Wo Seeleute sogar ihr Gespartes abgeben
"Seelsorger und Rausschmeißer in einer Person"
Mitunter ging es im Seemannsheim hoch her. "Diebstahl war an der Tagesordnung und viele kamen mit dem Alkohol nicht klar", erzählt Ruszkowksi im Gespräch mit NDR.de. Er sei Seelsorger und Rausschmeißer in einer Person gewesen. "Einmal hat eine Flasche meinen Kopf nur deshalb verfehlt, weil ich mich gerade noch rechtzeitig wegducken konnte." Der langjährige Heimleiter ist selbst nie zur See gefahren: "Alles, was ich vorweisen kann, ist eine Fahrt als Passagier auf einer Fähre", sagt er schmunzelnd. Mit seiner Familie lebt er die ganze Zeit im Seemannsheim in einer Dienstwohnung. "Das Telefon stand immer neben meinem Bett", verrät Ruszkwoski. Für den Fall, dass etwas Unvorhersehbares geschieht. Weil die Übernachtungszahlen einbrechen, entscheidet er Mitte der 90er-Jahre, das Haus auch für Nicht-Seeleute zu öffnen. Seitdem können auch Hamburg-Touristen und Schulklassen übernachten.
100.000 Mark von Seeleuten im Tresor
Das Seemannsheim am Krayenkamp ist weit mehr als nur ein Haus zum Übernachten. Es ist auch eine "Miniatur-Sparkasse". Die Seeleute können seit Jahrzehnten ihr Geld im Tresor deponieren. "Durchschnittlich hatten wir Einlagen in Höhe von 100.000 Mark", erzählt der frühere Heimleiter Ruszkowksi. Insgesamt seien etwa 34 Millionen Mark durch seine Hände gegangen. Es gab aber auch viele Seeleute, die nicht mit Geld umgehen konnten. "Immer wieder haben Gäste Tausende Mark auf St. Pauli innerhalb kürzester Zeit verballert", weiß Ruszkowski. Und dann hatten sie nichts mehr und endeten als "Stadtstreicher". Auch heute gibt es noch Geldgeschäfte am Krayenkamp: Etliche ausländische Seeleute lassen sich ihre Heuer auf das Konto des Seemannsheims überweisen - einfach weil sie kein Konto bei einer deutschen Bank besitzen. Mitunter schaltet sich das Seemannsheim auch ein, wenn eine Reederei das fällige Gehalt nicht ausbezahlt.
Zwischen Krankenhaus und Wettbüro
Der stellvertretenden Heimleiter Tolle schätzt es sehr, dass es im Seemannsheim familiär zugeht. "Manche kommen ja immer wieder und so kennt man sich seit vielen Jahren", sagt Tolle. Erst kürzlich musste ein Gast eine Blinddarm-Operation überstehen. Für Tolle ist es selbstverständlich, dass er mehrmals im Krankenhaus vorbeischaut. Auch ungewöhnliche Bitten kann er nicht ausschlagen. "Einmal rief mich ein Seemann aus Singapur an, ich müsse unbedingt für ihn einen Tippschein für die Fußball-Champions-League abgeben." So machte sich der Angestellte auf dem Weg, um zum ersten Mal in seinem Leben einen Tippschein auszufüllen. "Das habe ich am Ende auch geschafft, aber die Wette ging leider verloren", erzählt Tolle.
Im Seemannsheim gestrandet
Für viele Seeleute ist das Heim mehr als ein Zwischenstopp. Sie sind dort Zuhause. 35 Dauergäste sind es zurzeit, einer von ihnen lebt seit rund 30 Jahren im Haus. Auch der portugiesische Seemann Antonio Monteiro ist oft in der Eingangshalle anzutreffen. Der 64-Jährige ist seit knapp zwei Jahren arbeitslos - und hat seinen Wohnsitz im Seemannsheim am Krayenkamp. Aus einem einfachen Grund: Nur wenn er in Deutschland gemeldet ist, kann er sein Arbeitslosengeld beziehen. Das Seemannsheim bestätigt seinen Aufenthalt regelmäßig den Behörden. In seinem Zimmer im dritten Stock bewahrt Manteiro nur das Nötigste auf. Auf einem der beiden Betten liegt ein Koffer mit Anziehsachen. Keine Fotos an den Wänden, keine Erinnerungsstücke auf dem Nachttisch. "Meine Heimat ist in Lissabon", verrät Manteiro. Dorthin will er eines Tages zurückkehren. Der Seemann stammt von den Kapverdischen Inseln, mehr als 40 Jahre lang ist er zu See gefahren. Jetzt findet er keinen neuen Job mehr. Das Seemannsheim am Kayenkamp kennt er schon seit rund zwanzig Jahren. "Hier ist alles gut", sagt er knapp.
Karte: Das Seemannsheim am Hamburger Michel
- Teil 1: Wie alles anfing
- Teil 2: "Diebstähle waren an der Tagesordnung"