"Es war eine schleichende Besetzung"
Der Dokumentarfilmer Rasmus Gerlach hat die Ereignisse um die Hamburger Hafenstraße in den 80er- und 90er-Jahren als Zaungast beobachtet und zwei Filme über den Ort und die Menschen gedreht.
Mit NDR.de spricht er im Interview über die Anfänge der Hausbesetzungen.
Herr Gerlach, "Die Hafentreppe" von 1991 dreht sich um die Hamburger Hafenstraße, 2010 Jahr erschien "Hafenstraße im Fluss" - woher stammt Ihr Interesse für dieses Thema?
Rasmus Gerlach: Das Thema war spannend: Damals war ich Student an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und einer unserer Kommilitonen lebte in einem Bauwagen, direkt an der Hafenstraße. Durch unsere Besuche dort habe ich also die ganze Thematik von Anfang an miterlebt, als Zaungast und Nachbar. Mit meinem Studienfreund Thomas Tode kam ich auf die Idee, einen Film über das "Leben als Hausbesetzter" zu drehen. Die erste Vorstufe unseres Projekts war eine Dia-Schau, bei der wir unsere Aufnahmen über einen Karussell-Projektor in diversen Hamburger Kneipen zeigten.
Und dann durften Sie in den besetzten Häusern drehen?
Gerlach: Nein, so einfach, wie wir uns das gedacht hatten, war es nicht: Wegen der ausschließlich negativen Berichterstattung über die Besetzung waren die Hafensträßler sehr misstrauisch den Medien gegenüber. Also begannen wir, unsere Interviews auf der Balduintreppe zwischen den Häusern zu drehen: So hatten die Bewohner uns im Blick und konnten beobachten, was wir da überhaupt machen.
Den zweiten Film allerdings haben wir komplett innen gedreht - zusammen ergeben sie also eine "Außen- und Innenansicht" der Hafenstraße. Wichtig ist und war aber die professionelle Distanz. Klaus Wildenhahn, ein langjähriger Freund, hat sich immer dafür ausgesprochen: "Ein Film wird nicht unbedingt besser dadurch, dass man mit den Protagonisten Bier trinkt."
Durch diese Distanz entsteht eine "Langzeithaltbarkeit", die sehr wichtig ist für meine Filmprojekte. Gerade lief die Dokumentation über Peace Brigades International, die ich für den NDR gedreht habe, wieder im Kino. Das Projekt, also die Begleitung und der Schutz von Menschenrechtlern in der Dritten Welt, ist genauso alt wie die Hafenstraße und hat bis heute nichts an Aktualität und Kraft verloren.
Das wird hoffentlich mit dem Film über die Hafenstraße ebenso.
Hat die Hafenstraße von heute noch etwas mit ihren Anfängen zu tun?
Gerlach: Unbedingt, sie ist der einzige Utopie-Versuch der Bundesrepublikanischen Linken, der bis heute überlebt hat. Und nach wie vor besteht in dem selbstverwalteten Projekt Hafenstraße eine sehr lebendige basisdemokratische Debattenkultur. Aber weil dort keine Kampfsituation mehr herrscht, ist die Idee nach außen nicht mehr so sichtbar: Die Zahl der Auseinandersetzungen im Stadtteil hat sich reduziert, ebenso die Menge der Straftaten, die laut Polizei von der Hafenstraße ausgehen - die Situation hat sich entschärft.
Das sah zu Beginn anders aus?
Gerlach: Es war eine schleichende Besetzung. Damals lebten Studenten in einem der Häuser und beschlossen Silvester 1981, ihren Anspruch auf mehrere Gebäude auszuweiten, weil absehbar war, dass sie sonst abgerissen würden. Heute kann Hamburg fast dankbar dafür sein, dass die geplante Bebauung so abgewendet wurde - vom Charme des Viertels wäre sonst nichts mehr übrig. Denn immer wieder höre ich von Touristen auf den Hafenrundfahrt-Barkassen: "Toll, wie bunt diese alten Häuser dort sind."
Wie sieht die Zukunft der Hafenstraße aus?
Gerlach: Die Baulücken sind mittlerweile gefüllt, es gibt nur noch die Möglichkeit, nach oben zu bauen. Ich erinnere mich an ein Modell, in dem die Häuser in klein nachgebaut wurden, da war noch etwas wie ein "hängender Garten" über die Balduintreppe angedacht.
Eine innerstädtische Allmende wie die Prinzessinnengärten in Berlin?
Gerlach: Die Bewohner der Hafenstraße haben immer viel gegärtnert, das war eine gute Gelegenheit, Brücken zu den Nachbarn zu schlagen - "urban gardening" eben.
Mittlerweile ist es still um das Thema Hafenstraße geworden, trotzdem besteht das ursprüngliche Problem weiterhin: Immer wieder werden Häuser auf St. Pauli verkauft und müssen Büro-Neubauten weichen, auf Kosten der alten Bewohner. Städtebauliche Veränderungen und die Erhaltung von Wohnraum betreffend sind die Hafensträßler immer noch sehr aktiv in den verschiedenen Gremien.
Besetzung als politisches Instrument?
Gerlach: Immer wieder kommt es zu Hausbesetzungen, die mitunter auch neue Wege und Räume eröffnen können, wie zum Beispiel beim Gängeviertel ... Dort wurde die Besetzung des Quartiers durch Kunststudenten und Künstler vor allem auch vom "Hamburger Abendblatt" eher wohlwollend behandelt. Vielleicht kam es auf Grund der positiven Berichterstattung nicht zu einem Ausnahmezustand wie 30 Jahre zuvor in der Hafenstraße.
Das Interview führte Moira Lenz.