Stand: 23.01.2020 09:29 Uhr

Vom Ostsee-Kind zum Bundespräsidenten

von Judith Greitsch
Der damalige Pastor Joachim Gauck sitzt rechts neben einer Schülerin © NDR
Die junge Gemeinde um Pfarrer Gauck im Neubauviertel Evershagen trifft sich häufig in privater Umgebung.

Joachim Gaucks Art auf die Menschen und vor allem auch auf Jugendliche zuzugehen, kommt an. Rasch wird die Gemeinde größer, er wird als Rostocks Stadtjugendpfarrer berufen und leitet ab 1982 auch die Kirchentagsarbeit in Mecklenburg. Auf dem legendären Evangelischen Kirchentag 1988 in Rostock gelingt es ihm und seinen Mitstreitern, Altbundeskanzler Helmut Schmidt als Redner zu verpflichten. Das Erlebnis bewegt Gauck bis heute, in der Rede zu Ehren von Schmidt zu dessen 95. Geburtstag erzählt er davon im Schloss Bellevue.

Als die Söhne ausreisen wollen

Für Gaucks Kinder ist es nicht immer einfach mit einem charismatischen Vater, der Ansprechpartner für eine ganze Gemeinde, ja eine ganze Stadt ist. Gauck ist immer viel unterwegs. In seinen Erinnerungen schreibt er, wie ihn sein Sohn Christian einmal hart angeht: "Für andere setzt du dich ein! Für deine eigenen Söhne nicht!", sagt er zu ihm. In der Tat hängt der Haussegen mehr als schief, als die Söhne Martin und Christian 1984 ihre Ausreise in die Bundesrepublik beantragen. In der DDR dürfen die beiden Pastorensöhne ihre Berufswünsche nicht verwirklichen - ein Zustand, den sie nicht aushalten.

Urkunde zur Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. © Privatbesitz J. Gauck Foto: privat
Ein bewegendes Dokument für die Familie: Die Urkunde vom 8. Dezember 1987 zur Entlassung Martin Gaucks aus der Staatsbürgerschaft der DDR.

Mutter Hansi versteht den Ausreisewunsch, Gauck ist dagegen. Er hat in den 50er-Jahren erlebt, wie innerhalb kurzer Zeit viele Freunde und etliche andere kluge und gut ausgebildete Menschen die DDR Richtung Westen verließen. Gaucks Credo: Der richtige Weg sei es, in der DDR zu bleiben und sich zu engagieren, um Dinge zu verändern. Als der Tag der Ausreise 1987 für die Söhne kommt und die Eltern sie zum Zug bringen, fällt Mutter Hansi der Abschied sehr schwer. Als sie weint, bleibt Gauck ohne Tränen und ist deutlich distanziert - "Wein doch nicht", sagt er zu ihr, der Abschied sei doch ein ganz normaler Prozess.

Jahre später analysiert Gauck in einer Therapie sein unterkühltes Verhalten damals. Auch das Schreiben seines Buches hilft ihm, die Zeit aufzuarbeiten. Heute sagt er, er sei von diesem "alten Konzept der Männlichkeit", dass Starksein nur ohne Tränen ginge, geheilt.

1989 - Die Ereignisse überschlagen sich

Joachim Gauck  steht im Herbst 1989 in der Marienkirche in Rostock vor einem Mikrofon und hält eine Rede. © picture alliance / dpa Foto: Siegfried Wittenburg
Im Herbst 1989 strömen bis zu 5.000 Menschen in die Rostocker Marienkirche und beschwören mit Gauck die Freiheit.

Zwei Jahre später, im Juni 1989, verlässt auch Gaucks älteste Tochter Gesine der Liebe wegen die DDR, nicht ahnend, dass nur wenige Monate später die Grenze Geschichte sein würde. Gesines Vater wird derweil zu einer zentralen Figur des friedlichen Umbruchs in der DDR: Er engagiert sich in der Bürgerbewegung Neues Forum, ruft zur Freiheit in der Rostocker Marienkirche auf. Im Anschluss an die Gottesdienste ziehen Zigtausend Menschen durch die Rostocker Innenstadt, demonstrieren für einen demokratischen Wandel. 1990 wird Gauck Abgeordneter von Bündnis 90 in der ersten frei gewählten - und letzten - Volkskammer der DDR.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 23.01.2020 | 09:00 Uhr

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