Der deutsche Industrielle Oskar Schindler trifft 1962 in Israel einige der insgesamt 1200 Juden wieder, die er gerettet hatte © picture-alliance / dpa

Oskar Schindler: Wie seine Liste in Hildesheim entdeckt wurde

Stand: 10.10.2024 11:00 Uhr

Er bewahrte viele Jüdinnen und Juden vor dem Tod im Konzentrationslager und wurde in Steven Spielbergs "Schindlers Liste" posthum zum Filmhelden. Am 9. Oktober 1974 starb Oskar Schindler mittellos in Hildesheim.

von Kathrin Bädermann

Wer war Oskar Schindler? Er war ganz sicher kein makelloser Mann, er war Bonvivant und Casanova, Opportunist und geldgieriger Kriegsprofiteur. Aber genau dieser Mann ist zum Helden geworden, als er sich in einer der finstersten Zeiten auf die Menschlichkeit besann und unter Einsatz seines Lebens und Vermögens rund 1.200 Menschen das Leben rettete.

Schlingerkurs-Karriere, Heirat, Affären, Partys, Luxus

Die Schauspielerin Caroline Goodall und der Schauspieler Liam Neeson am Filmset von "Schindlers Liste" © picture alliance / Mary Evans/AF Archive/Universal
Caroline Goodall und Liam Neeson als Emilie und Oskar Schindler am Filmset von "Schindlers Liste".

Oskar Schindler wurde am 28. April 1908 in Zwittau (heute Svitavy, Tschechische Republik) in Mähren im damaligen Österreich-Ungarn geboren. Seine Familie sprach Deutsch, gehörte zur katholischen Kirche und hatte es finanziell gut, der Vater war Landmaschinen-Fabrikant. Schindlers beruflicher Werdegang folgte keinem Konzept und begann mit einem Rauswurf aus der Schule. Da war er 16 und hatte sein Zeugnis gefälscht. Er lernte beim Vater, heuerte in einer Fahrschule an, ging zur Armee, war Bankvertreter und landete 1935 als Agent unter Admiral Wilhelm Canaris bei der Abwehr, dem militärischen Geheimdienst des Deutschen Reichs. Die Kenntnisse und Kontakte, die er in diesen Jahren sammelte, wusste er später gut zu nutzen. 1935 wurde er Mitglied der pronationalsozialistischen Sudetendeutschen Partei (SdP), im Januar 1939 trat er der NSDAP bei.

Seine Frau Emilie, geborene Pelzl, war schon früh an seiner Seite. Er heiratete sie, da war er 19 und sie 20. Vater Pelzl, einem Gutsbesitzer, passte der Schwiegersohn gar nicht, dieser "unfertige Mann". Vielleicht ahnte er, dass Oskar Schindler nicht der treue, fürsorgliche Ehemann sein würde, den er seiner Tochter wünschte - sondern das ziemliche Gegenteil. Ständig hatte er Affären, er liebte den Glamour und verpulverte das gemeinsame Geld. Und Emilie? Verzieh ihm, immer wieder.

Geschäfte mit der Wehrmacht und auf dem Schwarzmarkt

Oskar Schindlers Emaillefabrik in Krakau, fotografiert im Jahr 2023 © picture alliance Foto: Daniel Kalker
Oskar Schindlers Fabrik in Krakau war 1993 Filmset für "Schindlers Liste" und ist heute ein Museum.

Im September 1939, kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen, kam Schindler als Mitarbeiter der Abwehr ins besetzte Krakau. Sein Ziel: vom Krieg profitieren und Geld machen. Die Nazis enteigneten und entrechteten die Juden systematisch, ihre Fabriken und Häuser boten sie Deutschen zum Kauf an. Eine dieser Fabriken übernahm Schindler und nannte sie Deutsche Emailwarenfabrik (DEF). Sie stellte Blech-Geschirr her. Mithilfe jüdischer Mitarbeiter und Berater - allen voran Itzhak Stern und Abraham Bankier - machte er mit der DEF ein Vermögen: durch offizielle Aufträge für die Wehrmacht, aber auch auf dem Schwarzmarkt. Schindler beschäftigte von Anfang an viele jüdische Zwangsarbeiter. Sie waren billiger als die polnischen und somit profitabler für Schindler.

Vom Lebemann zum Lebensretter

Was genau bewirkte nun seinen Wandel und machte ihn vom NSDAP-Mitglied zum Retter von 1.200 Juden? Schindler bekam die Schikanen, unter denen seine Arbeiter zu leiden hatten, natürlich mit: das Ghetto, das seit Oktober 1940 in Krakau bestand, willkürliche Erschießungen, das Verschwinden von Juden im Konzentrationslager. Schindler erzählte in der Fernsehsendung hessenschau im Jahr 1965, er habe über die Jahre "Grausamkeiten mit allmählicher Steigerung" wahrgenommen sowie "Sadismus in Reinkultur". Gefragt nach seiner Motivation sagte er: "Ein denkender Mensch, der mit dem inneren Schweinehund siegreich fertig wurde, musste einfach helfen. Es war keine andere Möglichkeit."

Schindlers Vertrauter Itzhak Stern sah vor allem in der Ermordung der Kinder des Ghetto-Kinderheims während der Liquidierung des Krakauer Ghettos im März 1943 das eine Ereignis, das Schindler über Nacht veränderte. Im Film "Schindlers Liste" ist es - stellvertretend - das Mädchen mit dem roten Mantel, das ihn nicht loslässt.

"Siegentscheidende" Produktion schützte Mitarbeitende

Szenenbild aus dem Film "Schindlers Liste" mit den Schauspielern Liam Neeson und Ben Kingsley beim Erstellen der berühmten Liste © picture alliance/dpa
Filmszene: Liam Neeson spielt Schindler, Ben Kingsley seinen jüdischen Buchhalter Itzhak Stern.

Von nun an versuchte Schindler, unterstützt von seiner Frau Emilie, das Leben "seiner" Juden zu beschützen. Er stellte beispielsweise nach einem geheimen Tipp die Produktion von "kriegswichtig" auf "siegentscheidend" um, indem er in der DEF nun auch Munitionshülsen herstellen ließ. Arbeiter solcher Betriebe waren besser geschützt vor einer Deportation. Aktionen wie diese waren ein Drahtseilakt. Er wurde mehrfach denunziert, verhaftet und verhört und konnte sich dank seiner guten Kontakte immer wieder herauswinden.

Schindlers Listen und der Umzug eines Konzentrationslagers

Ein Archivar zeigt am 21. Juli 2013 in Yad Vashem in Jerusalem eine Seite einer originalen Kopie der berühmten Liste von Oskar Schindler. © picture alliance / dpa Foto: Jim Hollander
Wer auf der Liste von Oskar Schindler stand, war gerettet.

Ende 1944 sollte das Konzentrationslager Krakau-Plaszow, in dem Schindlers Zwangsarbeiter untergebracht waren, wegen des schnellen Vormarsches der Roten Armee geräumt werden. Das hätte das Ende dieser Menschen bedeutet. Es kostete viel Mut, Mühe und Unmengen Bestechungsgelder an die SS, aber Oskar und Emilie Schindler schafften es, die DEF mitsamt 1.200 jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern nach Brünnlitz in Schindlers alte Heimat verlegen zu lassen - und so zu retten. In dieser Situation entstand die Liste, die später dem Film seinen Titel gab: Auf ihr wurden die Namen der Menschen notiert, die laut Schindler und seiner Berater in Brünnlitz dringend gebraucht wurden. Wer auf der Liste stand, war gerettet.

Übrigens gab es nicht nur eine einzige "Schindlers Liste". Wenn üblicherweise die Einzahl gebraucht wird, dann in einem übertragenen Sinne, sicherlich auch wegen der Popularität des Filmtitels. Tatsächlich gab es mehrere Abschriften dieser Liste.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs war das Ende

Zum Kriegsende versuchten Emilie und Oskar, in die Schweiz zu fliehen. Die Schindlers hatten Angst vor der Sowjetarmee, aber auch vor den westlichen Alliierten. Die Flucht misslang, doch die französischen Besatzer ließen das Paar ziehen, auch durch die Fürsprache ihrer Begleiter: jüdischer Zwangsarbeiter aus der Brünnlitzer Fabrik.

Was nun kam, waren Jahre des Scheiterns, beruflich wie privat. Wirtschaftlich kamen die Schindlers nie wieder auf die Füße, trotz mehrerer Anläufe sowohl in Deutschland als auch in Argentinien, wohin sie 1949 ausgewandert waren. Ein alter Bekannter sagte einmal, der kaufmännische Erfolg Schindlers im Krieg habe ohnehin nicht auf seinen Fähigkeiten beruht, sondern auf denen seiner jüdischen Berater.

Getrennte Wege und späte Ehrung: Emilie Schindler

Emilie Schindler wird am 27. Mai 1999 nach ihrer Ankunft am Münchner Flughafen zur Teilnahme an einer deutschen Talksshow in ihrem Rollstuhl geschoben. © picture-alliance / dpa Foto: Ursula_Düren
Emilie Schindler im Jahr 1999. Sie überlebte ihren Mann um fast 30 Jahre.

Nach neun gemeinsamen Jahren in Argentinien kehrte Oskar Schindler 1958 allein nach Deutschland zurück. Oskar und Emilie sahen sich nie wieder. Scheiden ließen sie sich dennoch nicht. Emilie blieb fast bis zum Ende ihres langen Lebens in Südamerika, finanziell unterstützt von jüdischen Organisationen. Erst mit dem Erscheinen des Films "Schindlers Liste" 1993 (in Deutschland: März 1994) rückte auch sie in die Öffentlichkeit. Aber sie war unglücklich über die eindimensionale Darstellung der Film-Emilie. Dass auch sie einen Beitrag an der Rettung der Juden hatte, wurde erst im Nachklang des Films in den 1990er-Jahren gewürdigt. Sie starb 2001 mit fast 94 Jahren bei einem Aufenthalt in Deutschland. Beigesetzt wurde sie im bayerischen Waldkraiburg.

Emilie Schindler wird am 27. Mai 1999 nach ihrer Ankunft am Münchner Flughafen zur Teilnahme an einer deutschen Talksshow in ihrem Rollstuhl geschoben. © picture-alliance / dpa Foto: Ursula_Düren
AUDIO: Emilie Schindler: Die stille Helferin (15 Min)

"Vater Courage" in der Einzimmerwohnung am Hauptbahnhof

Oskar Schindler lebte in ärmlichen Verhältnissen in einer Einzimmerwohnung in der Nähe des Hauptbahnhofs von Frankfurt am Main, unterstützt durch eine kleine Ehrenrente und durch Spenden der von ihm geretteten Juden. Immer wieder war er lange zu Gast in Israel, wo sie ihn "Vater Courage" nannten. Und wo ihn die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem 1962 in die Reihe der "Gerechten unter den Völkern" aufnahm.

Die Geliebte aus der Göttingstraße in Hildesheim

Bei einem dieser Aufenthalte in Israel lernte er Annemarie Staehr aus Hildesheim kennen - seine letzte Geliebte. Mit ihrem Mann Heinrich, einem Arzt, freundete er sich an. Der Mann duldete wohl das Verhältnis. In den 1970er-Jahren verbrachte Schindler viel Zeit bei den Staehrs in der Göttingstraße 30 in Hildesheim. In seinen letzten Wochen, da war er schwer krank, pflegte ihn das Ehepaar. Er starb schließlich am 9. Oktober 1974 im Alter von 66 Jahren im St. Bernward Krankenhaus an Leberversagen, seine Behandlung bezahlte das Sozialamt Frankfurt. An seine Zeit in Hildesheim erinnert eine Skulptur an der Alfelder Straße, außerdem wurden in der Stadt eine Straße und eine Gesamtschule nach ihm benannt. 

Ein Star nach dem Tod: Blockbuster macht Schindler berühmt

Regisseur Steven Spielberg, links, mit dem Schauspieler Liam Neeson beim Dreh des Films "Schindlers Liste" © picture alliance / Sammlung Richter Foto: Sammlung Richter
Regisseur Steven Spielberg und Schauspieler Liam Neeson 1993 am Set von "Schindlers Liste".

Das wohl größte Denkmal setzte ihm jedoch Steven Spielberg mit seinem Film. Und das kam so: Leopold Pfefferberg, einer der geretteten Juden, war nach Los Angeles ausgewandert und hatte sich in den Kopf gesetzt, Schindlers Geschichte zu verbreiten: "Schindler rettete mir mein Leben, und ich versuche nun, ihm Unsterblichkeit zu geben." Er überredete erst den Schriftsteller Thomas Keneally zu einem Buch über Schindler und dann den Regisseur Steven Spielberg zu einem Film über das Buch. Pfefferbergs Rechnung ging auf. Den siebenfach Oscar-prämierten Film "Schindlers Liste" mit Liam Neeson in der Hauptrolle haben seit seinem Erscheinen (1993/94) viele Millionen Menschen gesehen.

Schindler hatte sich gewünscht, in Jerusalem beerdigt zu werden. Und tatsächlich fand er 1974 seine letzte Ruhestätte auf dem katholischen Friedhof am Zionsberg. Auch sein Grab wurde fast 20 Jahre nach seinem Tod berühmt durch den Film: In der Schlussszene besuchen sogenannte Schindlerjuden und deren Nachfahren das Grab und legen - das ist ein jüdischer Brauch - Steine darauf. Auch heute noch zieht das Grab viele Menschen an.

Sensation für Historiker: Schindlers Liste aus Hildesheim

Der umfangreiche schriftliche Nachlass von Oskar Schindler liegt 1999 in der Redaktion der "Stuttgarter Zeitung". © picture-alliance / dpa/dpaweb Foto: Bernd Weißbrod
Schindlers Koffer wird 1999 in der Redaktion der "Stuttgarter Zeitung" untersucht.

Wie ein Gruß aus der Vergangenheit tauchte Ende der 90er-Jahre ein grauer Samsonite-Koffer mit der Aufschrift "O. Schindler" auf - eine Sensation für Historiker, wie sich zeigen sollte. Er hatte fast ein Vierteljahrhundert unbeachtet und verstaubt auf dem Dachboden der Staehrs in der Hildesheimer Göttingstraße 30 gelegen. Nach dem Tod der Staehrs räumte der Sohn das Haus und nahm auch den Koffer mit. Erst nach Monaten kam er dazu, einmal hineinzuschauen. Darin: viele persönliche Dinge von Oskar Schindler, Briefe, Dokumente. Und: Schindlers Liste. Eine von mehreren Abschriften. Sie liegt heute mit den anderen Papieren und dem Koffer in Yad Vashem, der israelischen Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | 01.10.2024 | 12:15 Uhr

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