Gerhart Hauptmann: Dramatiker mit widersprüchlicher Haltung
Gerhart Hauptmann gilt als bedeutendster Vertreter des deutschen Naturalismus. 1912 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Politisch gab er eine ambivalente Figur. Am 6. Juni 1946, starb der Dramatiker in Schlesien.
In Schlesien kommt Gerhart Hauptmann auch zur Welt - als Sohn eines Gastwirtes am 15. November 1862 in Ober Salzbrunn, das heute zu Polen gehört. Nach einem für ihn qualvollen Schulbesuch beginnt er mit 16 Jahren eine landwirtschaftliche Lehre auf einem Gutshof, mit 18 Jahren eine weitere Ausbildung zum Bildhauer. Doch bald versucht sich Hauptmann auch im Schreiben und reist viel - unter anderem nach Spanien, Italien und in die Schweiz.
Als Bildhauer bleibt Hauptmann erfolglos
Mit Anfang Zwanzig arbeitet der spätere Literaturnobelpreisträger ohne Erfolg als Bildhauer in Rom. Nach einer schweren Krankheit heiratet er 1885 seine bis dahin heimliche Verlobte, Marie Thienemann. Sie ist die Tochter eines Dresdner Wollgroßhändlers. Der Künstler Hauptmann hat nun keine finanziellen Sorgen mehr und kann als freier Schriftsteller arbeiten. Während der Hochzeitsreise nach Rügen fährt er mit Freunden zum ersten Mal nach Hiddensee, das später seine zweite Heimat wird. Doch zunächst zieht es das junge Paar, das später drei Kinder bekommt, nach Berlin.
Hauptmann feiert erste Erfolge als Dramatiker
In Berlin lernt er moderne, naturalistische Schreibmethoden wie die detailgenaue Beschreibung aller Vorgänge im sogenannten Sekundenstil. Hauptmann vereint dies mit sozialen Themen, die sich - damals eine Neuheit im Theater - um Proletarier drehen und die Gesellschaft verändern wollen. Ausgangspunkt für seine Theaterarbeit ist die genau beobachtete soziale Wirklichkeit. Mit seinem Drama "Vor Sonnenaufgang" (1889), das im Kaiserreich mit viel Sex und Suff schockiert, und nach einer von Skandalen begleiteten Uraufführung in der Freien Bühne wird Hauptmann bekannt.
Obwohl er auch romantische Märchenstücke schreibt, bleibt er der naturalistischen Methode und ihrem dokumentarischen Charakter treu.
Aufführungsverbot und Skandal um "Die Weber"
In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts entsteht neben der Komödie "Der Biberpelz" das naturalistische Stück "Die Weber", das vom spontanen Aufstand der ausgebeuteten Weber 1844 handelt. Und Hauptmann weiß, worüber er schreibt: Um die Not der schlesischen Weber mit eigenen Augen zu sehen, ist er im Eulengebirge unterwegs und greift zurück auf die Erzählungen seines Großvaters, der selbst am Webstuhl gesessen hatte.
Die schlesischen Weber, die einem zynischen Fabrikbesitzer ausgesetzt sind, der allein auf den eignen Vorteil bedacht ist, bilden eine fundamentale Kritik an westeuropäischen Lebensbedingungen und den Folgen der Industrialisierung. Die Aufführung des Stücks wird vom Berliner Polizeipräsidium als Zensurbehörde zunächst verboten. Als die heute klassische Schullektüre nach Hauptmanns sieg vor Gericht 1894 im Deutschen Theater in Berlin schließlich zum ersten Mal öffentlich aufgeführt wird, erklärt Kaiser Wilhelm II. aufgebracht, er werde das Theater nicht wieder betreten und kündigt seine Loge.
"Echte Dramen sind immer Gegenwart"
Dem Erfolg des Stückes tut das keinen Abbruch. Mehrere Hörspiele entstehen auf der Grundlage des Stoffes sowie 1927 eine Verfilmung und 1980 ein Fernsehspiel mit Klaus Maria Brandauer in der Rolle des Aufständischen Moritz Jäger. Noch immer werden "Die Weber" auf deutschen Bühnen inszeniert, denn der Kernkonflikt ist heute so aktuell wie vor 125 Jahren: die Leiden und sozialen Ungerechtigkeiten durch Lohndumping, Ausbeutung und Automatisierung. Hauptmann selbst sagte 1930 anlässlich einer "Weber"-Inszenierung an der Berliner Volksbühne: "Echte Dramen sind immer Gegenwart."
Höhepunkt von Wirkung und Schaffenskraft Ende des 19. Jahrhunderts
Das sozialkritische Drama "Die Weber" gehört wie auch "Der Biberpelz" und "Die Ratten" zu Hauptmanns Hauptwerken und er trifft mit ihnen offenbar einen Nerv. Das Interesse an einer neuen sozialkritischen Dramatik ist vor allem bei Theatererneuerern und Linken insbesondere in den 1880er- und 1890er-Jahren groß - Hauptmanns Produktivität ebenso. Innerhalb weniger Jahre schreibt er zehn Theaterstücke, die noch heute als Klassiker des Naturalismus-Genres gelten.
Werben der Sozialdemokraten lehnt Hauptmann ab
Der Dichter mit hoher Stirn und wehendem Haar leistet sich mit dem Erfolg eine Geliebte. 1904 wird Margarete Marschalk Hauptmanns zweite Ehefrau. Das politische Werben der Sozialdemokraten dagegen lehnt Gerhart Hauptmann ab. Sein Mitleid mit den Armen und rechtlosen macht ihn nicht zum politischen Revolutionär. Revolutionär ist er nur in seiner Theaterarbeit.
Literaturnobelpreis für Hauptmann 1912
Neben etlichen Dramen und Komödien sprudelt auch Lyrik und Prosa aus Hauptmanns Feder - gefolgt von zahlreichen Ehrungen. So erhält er 1905 zum dritten Mal den Grillparzer-Preis und 1912 als höchste Auszeichnung im Alter von 50 Jahren den Nobelpreis für Literatur.
Ehrendoktorwürden und zum Beispiel der Goethepreis der Stadt Frankfurt/Main schließen sich an.
Abdriften in die Niederungen der Vers-Propaganda
Der Literaturnobelpreis macht Gerhart Hauptmann zum wichtigsten lebenden Repräsentanten der deutschen Literatur weltweit. Doch er verstrickt sich in Widersprüche. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs wettert er noch gegen die Aufrüstung des Kaiserreichs. Dann, nach Kriegsausbruch, lässt er sich vom patriotischen Rausch anstecken und reimt Gedichte für die deutsche Propaganda, etwa das "Reiterlied". Als sein ältester Sohn Ivo eingezogen wird, schreibt Hauptmann das Gedicht "Komm, wir wollen sterben gehen". Sehen einige in Hauptmanns Kurs den Verrat früherer Ideale, bescheinigen ihm andere die Meisterschaft im Anpassen an neue politische Verhältnisse.
Der verlorene Erste Weltkrieg erlöst Hauptmann von seinem ärgsten Widersacher, dem Kaiser, der im zweimal den Schillerpreis aberkannt und zur Verleihung des Literaturnobelpreises die Gratulation verweigert hat. In der Weimarer Republik stehen Hauptmann alle Türen offen, sogar für ein hohes politisches Amt. Doch begnügt er sich mit der Rolle des kulturellen Oberhaupts. Etwa als er 1932 zu einer Reise in die USA aufbricht, die er als geistliche Mission in der Vermittlung von Goethes Vermächtnis als "Geschenk Deutschlands an die Welt" betrachtet.
Ambivalenzen im Dritten Reich
Mit dem Anbruch des Dritten Reiches 1933 stehen sich sowohl die Nationalsozialisten wie auch Hauptmann ambivalent gegenüber. Den Machthabern ist die Popularität des Dichters bewusst. Statt Verbannung gilt es eher, ihn für die eigenen Zwecke zu nutzen. Zwar sind etliche von Hauptmanns Werken alles andere als "auf Linie", einige seiner Theaterstücke werden auf den Bühnen verboten, Verfilmungen werden zensiert. Dennoch lässt das Regime Hauptmann diverse Ehrungen und Auszeichnungen zuteil werden - und führt ihn 1944 als einen der wichtigsten Schriftsteller, als "unersetzlichen Künstler".
Hauptmann ein NS-Sympathisant?
Hauptmann selbst teilt zwar weder Antisemitismus noch Rassenpolitik - tut dies allerdings nicht offensiv kund. In "Vor Sonnenuntergang" von 1932 erteilt er den Nationalsozialisten eine Absage, doch 1933 beantragt er die - abgelehnte - NSDAP-Mitgliedschaft. Einerseits sind ihm die Nazis wegen ihrer Brutalität und Dummheit zuwider. Gleichzeitig zeigt er sich begeistert vom "Anschluss" Österreichs. Er liest "Mein Kampf" und erklärt die Schrift zwischenzeitlich sogar zur "Bibel des Deutschtums", lässt sich von Hitlers Reden im Bombenkrieg beeindrucken.
Insgesamt meidet er die inhaltliche und konflikthafte öffentliche Auseinandersetzung mit dem Regime, lässt sich aber offenbar gerne vom Pomp und Werben der Nazis umgarnen, etwa anlässlich seines 75. und 80. Geburtstags - und auch widerspruchslos auszeichnen.
Letzte Ruhe auf Hiddensee
Gerhart Hauptmann stirbt ein Jahr nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands am 6. Juni 1946 stirbt in Agnetendorf im Riesengebirge. Dort verehren ihn auch die Sowjets - so kann sein Sarg Agnetendorf im polnisch besetzten Schlesien in einem Sonderzug in Richtung Hiddensee verlassen. Dort wird er in der Nähe seines ehemaligen Sommerhauses beigesetzt. An seinem Grab scharen sich bei der Beerdigung die Größen der SED. Noch ist da nicht vom Nazi-Sympathisanten Gerhart Hauptmann die Rede. Noch zählt allein die Berühmtheit des Literaturnobelpreisträgers, den man - mal wieder - für sich vereinnahmen will.