Heinrich Schliemann,  deutscher Kaufmann und Archäologe (gedrucktes Foto von 1898) © picture alliance / akg-images / Historisches Auge Foto: akg-images / Historisches Auge
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AUDIO: Heinrich Schliemann: Genie oder Scharlatan? (33 Min)

Heinrich Schliemann: Ein Mecklenburger auf den Spuren Trojas

Stand: 31.05.2023 05:00 Uhr

Als Hobby-Archäologe entdeckt der mecklenburgische Pfarrerssohn Heinrich Schliemann erst Troja und am 31. Mai 1873 einen riesigen Goldschatz - den er der Welt als "Goldschatz des Priamos" verkauft. Das Porträt eines umstrittenen Helden.

von Jochen Lambernd, Stefanie Grossmann

Heinrich Schliemanns Name ist eng verbunden mit der Suche nach Troja, der sagenumwobenen Stadt in Homers Geschichte von der Ilias. Der Schlüssel zu der Verbindung findet sich bereits in Schliemanns Kindheit - als der Siebenjährige zu Weihnachten Georg Ludwig Jerrers "Weltgeschichte für Kinder" bekommt und darin eine Abbildung vom brennenden Troja entdeckt. Der junge Heinrich kann nicht glauben, dass von den Mauern der Stadt nichts mehr übrig sein soll und kommt mit seinem Vater überein, "dass ich Troja ausgraben sollte".

Heinrich Schliemann verlebt eine düstere Kindheit

Heinrich Schliemann © picture-alliance / akg-images
Vom Lande bricht Heinrich Schliemann schon in jungen Jahren in die weite Welt auf.

Diese Vision zieht sich wie ein roter Faden durch Schliemanns Leben - auf dem vor allem in der Kindheit ein Schatten liegt. Als Johann Ludwig Heinrich Julius kommt er am 6. Januar 1822 im mecklenburgischen Neubukow zur Welt. 1823 zieht die Familie nach Ankershagen, wo sein Vater Ernst Schliemann, Lehrer und Theologe, eine gut bezahlte Pfarrstelle annimmt. Obwohl gebildet, hat das Familienoberhaupt einen schlechten Ruf. Er ist als Lehrer in Hamburg gescheitert und hoch verschuldet. Zudem gilt er als liederlich, verschwenderisch und gewalttätig. Ganz anders die Mutter: Luise Therese Sophie Bürger ist zart, einfühlend und musikalisch. Sie bekommt neun Kinder, nach der letzten Geburt stirbt sie im Kindbett. Heinrich schreibt später in seiner "Selbstbiographie": "Es war dies ein unersetzlicher Verlust und wohl das größte Unglück, das mich und meine Geschwister treffen konnte."

Sein Verhältnis zum Vater bleibt stets ambivalent. Schliemann will auf keinen Fall wie sein Vater werden. Doch obwohl er ihn verabscheut, idealisiert er seine eigene Kindheit und unterstützt ihn, auch finanziell.

Ankershagen: Ein mythischer Ort?

Die Dorfkirche in Ankershagen von 1266 © picture-alliance/ ZB Foto: Bernd Wüstneck
Die Dorfkirche in Ankershagen wurde 1266 eingeweiht.

Denn der Vater verliert die Pfarrstelle, auch wegen eines Verhältnisses zum Dienstmädchen. Heinrich kommt zu seinem Onkel Friedrich Schliemann in Kalkhorst bei Grevesmühlen. Nach kurzem Gymnasialbesuch geht Heinrich auf die Realschule und macht anschließend eine fünfjährige Ausbildung in einem Kramerladen in Fürstenberg, einem damaligen Markt- und Handelsplatz an der Havel.

Troja liegt damals noch weit weg, ist in Erzählungen aber stets präsent. Und: Ankershagen an der Müritz kann mit dem historischen Schauplatz durchaus mithalten. Es ist ein Dorf mit vielen verwunschenen Plätzen wie Gräbern, Hügeln, kleinen Seen und riesigen Bäumen. Im Dorf steht auf einem Hügel eine der größten und ältesten Kirchen Mecklenburgs. Der Feldsteinbau stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, einer Epoche zwischen Romantik und Gotik. Vom Glockenturm aus schweift der Blick weit über die Landschaft hinaus.

"Auch ein altes mittelalterliches Schloss befand sich in Ankershagen, mit geheimen Gängen in seinen sechs Fuss starken Mauern und einem unterirdischen Wege [...]; es hiess, furchtbare Gespengster gingen da um, und alle Dorfleute sprachen nur mit Zittern von diesen Schrecknissen." Heinrich Schliemann in seiner "Selbstbiographie"

Amsterdam statt Amerika, dann St. Petersburg

Nach einem kurzen, wenig erfolgreichen Intermezzo in Hamburg bekommt Schliemann eine Stelle in Südamerika angeboten. Da er schon immer vom Reisen träumt, nimmt er an. Das Schiff strandet im Dezember 1841 allerdings bereits vor der niederländischen Küste. Schliemann wird gerettet, kehrt aber nicht nach Hamburg zurück, sondern entscheidet sich für Amsterdam, dem Hauptumschlagplatz für den Farbstoff Indigo. Dort baut er sich mit etwas geliehenem Geld eine neue Existenz auf. Innerhalb von sechs Jahren lernt er Buchhaltung, Kalligrafie und 15 Sprachen, darunter Russisch.

Indigo bringt Schliemann zu Reichtum

Winterpalast mit Schlossplatz in St. Petersburg. © picture alliance / Christian Charisius/dpa Foto: Christian Charisius
Von St. Petersburg aus verdient Heinrich Schliemann mit seiner russischen Firma an die zehn Millionen Goldmark.

Anfang 1846 kommt Schliemann nach St. Petersburg, wo sein unaufhaltsamer Aufstieg als Geschäftsmann mit dem blauen Farbstoff beginnt: "Schon im ersten Jahr meines Aufenthalts war ich bei meinen Geschäften so vom Glück begünstigt, dass ich mich bereits zu Anfang des Jahres 1847 in die Gilde der Großhändler einschreiben ließ." Inzwischen russischer Staatsbürger handelt er neben Indigo auch mit Tee, Kaffee und Hölzern.

In Amerika profitiert Schliemann vom Goldrausch

Zu seiner Leidenschaft für Sprachen kommt die fürs Reisen und Schreiben. Als Handlungsreisender bricht Schliemann 1850 zum ersten Mal nach Amerika auf. Bei seinem zweiten Besuch lässt er sich 1851 in der Goldgräberstadt Sacramento nieder und gründet die Bank "Henry Schliemann". Er handelt mit Goldstaub und Wechseln. Aus ständiger Angst vor Überfällen verkauft er im April 1852 seine Bank und kehrt als gemachter Mann nach St. Petersburg zurück - in sechs Monaten handelt er mit Gold im Wert von 1,35 Millionen Dollar. Jetzt glaubt Schliemann, auch sein privates Glück gefunden zu haben: Am 12. Oktober 1852 heiratet er Katharina Lyshina - "eine russische Dame mit allen Vorzügen des Körpers und des Geistes".

Reich, aber unglücklich

Geschäftlich geht es weiter aufwärts. Im Krimkrieg zwischen 1853 und 1856 liefert Schliemann ein Drittel des russischen Schießpulvers und weitere wichtige Kriegsmittel. Er kann seinen Reichtum ausbauen. Den privaten Ehekrieg allerdings verliert er. Aus seiner Unzufriedenheit heraus schmiedet er neue Pläne. An den Vater schreibt er: "Ich glaube, man kann auch ohne Geschäfte leben." Schliemann träumt vom Aufbruch in die Welt, möchte Homers Heimatland kennenlernen. Er beschäftigt sich mit dem Dichter, außerdem sind "Wissenschaften und Sprachstudium zur wilden Leidenschaft geworden". Besonders Erstere seien eine unversiegbare Quelle seines Glücks, so Schliemann.

Aufbruch ins "zweite Leben"

Das Hauptgebäude der Rostocker Universität © picture alliance / Rupert Oberhäuser Foto: Rupert Oberhäuser
1419 gegründet, gehört die Universität Rostock zu den ältesten im Ostseeraum.

Ein rastloses Leben beginnt: Schliemann bereist Europa und Ägypten. Über mehrere Jahre versucht er, sein Unternehmen in Russland zu liquidieren, was ihm 1864 endlich gelingt. Er transferiert all sein Vermögen nach Westeuropa. Zu diesem Zeitpunkt gehört Heinrich Schliemann zu den reichsten Männern Europas. Nach einer fast zweijährigen Reise kehrt der Weltenbummler 1866 nach Paris zurück, wo sein neuer Lebensmittelpunkt liegt. Dort veröffentlicht er 1867 sein erstes Buch auf Französisch. Er beginnt ein Studium an der Sorbonne. In der Folge erhält Schliemann 1869 auf der Grundlage seiner bisher erschienen Bücher an der Uni Rostock einen Doktortitel in Philologie.

Zufallsbekanntschaft führt zur Suche nach Troja

Heinrich Schliemann, deutscher Kaufmann und Archäologe (um 1880) © picture alliance / dpa Foto: --
1880 sind Heinrich Schliemanns Funde im Londoner South-Kensington-Museum zu sehen.

Auf der Reise zu den türkischen Dardanellen findet am 15. August 1868 eine schicksalhafte Begegnung zweier Autodidakten statt: Nur weil Schliemann sein Schiff verpasst, trifft er auf Frank Calvert. Der britische Auswanderer beschäftigt sich schon lange mit Troja und ist sich sicher, dass der Ort nur auf dem Hügel von Hisarlik liegen kann. Deshalb hat er dort Land erworben, für umfangreiche Ausgrabungen fehlt ihm allerdings das Geld. Heinrich Schliemann weiß zu dem Zeitpunkt nur wenig über Troja, verfügt aber über die finanziellen Mittel. Am 26. Dezember 1868 schreibt Schliemann aus Paris an Calvert: "Ich bin nun entschlossen, den ganzen künstlichen Hügel von Hisarlik abzutragen." Das zeugt nicht gerade von erfahrener Archäologie. Calvert bremst den vorpreschenden Schliemann und mahnt ihn zu gründlichen Vorbereitungen und einer Grabungserlaubnis.

Troja, Mauer und Rampe von Troja II (2600 – 1900 v. Chr.). An dieser Mauer entdeckte Heinrich Schliemann den "Schatz des Priamos". © picture alliance / akg / Bildarchiv Steffens Foto: akg / Bildarchiv Steffens
AUDIO: Troja: Die legendäre Stadt (15 Min)

Schliemann weilt unterdessen in den USA. Dort nimmt er die amerikanische Staatsbürgerschaft an und lässt sich scheiden. In Europa ist zum damaligen Zeitpunkt die russisch-orthodoxe Ehe unauflösbar. Kurz darauf ordnet er sein Privatleben neu: 1869 lässt er sich in Athen nieder und heiratet die Griechin Sophia Engastroménos. Doch auch diese Ehe verläuft zunächst nicht besonders glücklich, die beiden passen nicht zusammen - er ist 47, sie 17. Seine Frau sollte den Platz einer imaginären Heldin einnehmen, wie im Theater. Schliemann spricht am liebsten Altgriechisch mit ihr - in homerischen Versen. Sophia ist überfordert, weil ihr Mann alles bestimmt, "alles nach seinen sonderbaren Ideen ging". Erst nach einigen Jahren findet das Ehepaar zusammen und Sophia unterstützt Schliemann in dessen archäologischem Bestreben.

Schliemanns Grabungserfolg: Das verbrannte Troja?

Heinrich Schliemann in Troja, zeitgenössische Illustration © picture-alliance / KPA/TopFoto
Mit der Entdeckung eines Goldschatzes wird Heinrich Schliemann zu einer bekannten Persönlichkeit.

Nach einer zehntägigen unerlaubten Grabung 1870 beginnen im Oktober 1871 die ersten offiziellen Arbeiten auf dem Hügel in Hisarlik, nahe der türkischen Stadt Canakkale. Schliemann lässt eine große Schneise quer durch die Anhöhe treiben - eine äußerst aufwendige, aber unglaublich laienhafte Aktion aus Sicht heutiger Archäologen. Die Grabungen fördern antike, bronze- und steinzeitliche Siedlungsschichten zutage. Schliemanns mehr als 100 Arbeiter graben sich 1873 unter anderem "durch Massen von verbrannter Thonerde". Der Forscher entdeckt ein Stadttor, von dem eine breite Straße zu einer Art Palast führt. Er ist sich sicher: Das ist Troja.

"Möge dies heilige, erhabene Denkmal von Griechenlands Heldenruhm fortan auf ewige Zeiten die Blicke der durch den Hellespont Fahrenden fesseln, möge es ein Wallfahrtsort werden für die wissbegierige Jugend aller künftigen Generationen und sie begeistern für die Wissenschaft, besonders für die herrliche griechische Sprache und Literatur." Heinrich Schliemann in seiner "Selbstbiografie"

Der vermeintliche "Schatz des Priamos"

Goldschmuck aus dem 'Schatz des Priamos' in der Ausstellung 'Schliemanns Welten. Sein Leben. Seine Entdeckungen. Sein Mythos' in der James-Simon-Galerie + Neues Museum. Berlin, 12.05.2022 © picture alliance / Geisler-Fotopress | Foto: Thomas Bartilla/Geisler-Fotopress
Zum "Schatz des Priamos" gehört eine Vielzahl von Goldschmuckstücken.

Der engagierte Hobby-Archäologe findet bei Grabungen am 31. Mai 1873 ein zerbrochenes Kupfergefäß, hinter dem er Gold entdeckt. Und er findet noch mehr: einen Goldschatz, den er "Schatz des Priamos" nennt. "Um den Schatz der Habsucht meiner Arbeiter zu entziehen und ihn für die Wissenschaft zu retten, war die allergrösste Eile nöthig", so Schliemann. Er verordnet seinen Helfern eine verfrühte Pause, sodass er allein weitergraben kann. Der Fund beläuft sich am Ende auf rund 8.000 Gegenstände.

"Pfundschwere goldene Becher, große silberne Kannen, goldene Diademe, Armbänder, Halsketten, aus Tausenden von Goldblättchen mühsam zusammengeheftet, das konnte nur der prunkhafte Besitz eines mächtigen Herrschers über dieses Land gewesen sein." Heinrich Schliemann über den Fund des Schatzes

"Meine Hoffnungen sind übertroffen, meine Mission ist erfüllt", schreibt Schliemann. Ob er damit auch den Schmuggel vieler Gegenstände aus der Türkei heraus nach Athen gemeint hat, ist offen. Angeblich habe ihm seine Frau dabei geholfen, den Schatz von der Grabungsstätte verschwinden zu lassen. Erst viel später gesteht Schliemann, dass seine Gattin überhaupt nicht vor Ort gewesen sei.

Irrtum bei der Datierung der Funde

Ein Verhängnis ist, dass er nicht auf Calvert hört, der ihn auf einen Irrtum bei der Datierung der Funde hinweist, die aus einer früheren Epoche stammen - etwa 1.300 Jahre vor dem Trojanischen Krieg. Der Schatz kann also nicht von dem legendären König Priamos stammen. Der Begriff ist daher irreführend.

Trotz dieses Fehlers sind die Funde Schliemanns, die insgesamt mehr als 30.000 Exponate umfassen, archäologisch bedeutend. Er vermacht sie zu Lebzeiten dem Deutschen Staat. Heute ist ein Teil davon im Neuen Museum in Berlin zu sehen - allerdings fast nur als Nachbildungen. Die meisten Originale sind nach dem Zweiten Weltkrieg als Beutekunst nach Russland gebracht worden sind - und werden voraussichtlich auch dort bleiben.

Eine umstrittene Persönlichkeit

Ethnographischer Saal im Neuen Museum Berlin © picture alliance / photothek Foto: Thomas Trutschel
In diesem Raum im Neuen Museum in Berlin sind Teile des vermeintlichen Schatzes des Priamos zu sehen. Viele sind Repliken.

Bis heute spaltet Heinrich Schliemann Archäologen und Philologen, denn er ist ein Held zweier Welten, der realen und der imaginären. Dieses Wandern zwischen den Welten tritt auch immer wieder in seinen Büchern und Briefen zu tage. Hier verquicken sich nur allzu oft Wahrheit und Fälschung, Anekdoten werden hinzugefügt oder umgedichtet, Erlebtes überhöht, wie erst in den 1980er-Jahren nachgewiesen wird.

Schliemann lebt sein Leben wie in einem Roman, den er gleichsam entwirft. Den Mythos Troja überführt er in die Wirklichkeit. Dafür erntet Schliemann den Ruhm und die Anerkennung, nach der er sich sein Leben lang gesehnt hat. Am 26. Dezember 1890 stirbt Heinrich Schliemann in Neapel.

Andenken an Schliemann bis in die Gegenwart

Heute tragen die Regionale Schule Heinrich Schliemann Neubukow sowie das Heinrich-Schliemann-Institut für Altertumswissenschaften der Universität Rostock den Namen Schliemanns - ebenso die Heinrich-Schliemann-Gymnasien in Fürth und Berlin-Prenzlauer Berg. Am Schweriner Pfaffenteich wird 1895 ein Büstendenkmal aufgestellt, das Ende August 2011 gestohlen wird. Seit Mai 2012 steht dort ein Bronze-Nachguss.

Bereit seit 1972 informiert die Heinrich-Schliemann-Gedenkstätte in Neubukow über den berühmtesten Sohn der Stadt und stellt Originalfunde und Repliken aus. Sein Elternhaus in Ankershagen beherbergt seit 1980 das Heinrich-Schliemann-Museum. Dort werden unter anderem keramische und bronzene Original-Fundstücke beziehungsweise Nachbildungen aus Mykene und Troja präsentiert. 

Weitere Informationen
Vor dem Heinrich-Schliemann-Museum in Ankershagen steht ein Schild, das auf das Museum hinweist. © picture alliance/dpa Foto: Bernd Wüstneck

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 23.10.2022 | 19:30 Uhr

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