Wo Seeleute sogar ihr Gespartes abgeben
Für Felix Tolle ist die Sache klar. "Seeleute sind sehr ehrlich, schnörkellos und voller Humor." Der Hamburger muss es wissen. Er hat im Seemannsheim Krayenkamp gegenüber der St. Michaelis-Kirche tagtäglich mit Schiffsköchen, Maschinisten und Stewards zu tun - ob sie nun noch zur See fahren oder längst im Ruhestand sind. Als Zivildienstleistender hat Tolle das Haus kennengelernt, er ging dann zum Studieren fort, um bald darauf zurückzukehren. Seit 2008 leitet er das Heim gemeinsam mit einer Geschäftsführerin. "Eigentlich hatte ich nach dem Zivildienst mit dem Seemannsheim schon abgeschlossen. Aber als das Angebot kam, konnte ich es einfach nicht ablehnen." Am Mittwoch stand nun ein besonderes Jubiläum an: Die Deutsche Seemannsmission in Hamburg als Trägerverein des Hauses feierte ihr 125-jähriges Jubiläum.
Wie alles anfing
Es ist ein Seemannspastor, der das Leid der Hamburger Seeleute im späten 19. Jahrhundert nicht mehr tatenlos mit ansehen mag: Julius Jungclaußen bringt aus England die Idee mit, ein "Hülfskomitee" für Seeleute zu gründen. Denn die Zeiten für die Männer im Hamburger Hafen sind hart. Bis zu 5.000 Männer warten am Tag auf eine Heuer. Viele wohnen in überteuerten Unterkünften oder werden von geldgierigen Vermittlern ausgenommen. Pastor Jungclaußen findet, die Seeleute seien "durch die Versuchungen des Hafenlebens stark gefährdet". Er entscheidet sich, für ihr seelisches und leibliches Wohl zu sorgen. Am 15. Juni 1891 begründet er - mit Unterstützung von Reedern, Kaufleuten und Senatsmitgliedern - die erste institutionalisierte Seemannsmission in der Hansestadt.
Erstes Seemannsheim im Jahr 1906
Zunächst mietet Jungclaußen im städtischen Seemannshaus an den Landungsbrücken - heute: Hotel Hafen Hamburg - Räume an, um den Bedürftigen zu helfen. 1906 kann dann der "Verein für deutsche Seemannsmission in Hamburg" erstmals Betten anbieten - in einem Haus im Wolfgangsweg. Die 60 Schlafplätze waren aber auf Dauer zu wenig, und so wurde 1959 das heutige Seemannsheim am Krayenkamp mit 144 Betten eingeweiht. Es sollten nun die goldenen Jahre des Seemannsheims kommen.
Per Telegramm ein Bett reserviert
Die Hochphase in den 70er-Jahren hat Jürgen Ruszkowski hautnah miterlebt. Er war von 1970 bis 1997 Heimleiter - 27 Jahre lang. "In meiner Anfangszeit ging es der deutsche Schifffahrt noch gut", erinnert sich Ruszkowski. Entsprechend gefragt sind die Betten. "Wenn man damals einen Schlafplatz suchte, musste man schon von Bord ein Telegramm schicken." Oft reichten die Betten nicht aus. In der Hausordnung habe gestanden, dass ein Seemann höchstens vier Wochen bleiben dürfe. Damit ein Zimmer nicht zu lange belegt ist. 1979 verbucht das Haus 51.000 Übernachtungen im Jahr, heute liegt die Zahl bei 22.500. Die heutige Schifffahrt sei mit der damaligen nicht zu vergleichen. "Ich habe den totalen Umbruch erlebt - von der deutschen Seefahrt zu einer globalisierten Seefahrt", sagt Ruszkowski. Er habe mitbekommen, wie Zigtausende deutsche Seeleute ihren Job verloren, weil die Reeder lieber auf billigere Arbeiter aus dem fernen Ausland setzten.
Deutsche Seeleute schimpften über die "Bimbos" im Heim
Das machte sich auch im Seemannsheim Krayenkamp bemerkbar. Während sich 1970 fast ausnahmslos Deutsche und Österreicher einquartierten, nimmt Ruszkowski nun auch Seeleute aus fernen Ländern auf. "Viele deutsche Bewohner haben mir das übel genommen", berichtet Ruszkowski. "Für die waren alle Ausländer 'Kanakern' und 'Bimbos'." In den 80er-Jahren seien dann - übers Jahr gesehen - Seeleute aus 60 Nationen zu Gast gewesen: Türken, Filipinos, Indonesier, Spanier, Südamerikaner sowie Afrikaner aus Ghana und Burkina Faso bildeten damals die größten Gruppen im Heim. Die Reeder ließen ihre Seeleute nun mit dem Flugzeug einfliegen.
- Teil 1: Wie alles anfing
- Teil 2: "Diebstähle waren an der Tagesordnung"