"Von Fanatismus angeekelt": Zeitzeuge Rickel kämpft für Demokratie
Ein 87 Jahre alter Zeitzeuge engagiert sich für ein besseres Miteinander und für mehr Demokratie. Er hat eine Stele entworfen, die zum Nachdenken anregen soll. In Wawerort steht bereits eine, direkt hinter dem Deich.
"Rassismus, Lügen, Hass, Fanatismus. Ohne uns!" Diese Wörter stehen auf einer 35 Zentimeter schmalen, 1,80 Meter hohen Tafel mit Inschrift - eine sogenannte Stele. Sie ist eingefasst in einen Metallrahmen, geschützt durch eine Kunststoffscheibe, verankert auf einem Beton-Sockel. Es stehen noch weitere Begriffe darauf: "Habgier, Eifersucht, Hass" zum Beispiel und dazu eine Aufforderung: "Finde anstelle dieser aufgeführten Eigenschaften, die wir alle in uns haben, ein positives Wort (Eigenschaften), mit dem wir besser miteinander leben können. Gezeichnet: Udo Rickel."
Eine Stele für die Demokratie

Er läuft drumherum und freut sich, dass sie endlich steht. Seit einer guten Woche schon. Auf seiner Jacke sind grüne Flecken. Den Sockel hat er selbst angemalt, so grün wie das Gras, das hier bald wieder sprießen wird, denn die Stele steht zwischen Spielplatz und Kiosk am Parkplatz in Wawerort am Deich (Kreis Dithmarschen). Wenn die Tourismussaison an der Nordsee startet, sollen die Begriffe die Besucherinnen und Besucher irritieren und ins Gespräch bringen, sagt Udo Rickel.
Dass wir diese negativen Eigenschaften in uns haben, dessen sind wir uns "gar nicht bewusst oder zu wenig bewusst. Wir tun immer so, als wären wir vollkommen." Keiner würde zugeben, dass er jemanden mobbt, "aber fast in jedem Büro wird das gemacht, bewusst oder unbewusst." Oder Habgier: "Haben, ja, das ist normal. Aber muss man gierig sein? Das ist die Frage", so Rickel. Die Stele war seine Idee. Druck, Einfassung und Fundament haben lokale Sponsoren bezahlt. "Die Menschen vor Ort dabei zu haben, das ist mir wichtig!"
Zeitzeuge Udo Rickel: "Ich bin ein Kriegskind"
Udo Rickel lebt in Wawerort. Auf seinem Esstisch liegen Fotos, auf denen er als Kind zu sehen ist. "Ja guck, da waren die Scheiben schon kaputt." Auf dem Foto sitzt er mit anderen Kindern auf einem Absatz vor einer Tür. Die Scheibe im Hintergrund war kurz zuvor bei einem Bombenangriff durch die Druckwelle zerbrochen. "Von meinem dritten bis zu meinem neunten Lebensjahr habe ich nur Krieg erlebt. Schlimm war das." Udo Rickel wurde im Zweiten Weltkrieg mehrfach ausgebombt, verlor sein linkes Auge und war mit seiner Mutter und Schwester zwei Tage unter Trümmern verschüttet. "Ich bin ein Kriegskind."
Rickel hat erlebt, was Faschismus und Fanatismus anrichten können, betont er. Als Jugendlicher hat er mit Freunden ehemaligen Wehrmachtssoldaten den Garten umgegraben, "weil die das nicht mehr konnten. Denen fehlte ja ein Bein oder ein Arm." Die waren trotzdem immer noch überzeugt von Hitler. Dieser Fanatismus hat mich und meine Freunde angeekelt." Er setzte sich das ZIel, die alten Männer umzustimmen "und es ist uns gelungen."
"Ich habe keine Kindheit und keine Jugend gehabt." Udo Rickel
Heute ist Udo Rickel 87 Jahre alt. Dass die Demokratie ernsthaft wieder in Gefahr ist, treibt ihn um. "Ich habe keine Kindheit und keine Jugend gehabt", sagt er, "und wenn ich mir die Jugend heute ansehe, bin ich ein bisschen neidisch darauf und sage: Wie schön, dass ihr das Leben noch vor euch habt. Aber macht was draus."
Er geht als Zeitzeuge dorthin, wo die Menschen sind
Udo Rickel will wachrütteln. Deswegen geht er als Zeitzeuge mit seiner Stele zu den Menschen. Mehrfach war er in der Schule am Meer in Büsum, hat von Krieg und Faschismus erzählt und mit den Jugendlichen auch über Werte diskutiert. Klara Weigmann hat ihn erlebt: "So emotional, wie er das erzählt hat und auch rübergebracht hat, aber immer noch nett und förmlich, also total sachlich und nicht so 'Die blöden Deutschen damals' oder so etwas", erinnert sich die 18 Jahre alte Schülerin. Er sei stattdessen "total auf uns und unsere Fragen eingegangen. Und das hat mich beeindruckt."
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Auch auf Klaras Freundin Antonia Außerehl hat Udo Rickel Eindruck gemacht. Ihr sei klar geworden, dass die eigenen Probleme "im Vergleich zu damals, zu der damaligen Zeit" unbedeutend seien. Sie habe verstanden, dass es im Krieg wirklich um Leben und Tod gehe, und "da hinterfragt man sich auch einfach noch mal", gerade auch wegen der aktuellen politischen Lage nach den Bundestagswahlen.
Einfach herzustellen, nachhaltig, recyclebar und feuerfest
Für seine Stele hat sich Udo Rickel einen Profi gesucht. Mit Klaus Lütje vom DruckZentrum Westküste hat er sie entwickelt. Hier lässt er sie drucken. "Jeder kann sie hier drucken lassen", sagt der Erfinder. "Der Druck kostet 100 Euro. Wer mehrere in Auftrag gibt, bekommt Mengenrabatt." Er selbst verdient keinen Cent daran. Das Material: nachhaltig, recycelbar und feuerfest. Klaus Lütje betont, sie sei für jede Witterung geeignet: "Dementsprechend gibt es keine Einschränkungen. Dieses Material ist bis auf mechanische Beanspruchung unverwüstlich." Genau so wollte es Udo Rickel, denn sie soll überall stehen: zum Beispiel im Wartebereich der Kfz-Zulassungsstelle im Kreishaus in Heide, aber auch in Praxen, Kindergärten und Rathausfoyers. Überall dort, wo viele Menschen zusammenkommen. So wie im Klimapark in Meldorf.
Am besten, man fängt bei den Kindern an
Udo Rickel trifft sich mit Horst-Walter Roth, einem sogenannten Mitgestalter in Meldorf. Im Auftrag der Bürgermeisterin schauen sie zusammen nach einem geeigneten Standort für die Stele. "Am besten neben einer Bank", sagt Horst-Walter Roth. "Ja, das ist gut", findet Udo Rickel. Rechts? Nein, das will er lieber nicht. Da steht schon der Mülleimer. Lieber links, zwischen Bank und Baum. "Mir geht es ja darum, dass man darüber spricht", so Rickel, am besten auch schon mit den Kindern. "Nach dem Motto: Das Bäumchen kannst du biegen. Den Baum nicht mehr. Die sind ja aufnahmefähig, die Kleinen, und fragen: 'Mama, Papa, wofür?' Und das möchte ich gerne erreichen." Nicht nur in Wawerort oder Meldorf, sondern in ganz Deutschland "und in der ganzen Welt."
Mission für eine bessere Welt
In Nordermeldorf steht schon ein Fundament. Wesselburen hat bereits eine bestellt. So kann es weitergehen, findet Udo Rickel. Auch bei der AfD hat er schon angefragt, ob er mal vorbeikommen kann. Denn mit seiner Mission für eine bessere Welt ist er längst noch nicht am Ende.
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