sonne, als Thomas Philipson in sein Aluminium-Boot am Nord-Ostsee-Kanal (NOK) steigt. Vorher hat er sich sein Ölzeug angezogen. Viele Wolken hängen am Himmel: "Da kommt gleich noch was runter, aber in den Klamotten wird man nicht nass und sie halten warm." Vor 125 Jahren wurde der NOK eröffnet. Inzwischen ist Philipson der letzte verbliebene Fischer an der künstlichen Wasserstraße. Früher waren es mal etwa 20 Menschen, die am Kanal mit Fischfang ihr Geld verdienten.
In die Fischer-Familie hineingerutscht
Vor drei Jahren hat der 28-Jährige den Fischerei-Betrieb in Rade (Kreis Rendsburg-Eckernförde) von seinem Schwiegervater Hans Brauer übernommen. Dort wird der Fang verarbeitet, verkauft und serviert. Über seinen Opa ist Philipson quasi in die Fischer-Familie hineingerutscht: "Der hatte mir damals erzählt, dass ich hier ein Praktikum machen kann. Seitdem bin ich hier - und komme auch nicht mehr weg."
Fischfang auf einer Länge von 16 Kilometern und 400 Hektar
Zwischen 4.30 und 5 Uhr beginnt die Arbeit des NOK-Fischers, am Wochenende schläft er eine Stunde länger. Nur im Herbst gönnt Philipson seiner Familie und sich zehn Tage Urlaub. Auf dem Kanal sind auf einer Länge von 16 Kilometern 400 Hektar Wasser zu bewirtschaften. Die Fläche hat die Familie vom Land gepachtet. Sie betreibt dort auch eine Fischzucht-Anlage.
Philipson fischt das ganze Jahr über, derzeit Aale und Plattfische. Er fährt gerne raus - trotz des frühen Aufstehens, der vielen Arbeit und wenigen Freizeit: "Auf dem Kanal ist immer was los, um einen herum passiert immer was, jeder Tag ist anders."
Schwiegervater barg Autos und Menschen aus dem Kanal
Dabei hat sein Schwiegervater noch ganz andere Zeiten erlebt. 50 Jahre lang war Hans Brauer Fischer. Er hat Kriegsmunition, Autos und Menschen aus dem Kanal geborgen - glücklicherweise lebend. Der Fall eines gekenterten Seglers, den er vor dem Ertrinken rettete, ist noch sehr präsent. Die Mutter des jungen Mannes ließ Brauer und einem weiteren Helfer eine Kiste Whisky zukommen. Es sind Erzählungen aus einer bewegten Zeit.
Jahrhundertbau Nord-Ostsee-Kanal
NOK nimmt Familie Brauer gleich zweimal das Zuhause
Der Nord-Ostsee-Kanal und die Fischerei prägen das Leben der Familie Brauer bis heute. Seit rund 160 Jahren verdienen sechs Generationen bei Rade mit dem Fischfang ihr Geld. "1804 ist die Familie hier hergekommen, damals waren wir Lehrer", erzählt Hans Brauer. 50 Jahre später wurde der Familienname erstmals urkundlich erwähnt, als Rendsburg einen Prozess gegen die umliegenden Dörfer wegen Fischrechten führte. "Damals haben wir am Obereiderhafen gefischt und waren deshalb vom Prozess betroffen", berichtet Brauer.
Der Bau des Kanals ab 1888 verlangte der Familie viel ab. Zwei Mal verloren die Brauers ihr Zuhause. Das erste Haus musste dem Bau des Kanals weichen. "Anfang 1970 haben wir dann noch mal alles verloren", erzählt Hans Brauer. Kuhställe, Schweineställe und das Anwesen mussten weg. "Mein Elternhaus, das ist im Kanal verschwunden", sagt Brauer. Damals wurde die Fahrrinne verbreitert, um Platz zu schaffen. Die Familie bekam jeweils Geld für einen Neubau.
Fischbestand im Kanal ging immer weiter zurück
Seitdem hat sich die Arbeit auf dem Kanal laut Brauer verändert - und das nicht zum Guten. Es sei unpersönlicher geworden: "Früher kannte man die Arbeiter. Der Kanalmeister kam mal auf einen Schnack vorbei, heute ist das alles nicht mehr der Fall." Möglich, dass das alles verkraftbar wäre - wenn denn der Fisch mitspielen würde.
"Im Frühjahr hatten wir früher immer so bis zu 7.000 Heringe gefangen. Das wurde immer weniger", erinnert sich Hans Brauer. Ab 1985 konnte er vom Fischen alleine nicht mehr leben, da der Bestand im Kanal immer weiter zurückging. "Wir haben irgendwann angefangen Ferienwohnungen zu bauen. Und später kam dann noch die Gastwirtschaft dazu", sagt Brauer.
Zuchtanlage und Tourismus sollen die Zukunft sichern
Die Zukunft des Kanals sieht er daher auch im Tourismus. "Das war ja früher gar nicht so, da gab es hier keine Touristen", sagt der 65-Jährige. Nun kommen immer mehr Fahrradfahrer und Wanderer, um die Natur zu genießen und Schiffe zu schauen. Damit das so bleibt, muss aus Brauers Sicht aber noch viel passieren: "Es gibt ja keine Toiletten entlang des Kanals und auch nicht viel, wo man einkehren kann."
Auch in Zukunft soll es in Rade einen Fischer geben. Die Fischzuchtanlage liegt direkt gegenüber des 160 Jahre alten Familienbetriebs. "Dort züchten wir Regenbogenforellen für den Verkauf. Das war eine gute Entschiedung von meinem Schwiegervater, die Anlage hier zu bauen", findet Thomas Philipson.
Die Sonne steht inzwischen etwas höher und scheint auf das Boot, in dem Philipson sitzt. Aus seiner Sicht kann auch die kommende Generation weiter an diesem Kanal fischen, der das Leben der Familie Brauer so sehr geprägt hat.