Schauspieler Mario Adorf bei einer Pressekonferenz zu den Nibelungen Festspielen im Februar 2020. © Picture-Alliance / Sulupress.de Foto: Marc Vorwerk

Mario Adorf - Komödiant mit Herz und Bösewicht

Stand: 08.09.2020 17:25 Uhr

In den 50er-Jahren wird Mario Adorf in der Rolle eines vermeintlichen Mörders bekannt. Jahrzehnte später hadert der mittlerweile 90-jährige Schauspieler mit der Rolle, mit der seine Karriere begann.

Er gehört zu den wenigen deutschen Weltstars: Mario Adorf - begnadeter Schauspieler, Komödiant mit Herz und furchterregender Bösewicht. Im Eifel-Städtchen Mayen wächst Adorf auf, steht bereits als Student auf der Bühne und avanciert früh zum internationalen Kino-Star. Den Durchbruch schafft er Ende der 50er-Jahre als Frauenmörder im deutschen Spielfilm "Nachts, wenn der Teufel kam" - eine Rolle, mit der er heute ob des Lügengerüsts, auf dem die historische Figur des angeblichen Serienmörders Bruno Lüdke angelegt ist, hadert. Doch nach dem Kino-Erfolg begleitet die Rolle des Bösewichts Adorf durch seine Schauspiel-Karriere. Neben etlichen weiteren bedeutenden Preisen wurde er 2019 auf dem Internationalen Filmfest Braunschweig mit dem Europa-Preis ausgezeichnet. Am Dienstag ist der große Mime 90 Jahre alt geworden - und steht trotz seines Alters noch immer vor der Kamera.

Kindheit ohne Vater in armen Verhältnissen

Mario Adorf kommt am 8. September 1930 in Zürich als uneheliches Kind einer Röntgenassistentin und eines verheirateten italienischen Chirurgen zur Welt. Seine Mutter Alice zieht mit dem Sohn in das Eifel-Dorf Mayen und hält sich mühsam mit Näharbeiten über Wasser. Das Geld ist so knapp, dass die Mutter den jungen Mario über Jahre in die Obhut eines von Nonnen geführten Waisenhauses geben muss. "Angst und Hunger, das waren die beiden Grunderfahrungen meines Lebens und das hat mich auch nie ganz losgelassen", erinnert sich Adorf an seine entbehrungsreiche Kindheit. Den Vater trifft Adorf nur ein Mal als Jugendlicher, später besteht jedoch Kontakt zu seinen Stiefschwestern.

Ausbildung an Otto-Falckenberg-Schule in München

Nach dem Abitur beginnt Adorf 1950 Germanistik und Philosophie in Mainz, später in Zürich zu studieren. Er bricht das Studium jedoch ab, weil er am Schauspielhaus in Zürich kleinere Rollen übernimmt und als Regieassistent arbeitet. Nach dem Abschluss der Schauspielausbildung an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule im Jahr 1955 engagieren ihn die Münchner Kammerspiele. Es folgen kleinere Filmrollen.

"Nachts, wenn der Teufel kam": Erfolg als Bösewicht

Die Darstellung des vermeintlichen Frauenmörders Bruno Lüdke im Streifen "Nachts, wenn der Teufel kam" macht Adorf im Jahr 1957 schließlich bekannt und bringt ihm Ruhm und Preise ein. Den "bösen Blick" habe er bei den Dreharbeiten erst lernen müssen, erinnert sich Adorf später. Die Rolle legt den Schauspieler lange Zeit auf das Fach des Bösewichts fest - ein kalkuliertes Risiko, denn Adorf hat sich zuvor vertraglich zusichern lassen, bei weiteren Gloria-Filmen sein Image mit "komischen oder positiven" Charakteren aufzupolieren. Die Gage für seinen Erfolgsfilm fällt verglichen mit heutigen Summen eher bescheiden aus: 7.500 Mark bekommt er für seine Rolle, für weitere Filme vereinbart er 10.000 Mark Honorar.

Adorfs Karriere beginnt mit einer "falschen" Rolle

Mario Adorf als Bruno Lüdke und sein Opfer, Monika John als Kellnerin Lucy, in dem Film "Nachts, wenn der Teufel kam" von 1957. © picture alliance/United Archives Foto: United Archives / kpa
Das NS-Regime stilisiert den geistig behinderten Bruno Lüdke als Serien- und Frauenmörder. Als Schauspieler in dieser Rolle habe er Lüdke Unrecht getan, sagt Mario Adorf heute.

Heute distanziert sich Adorf von seiner Darstellung Lüdkes. Das Drehbuch zum Film basiert unter anderem auf Artikeln in der "Münchner Illustrierten" über den angeblichen Frauen- und Serienmörder Bruno Lüdke, der 1943 für 53 Morde und drei Mordversuche verantwortlich gemacht wird. Nach späteren Recherchen gehen mehrere Wissenschaftler und Kriminologen allerdings davon aus, dass Lüdke keinen einzigen der Morde - 84 hatte er bei Befragungen unter dem NS-Regime "gestanden" - begangen hat. NS-Polizisten hatten den geistig behinderten Mann offenbar aus ideologischen Gründen zum Mörder stilisiert. 1944 starb Lüdke in Polizeigewahrsam bei Menschenversuchen.

Adorf leidet unter Mitwirkung an Propaganda-Werk

In einem Interview in der "Zeit" spricht Adorf darüber, wie sehr ihn die damalige Rolle, für die er mit dem Bundesfilmpreis als bester Nachwuchsschauspieler ausgezeichnet wurde, heute plagt. "Ich leide darunter. Ich habe bei einem Propaganda-Werk mitgemacht", sagt er. "Ich habe mit meiner Rolle einem Mann das Bild eines Massenmörders verpasst, der keiner war. Ich habe als Schauspieler diesem Bruno Lüdke Unrecht getan. Wenn du im Theater eine klassische Rolle falsch anlegst, dann ist das schade, aber es schadet niemandem groß. Aber ich habe einem Menschen, der wirklich gelebt hat, eine monströse Geschichte gegeben, die überhaupt nicht stimmt." Schuldgefühle habe er diesem Opfer und seinen Angehörigen gegenüber und würde die Falschdarstellung gerne wiedergutmachen können. "Das Beste fände ich, man würde einen neuen Film drehen - und diesmal die wahre Geschichte erzählen", so Adorf.

Seiten eines Kalenders © Fotolia_80740401_Igor Negovelov
AUDIO: Mario Adorf: Vom Film-Fiesling zum "großen Bellheim" (14 Min)

Karriere mit mehr als 150 Rollen in Film und Fernsehen

Doch mit der aus heutiger Sicht zweifelhaften Rolle beginnt Adorfs Weltruhm. Als einer der wenigen deutschen Schauspieler macht er in den 60er-Jahren auch international Karriere. Er gestaltet die Rolle des Duce in "Die Ermordung Matteottis" (1973), spielt in der "Blechtrommel" (1979) nach dem gleichnamigen Buch von Günter Grass und in Billy Wilders "Fedora" (1978) mit. Aber auch der Bühne bleibt er treu. Unvergessen sind seine Fernsehrollen in "Kir Royal" (1986) oder "Der große Bellheim" (1993), die dem Charakterdarsteller alle Möglichkeiten von der großen Geste bis zum kleinen Augenzwinkern bieten.

Mit Karl-Marx-Rolle geht ein Lebenstraum in Erfüllung

Im Jahr 2018 geht für Adorf schließlich ein lange gehegter Lebenstraum in Erfüllung: Im Doku-Drama "Karl Marx - Der deutsche Prophet" darf er in die Rolle des System-Theoretikers schlüpfen. Im Jahr 2019 folgt ein weiterer Höhepunkt: Im Dokumentarfilm "Es hätte schlimmer kommen können" erzählt Adorf die Geschichte seines Lebens. In den fast sieben Jahrzehnten seiner Karriere hat der Schauspieler in mehr als 150 Film- und Fernsehproduktionen mitgespielt. Oberste Maxime bei seiner Arbeit als Schauspieler ist für Adorf stets, glaubwürdig zu sein.

Multi-Talent: Buchautor, Sänger und Entertainer

Die Liebe zur Schriftstellerei entdeckt Adorf hingegen erst spät und eher zufällig. Er veröffentlicht 1992 "Der Mäusetöter" und bringt die Geschichten seiner schweren Kindheit zu Papier. Dazu animiert hatte ihn Schauspieler-Kollege Armin Müller-Stahl, der seinen "unrühmlichen" Geschichten immer gerne lauschte. Inzwischen hat Adorf zahlreiche Erzählungen, Geschichten und Erinnerungen veröffentlicht - viele davon sind autobiografisch. Aber auch als Chansonnier und Entertainer überzeugt der stattliche Mann mit den buschigen Augenbrauen und dem unverwechselbaren Bariton. Zudem hat sich Adorf auch schon als Maler und bildender Künstler sowie in jungen Jahren als Amateur-Boxer versucht.

In zweiter Ehe mit Monique Faye verheiratet

Adorf lebt zeitweise in Italien, Frankreich und Deutschland. Heute hat er unter anderem Wohnungen in München und St. Tropez. "Ich bin ein Europäer, aber kein Weltenbummler", charakterisiert sich der Schauspieler selbst. Er ist in zweiter Ehe mit Monique Faye verheiratet. Seine Tochter Stella Adorf stammt aus seiner ersten Ehe mit der mittlerweile verstorbenen Schauspielern Lis Verhoeven.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Hellwach | 08.09.2020 | 05:40 Uhr

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