Hans Erich Nossack in seiner Bibliothek. © Picture-Alliance Foto: Sven Simon

Die zwei Leben des Hans Erich Nossack

Stand: 29.01.2021 17:08 Uhr

Der Hamburger Schriftsteller und Büchner-Preisträger Hans Erich Nossack teilte sein Leben in ein "äußerliches" und ein "eigentliches". Am 30. Januar 1901 kam er in Hamburg zur Welt. Wer war der Mann, den heute nicht mehr viele kennen?

von Annette Volland, David Manikowski

Er habe zwei Biografien, befand Hans Erich Nossack gern. "Über die eine (...) können Standes-, Wohnungs-, Finanzämter und andere Behörden weit besser Auskunft geben als ich. Die Register sind absolut zuverlässig, da sie fantasielos sind." Mit der anderen, der wahren Biografie, mühe er sich Tag und Nacht ab. Seit seinem 15. Lebensjahr führte er Tagebuch. Es war Teil seines "eigentlichen" Lebens. Das sah er darin, dem bürgerlichen Schein zu entfliehen und sich auf die Suche nach der Wahrheit über das Dasein zu begeben.

Künstler werden zu Nossacks "wirklicher" Familie

Während Nossack sich von seiner leiblichen Familie distanzierte - die Beziehung zu seiner Mutter bezeichnete er als "Unglück meines Lebens" -, fand er eine andere, die er als "wirkliche" Familie sah. Sie hatte einen weitaus höheren Stellenwert für ihn und bestand aus den Künstlern, Schriftstellern und Dichtern, mit denen er sich geistig verwandt fühlte. Unter anderen zählte Nossack den Lyriker und Dramatiker Christian Friedrich Hebbel und den Maler Vincent van Gogh zu seinen Vorbildern, die er auch als seine Väter bezeichnete.

Goethe und Mann "ohne Persönlichkeit"

Goethe hingegen war für Nossack der "tüchtige deutsche Provinzielle in Reinkultur - unter dem anmaßenden Kostüm schaut immer der kleine Gernegroß hervor". Thomas Mann beschrieb er als "Inbegriff der Unehrlichkeit und der Feigheit". Die Kritik an seinen "Feinden" begründete er darin, dass sie "unecht" seien und keine Persönlichkeit hätten.

Die frühen Jahre von Hans Erich Nossack in Hamburg

Der Schriftsteller Hans Erich Nossack (l) im Gespräch mit dem Hauptdarsteller seines Dramas "Die Rotte Kain", Mathias Wiemann (r) während den Proben am Hamburger Schauspielhaus im März 1952. © dpa - Bildarchiv Foto: Wolfgang Michaels
Im Dreiakter "Die Rotte Kain" befasst sich Nossack mit der Flucht vor dem eigenen Schicksal - hier bei Proben am Hamburger Schauspielhaus 1952.

Hans Erich Nossack wird am 30. Januar 1901 in eine wohlhabende Kaufmannsfamilie in Hamburg geboren. Er wächst in einer Harvestehuder Villa auf. Seine Schulzeit verbringt er am Humanistischem Gymnasium und beginnt anschließend ein Studium der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1920 wechselt Nossack an die Universität Jena, um dort Jura und Philosophie zu studieren, doch auch dieses Studium bricht er ab. Zurück in seiner Heimatstadt beginnt der 24-Jährige seine Schriftsteller-Laufbahn als Dramatiker. Und er heiratet Gabriele Knierer, mit der er sein Leben lang zusammenbleiben wird. Nachts verfasst er Werke wie das Lenin-Drama "Elnin" und das Theaterstück "Die Rotte Kain". Tagsüber arbeitet Nossack bis 1933 als Bankangestellter - aber das ist nur sein äußerliches Leben.

In der KPD dem Nationalsozialismus entgegenwirken

Der junge Schriftsteller und Kaufmannssohn ist auch politisch aktiv: 1930 schließt er sich der Kommunistischen Partei Deutschlands an, denn er will der NS-Bewegung entgegenwirken. Wegen dieser Mitgliedschaft durchsuchen SA und Gestapo später seine Wohnung. Ab 1933 arbeitet Nossack in der Kaffee- und Kakao-Importfirma seines Vaters, die er später übernimmt. In seinem "eigentlichen" Leben entstehen in den 30er- und 40er-Jahren neben Gedichten die Dramen "Die Hauptprobe" und "Der Hessische Landbote". Auch sie werden nicht veröffentlicht.

"Der Untergang" - Bombenangriff zerstört Wohnung und Werk

Der Schriftsteller Hans Erich Nossack (1901 -1977). © picture-alliance/dpa Foto: Bifab
Mehr als 20 Jahre arbeitete Nossack in der Firma seines Vaters, aber seine eigentliche Leidenschaft galt der Literatur.

Einen großen Schlag erlebt Nossack im Juli 1943: Bei dem Bombenangriff auf Hamburg verliert er nicht nur seine Wohnung - auch fast alle seiner Manuskripte verbrennen. Dieser tragische Verlust der bis dahin verfassten Tagebücher, Briefe und Werke beklemmt ihn noch Jahrzehnte später, denn "auf diese Jahre käme es doch vor allem an", schreibt er 1977 in sein Tagebuch. Doch der Verlust seines gesamten Besitzes, die völlige Zerstörung seiner Wohnung und die Zerstörungen in der väterlichen Firma sind auch eine Chance für Nossack, sein äußerliches Leben näher an das eigentliche heranzuführen. Im Oktober 1943 schreibt er sein erstes Prosa-Werk "Der Untergang" (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Film). Als einer der ersten deutschen Autoren beschreibt er darin das Desaster der Luftangriffe auf Deutschland - hier auf Hamburg - und rechnet mit den Nazis ab.

Nossacks zweiter Lebensabschnitt

Eigentlich will er das Werk nicht veröffentlichen, 1948 erscheint die autobiografische Erzählung dann doch in einem Sammelband. Der Text macht ihn bekannt. Obwohl er noch während des Zweiten Weltkriegs entstanden ist, gilt er als Anfang der Nachkriegsliteratur. Nossack wird in die Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gewählt und ist ein Jahr später einer der Mitbegründer der Freien Akademie der Künste in Hamburg.

Ehrung mit dem Georg-Büchner-Preis 1961

Ab 1955 veröffentlicht Nossack beim Suhrkamp-Verlag, dem er bis zu seiner letzten Veröffentlichung treu bleibt. Er löst die Firma seines 1948 verstorbenen Vaters auf und zieht nach Aysetten bei Augsburg. Von nun an arbeitet er nur noch als Schriftsteller und verfasst mehrere Romane, unter anderem "Bericht eines Überlebenden" und "Spätestens im November". Im Jahr 1961 wird Nossack mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt und erhält in den Jahren darauf weitere Auszeichnungen, etwa den Wilhelm-Raabe-Preis. Er unternimmt einige Lesereisen, eine von ihnen in die USA. Nachdem er für kurze Zeit in Darmstadt und dann in Frankfurt am Main gewohnt hat, kehrt er 1969 zurück in seine Heimatstadt Hamburg. Dort stirbt er acht Jahre später, am 2. November 1977, und wird auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben.

Dieses Thema im Programm:

30.01.2001 | 19:30 Uhr

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