Emil Berliner mit Zink-Schallplatte und Grammophon. © picture-alliance / dpa | Fotoreport Deutsche Grammophon

Ein Hannoveraner revolutioniert die Musikwelt

Stand: 04.12.2023 16:30 Uhr

Ein Hannoveraner aus ärmlichen Verhältnissen wandert 1870 in die USA aus. Dort entwickelt Emil Berliner umjubelte Neuheiten: die Schallplatte und das Grammophon. Beide werden auch in Deutschland ein Erfolg.

von Cornelia Wumkes

Längst ist sie nicht mehr auf dem Markt der Massen, nur noch bei Liebhabern und Profis liegt sie auf dem Teller. Doch mit der Erfindung der Schallplatte ist dem Tüftler Emil Berliner im ausgehenden 19. Jahrhundert ein wahrer Coup gelungen, der die Musikwelt revolutionierte. Auch die CD, die die Schallplatte ab den frühen 1980er-Jahren ablöste, basiert auf einer Technik, die auf den genialen gebürtigen Hannoveraner zurückgeht. Der Schöpfer dieser bahnbrechenden Abspielmedien selbst ist allerdings weitgehend in Vergessenheit geraten. Immerhin: In Montreal, Berliners langjähriger Arbeitsstätte, trägt heute ein kleiner Park seinen Namen und ein Museum erinnert an den genialen Erfinder und Vater der Unterhaltungselektronik aus Hannover.

Start aus ärmlichen Verhältnissen

Emil Berliner © Deutsche Grammophon GmbH
Emil Berliner war ausgebildeter Drucker und Tüftler aus Leidenschaft.

Emil Berliner entstammt einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie. Am 20. Mai 1851 wird er in Hannover geboren. Nach einer Druckerlehre wandert er am 27. April 1870 in die USA aus. Zum einen will er dem Dienst im preußischen Militär entgehen, zum anderen locken ihn das freiere Leben und die Hoffnung auf Wohlstand in den USA. Denn seine Familie - er hat zwölf Geschwister - lebt in recht ärmlichen Verhältnissen.

Emil Berliner © Deutsche Grammophon GmbH
AUDIO: 20.05.1851: Geburtstag Emil Berliner (3 Min)

Emil Berliner schifft sich in Hamburg ein. Nach 14 Tagen stürmischer Fahrt erreicht der Hapag-Dampfer "Hammonia" 1870 New York. Berliner zieht weiter nach Washington und findet bei einem Freund seiner Eltern Arbeit. Abends vertieft er sich in Bücher über Elektrizität und Akustik. Nach drei Jahren hat er seine ersten Ziele erreicht: Er beherrscht die englische Sprache, hat die amerikanische Lebensart kennengelernt und in einem Drugstore "seine erste amerikanische Erfindung" gemacht. So nennt er später ein aus Sirup, Kaffee und Schokolade gemixtes Getränk, das sich zur Freude des Inhabers des Drugstores gut verkauft.

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Plattenlabel mit Nipper © Deutsche Grammophon GmbH

Der Siegeszug der Schallplatte

In einem Hinterhofgebäude in Hannover beginnt 1898 die Serienproduktion der Schallplatte. Jakob und Joseph Berliner stellen die von ihrem Bruder Emil entwickelte Scheibe her. mehr

Patent für ein neues Mikrofon

Doch Berliners Leidenschaft gilt der Elektrizität. Er ist fasziniert von den Versuchen, den Klang der menschlichen Stimme auf elektrischem Weg zu übertragen. Das gelingt dem Kanadier Alexander Graham Bell. In Philadelphia stellt er 1876 seine elektrische Sprechanlage vor und meldet sie als Telefon zum Patent an. Doch Emil Berliner lässt sich davon nicht entmutigen. Im Gegenteil: Er bastelt weiter am Mikrofon-Teil seiner Anlage und meldet 1877, ein Jahr nach Bell, seine Fernsprechmuschel beim Patentamt an. Bell ist von der Qualität dieses Mikrofons so beeindruckt, dass er Emil Berliner für umgerechnet 75.000 Reichsmark die Auswertung des Patents abkauft und ihm einen Job in seiner Fabrik in Philadelphia anbietet.

Aus Emil wird Emile Berliner

Als Zeichen, dass er sich in den USA zu Hause fühlt, hängt Berliner seinem deutschen Vornamen ein "e" an. Beruflich kümmert er sich um die Weiterentwicklung des Telefons. Auf heute abenteuerlich anmutende Weise experimentiert er mit der Ton- und Sprachübertragung. Er benutzt zwei Kisten der Seifenmarke "Old Brown Windsor Soap" und einige Drähte, arbeitet erst in seinem Zimmer, dann innerhalb des Hauses und schließlich in der Nachbarschaft. Dabei lernt er Cora Adler kennen, seine spätere Frau.

Auch nimmt er Kontakt zur alten Heimat auf, lädt seine Brüder Joseph und Jacob nach Philadelphia ein und zeigt ihnen Bells Fabrik. Wie Emile sind auch seine Brüder überzeugt von den Zukunftsaussichten des Wunderapparates. In Hannovers Nordstadt gründen Joseph und Jacob 1881 die Telefonfabrik Berliner.

Mit Zink zum Tonträger für die Massenfertigung

Eine Zinkplatte aus dem Jahr 1887. Sie diente als Tonträger für das erste 1887 von Emil Berliner erfundene Grammophon. © Picture-Alliance/dpa
Die erste Schallplatte der Welt: Diese Zinkplatte aus dem Jahr 1887 diente als Tonträger für das erste von Emil Berliner erfundene Grammophon. Die Art der Aufzeichnung, die sogenannte Berliner-Schrift, ermöglichte eine verbesserte Vervielfältigung der Aufnahmen.

1883 macht sich Berliner selbstständig und arbeitet nun daran, die Tonaufnahme-Technik zu verbessern. Wie beim Telefon hat er auch hier zunächst scheinbar das Nachsehen. Denn schon 1877 hatte Thomas Alva Edison den Phonographen vorgestellt, ein mit einer Handkurbel versehenes Gerät, dessen drehbare Walze ein kurzes Gedicht wiedergeben konnte - das aber für die Massenfertigung nicht geeignet war.

Elektroingenieur und Erfinder Emil Berliner (1851 - 1929) in einer Werkstatt mit einer kreisrunden Zinkplatte, die er - versehen mit einer Wachsschicht - als Tonträger verwenden will. © picture-alliance / dpa | Fotoreport Deutsche Grammophon
Als Tonträger verwendet Emil Berliner erstmals eine kreisförmige, mit einer Wachsschicht versehene Zinkplatte.

Berliner tüftelt weiter und meldet Ende September 1887 beim US-Patentamt seine neueste Erfindung an: Ein Gerät, das Schallwellen in horizontale Bewegungen einer Nadel umsetzt. Die mechanischen Schwingungen lassen sich in eine mit Wachs überzogene Zinkplatte einritzen. Von dieser Zinkplatte lässt sich wiederum ein Negativ herstellen, von dem sich beliebig viele Positive formen lassen - die ersten serienmäßig herstellbaren Schallplatten. Zugleich entwickelt Berliner ein Gerät, das die Schallplatte abtastet und die Töne wieder hörbar macht. Das Abspielgerät tauft er Grammophon.

Die erste öffentliche Präsentation von Grammophon und Schallplatten wird 1888 in den USA bejubelt, ein Jahr später in der alten Heimat. Noch 1889 vergibt Berliner in Deutschland erste Fertigungslizenzen. 1895 gründet er in Philadelphia einen eigenen Produktionsbetrieb, die Berliner Gramophone Company.

Berliner zieht nach Kanada

Ein Streit mit seiner New Yorker Vertriebsfirma zwingt Berliner 1899 dazu, seine Produkte vom Ausland aus zu vermarkten. In Kanada eröffnet er die Berliner Gram-O-Phone Company Montreal und er forscht unermüdlich weiter. 1908 stellt er die erste beidseitig bespielte Platte vor und lässt sie in Serie produzieren. Seine Tonstudios in Montreal genießen in der Welt populärer Musik einen glänzenden Ruf.

Der Nipper wird zum Markenzeichen

Auch bleibt Berliner in Montreal von der antisemitischen Agitation unberührt, die der Auto-König Ford nach dem Ersten Weltkrieg in den USA gegen den Jazz und seine Produzenten entfacht. Ab September 1900 vertreibt Emile Berliner Schallplatten und Grammophone unter dem Label His Master's Voice. Markenzeichen ist der legendäre Nipper, ein Foxterrier, der in den Schalltrichter eines Phonographen lauscht.

Mehr Tüftler als Geschäftsmann

Das Geschäft floriert. Doch Berliner kümmert sich nur ungern um Markt und Vertrieb. Mehr Bastler und Tüftler als Unternehmer, sitzt er am liebsten in seiner Versuchswerkstatt. Dort entwickelt er einen Leichtgewichtmotor für den Flugzeugbau. Sein Sohn Henry führt 1919 den ersten einigermaßen flugfähigen Hubschrauber vor.

Auch für die Rundfunktechnik interessiert sich Emil Berliner und bringt bald nach Ende des Ersten Weltkriegs in Montreal die erste kommerzielle Radiostation der Stadt auf Sendung. Im Jahr 1924, er ist schon über 70, verkauft Berliner die Gram-O-Phone Company und das Nipper-Markenzeichen an den US-amerikanischen Konkurrenten Victor Talking Machine.

Am 3. August 1929 stirbt Emil Berliner in Washington.

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Die undatierte zeitgenössische Aufnahme zeigt Emil Berliner. © picture alliance / dpa | Fotoreport Deutsche Grammophon

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