Gotthold Ephraim Lessing: Der Dichter der Aufklärung
Lessings Werk ist heute so aktuell wie vor gut 250 Jahren. Freiheit und Toleranz sind seine Themen - und er ist verantwortlich für die ersten Literaturkritiken in Deutschland. Am 22. Januar 1729 wurde er geboren.
Kaum einer hat die Entwicklung von Literatur und Theater in Deutschland so nachhaltig beeinflusst wie Gotthold Ephraim Lessing. Er schrieb hierzulande die ersten Literaturkritiken und kämpfte mit spitzer Feder für ein freies Theater, das nicht mehr das Leben bei Hofe, sondern den Alltag der Bürger thematisiert. Sein Eintreten für Freiheit und Toleranz - auch in Glaubensfragen - machten ihn zum führenden Vertreter der deutschen Aufklärung.
Lessing: Schon als Kind ein Querdenker
Das Streben nach Wahrheit und Deutlichkeit war eines seiner Lebensthemen. Sein zweites war der stetige Kampf um ein Auskommen. Lessings Elternhaus war nicht wohlhabend, aber solide und bildungsbeflissen. Geboren am 22. Januar 1729 in Kamenz (Oberlausitz) wächst Lessing als drittes von zwölf Kindern einer evangelischen Pfarrersfamilie auf. Dem Vater gelingt es, ein Stipendium für die Fürstenschule St. Afra im 50 Kilometer entfernten Meißen zu erwirken, 1741 besteht Lessing dort mit Bravour die strenge Aufnahmeprüfung. Schon in dieser Lehranstalt fällt der Schüler auf: Er denkt quer im positivsten Sinne, fragt nach, lässt sich nicht reinreden.
Den umfangreichen Stoff - darunter Religion, Latein, Griechisch, Französisch, Mathematik und Rhetorik - saugt er auf wie ein Schwamm. 1746 schreibt der Rektor an Lessings Vater: "Er ist ein Pferd, das doppeltes Futter haben muß. Die Lectiones, die andern zu schwer werden, sind ihm kinderleicht. Wir können ihn fast nicht mehr brauchen." Lessing bekommt ein halbes Schuljahr erlassen und beginnt in Leipzig auf Wunsch des Vaters ein Theologiestudium.
Student auf Abwegen
Doch zum Theologen fehlen ihm, wie sein Bruder es ausdrückte, "Sprache, Körper und Denkart". Statt im Hörsaal trifft man den 19-Jährigen oft in geselliger Runde mit Kommilitonen und Schauspielern. Für eine Schauspielcompagnie übersetzt er französische Stücke gegen Freikarten. Nebenbei verfasst er sein erstes Lustspiel "Der junge Gelehrte", das die Truppe 1748 aufführt.
Die Familie ist von seinem Lebenswandel entsetzt, sie beordert ihn zur Standpauke nach Hause. Lessing aber ist klar: Er hat seine Berufung gefunden.
Inspiriert von der Berliner Aufklärung
Mit einigen Pausen und Umwegen bringt er sein Studium zu Ende, verlässt die Alma Mater 1752 als Magister der Sieben Freien Künste. Da ist er auch schon als freier Schriftsteller etabliert. Denn weil er mit seinem Stipendium für einige mittellose Schauspieler gebürgt hatte, die sich aus dem Staub machten, musste er eine Arbeit annehmen. Er verdingt sich bei einer Berliner Zeitung als Feuilleton-Redakteur, sein witzig-ironischer Stil gefällt. Übersetzungsaufträge kommen hinzu.
Berlin ist Mitte des 18. Jahrhunderts dank der religiösen Toleranz von Preußenkönig Friedrich dem Großen ein Zentrum der Aufklärung. Lessing taucht ein in die philosophisch-literarischen Kreise, im "Montagsklub" debattiert er rege mit.
Freundschaft und gemeinsame Werke mit Moses Mendelssohn
Der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn (1729 bis 1786) wird sein lebenslanger Freund und Diskussionspartner, etwas später komplettiert der Verleger und Kritiker Friedrich Nicolai (1733 bis 1811) die Gruppe.
Ab 1759 geben die drei wöchentlich die "Briefe, die neuste Literatur betreffend" heraus - Rezensionen der aktuellen Belletristik-Veröffentlichungen. Sie sind geschrieben im Dialogstil an einen fiktiven verwundeten Offizier des Siebenjährigen Krieges. Die Kritiken stecken voll Scharfsinn und Spott. Mit ihrer treffsicheren Polemik regen sie zum Selbstdenken an.
"Minna von Barnhelm": Erste klassische deutsche Komödie
Lessing ist mittlerweile 30 Jahre alt und muss feststellen, dass ein Literat sich einen annehmlichen Lebenswandel nur leisten kann, wenn er ein festes Grundeinkommen bezieht. Obwohl es ihm widerstrebt, sich "zum Sklaven zu machen", fängt er in Breslau als Sekretär beim preußischen Kriegsgeneral Tauentzien an - für ihn immerhin eine Gelegenheit, "mehr unter Menschen als unter Büchern zu leben". Aus den Breslauer Jahren gewinnt er den Stoff für "Minna von Barnhelm", die erste klassische deutsche Komödie.
Lessing am Hamburger Nationaltheater
"Minna von Barnhelm" wird 1767 in Hamburg uraufgeführt. Denn inzwischen erreichte Lessing der Ruf, als Dramaturg und Berater das dortige Nationaltheater mit aufzubauen: das erste bürgerliche Theater Deutschlands. Neben den Hoftheatern gab es bislang nur wechselnde Bühnen für wandernde Schauspieltruppen. Zwölf Theaterbegeisterte hatten ein Gebäude am Gänsemarkt gepachtet und wagten sich an das neue Unternehmen.
Lessing mietet sich auf dem Holländischen Brook ein, im Hafenviertel, und beginnt enthusiastisch mit der Arbeit. Aus seinen Aufführungsrezensionen erwächst die wegbereitende "Hamburgische Dramaturgie", in der er die damals modischen französischen Stücke bissig auseinander nimmt und immer wieder Shakespeare rühmt, der in Deutschland bis dato unbekannt ist.
Kein Auskommen mit dem Einkommen
Doch erleidet er finanziell erneut Schiffbruch. "Mit unserm Theater (das im Vertrauen!) gehen eine Menge Dinge vor, die mir nicht anstehn. Es ist Uneinigkeit unter den Entrepreneurs, und keiner weiß, wer Koch oder Kellner ist", schreibt er im Mai 1767 an seinen Bruder. Nach zwei Spielzeiten muss die Bühne Bankrott anmelden. Auch Lessings Versuch, mit Johann Christoph Bode ein Druck- und Verlagsunternehmen aufzubauen, scheitert - er verliert all sein Geld als Teilhaber. Mittellos steht er da und muss sich nach einem neuen Posten umsehen.
Als Bibliothekar in Wolfenbüttel
Den findet er, eher notgedrungen, in Wolfenbüttel: 1770 tritt er die ehrenvolle, jedoch schlecht dotierte Stelle an der weltberühmten Herzog-August-Bibliothek an. Als Unterkunft hat er fünf Zimmer in dem leer stehenden Schloss zur Verfügung, bald legt er sich aber einen "Stadtsitz" im belebteren Braunschweig zu. "Eigentliche Amtsgeschäfte habe ich [...] keine andere, als die ich mir selbst machen will. Ich darf mich rühmen, daß der Erbprintz mehr darauf gesehen, daß ich die Bibliothek, als daß die Bibliothek mich nutzen soll", berichtet er seinem Vater.
Anfangs fördern die Bücher seinen Schaffensdrang - 1772 veröffentlicht er "Emilia Galotti", ein politisches Drama, im Aufbau der Prototyp für alle folgende klassischen Tragödien. Goethe lobt es hoch, und Schiller urteilt: "Ein Trauerspiel voll Salz."
Doch der Provinzalltag bekommt Lessing auf Dauer nicht. "Es ist nie mein Wille gewesen, an einem Orte, wie Wolfenbüttel, von allem Umgange, wie ich ihn brauche, entfernt, zeit meines Lebens Bücher zu hüten", schreibt er 1774 sauertöpfisch dem Bruder, und einem Freund klagt er: "Mit mir ist es aus; und jeder dichterische Funken, deren ich ohnedies nicht viel hatte, ist in mir erloschen."
Spätes Einlaufen in den Ehehafen
Viel bedeuten Lessing in der Wolfenbütteler Ermitage seine Beziehungen zu Hamburg. Denn einerseits wurde er 1771 in die Freimaurerloge "Zu den drei Rosen" am Dammtor aufgenommen - deren Denkart er unterstützt, die er allerdings nur selten besucht. Andererseits hat er an der Elbe geschätzte Freunde gewonnen, darunter den Musiker Philipp Emanuel Bach, die Familie des Theologen Reimarus und die Familie König, für deren jüngsten Sohn er die Patenschaft übernahm.
Als Engelbert König stirbt, kümmert sich Lessing um die Witwe Eva. 1770 beginnen sie einen Briefwechsel, schon 1771 verloben sie sich. Eva König ist wegen der Nachlassgeschäfte meist in Wien, sodass beide fünf Jahre lang eine Fernbeziehung führen. Die Korrespondenz aus dieser Zeit trieft nicht von Sehnsucht oder Pathos, sondern zeugt von einer Freundschaft zweier Einsamer, Gebeutelter. Am 8. Oktober 1776 wird Hochzeit gefeiert, im Haus von Bekannten des Paares in Jork.
Schmerzvoller Verlust
Lessings Familienglück sollte nur kurz währen. Am Weihnachtsabend 1777 kommt sein Sohn Traugott als Zangengeburt zur Welt - er überlebt keine 24 Stunden. Eva fällt ins Kindbettfieber. Silvester 1777 schreibt Lessing an Johann Joachim Eschenburg: "Freylich zerrt mir der kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort! - Denn noch ist wenig Hoffnung, daß ich sie behalten werde. - Ich wollte es auch einmal so gut haben, wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen." Am 10. Januar 1778 stirbt Lessings Frau.
Der Fragmentenstreit eskaliert
Der Dichter stürzt sich nur umso tiefer in die Arbeit - "jeder zerstreut sich so gut als er kann". Schon zu Anfang seiner Wolfenbüttler Zeit hatte er die "Fragmente eines Ungenannten" herausgegeben, vorgeblich ein Fund aus der Bibliothek - in Wahrheit stammte die Aufsehen erregende Bibelkritik aus der Feder des Freundes Reimarus. Auf die Angriffe kirchlicherseits hin verfasste Lessing beißende Polemiken, insbesondere seinen bekannten "Anti-Goeze", die Abrechnung mit dem Hamburger Hauptpastor. Doch erreicht die Orthodoxie beim Herzog, dass er Lessing weitere theoretische Veröffentlichungen untersagt.
"Nathan der Weise": Poetische Antworten auf theologische Fragen
Der aber gibt nicht auf. Zeitlebens ging es ihm um die religiöse Wahrheit - um den Kampf gegen stumpfe Buchstabengläubigkeit, für ein tolerantes Christentum, auch gegenüber anderen Glaubensrichtungen. Lessing verspürt Sendungsbewusstsein. "Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen", schreibt er 1778 an Elise Reimarus. Und er findet die Form für sein Humanismusplädoyer in einem dramatischen Gedicht mit fünffüßigen Jamben: 1779 erscheint "Nathan der Weise", das erste weltanschauliche Ideendrama - und Lessings Meisterwerk.
Die "Erziehung des Menschengeschlechts", an der er weiterarbeitet, ist Lessing ein Anliegen. Doch er spürt, dass es mit ihm körperlich bergab geht. Seinem Freund Mendelssohn schreibt er im Dezember 1780: "Auch ich war damals ein gesundes schlankes Bäumchen; und bin itzt ein so fauler knorrichter Stamm! Ach, lieber Freund! Diese Scene ist aus!"
Am 15. Februar 1781 stirbt Lessing im Alter von 52 Jahren an Brustwassersucht. Dabei sammelt sich wässrige Flüssigkeit im Brustraum zwischen Lungenfell und Rippenfell. Er ist so arm, dass er in Braunschweig auf Staatskosten beerdigt werden muss.