Die letzten Lebensjahre des "Lords von Barmbeck"
Um 1920 ist Julius Adolf Petersen Hamburgs berüchtigster Einbrecher-König, bekannt als "Lord von Barmbeck". Am 29. Juni 1921 wird er verhaftet. In vier Teilen erzählt der NDR seine Geschichte. Teil 4: Letzte Lebensjahre und das lange unbekannte Grab.
Nach seiner Verhaftung im Sommer 1921 und dem folgenden Prozess sitzt Julius Adolf Petersen in Hamburg im Gefängnis. Sein Benehmen gilt als tadellos. Im April 1932 erhält Petersen dann die Chance, ein Leben außerhalb der Gefängnismauern zu führen: Er wird wegen guter Führung zunächst für ein halbes Jahr "probeweise beurlaubt" und kann das Gefängnis verlassen. Gut drei Jahre vor Ende seiner Haftzeit. Immer wieder hatte der "Lord" beteuert, dass er mit seinem früheren Leben gebrochen habe. Er zieht wieder zu seiner Geliebten Frida Goedje in die Pension in den Colonnaden nahe der Binnenalster. Doch es gelingt ihm nicht auf Dauer, sich von dem Verbrecher-Milieu fernzuhalten. Im Juni 1933 wird er erneut verhaftet: Er soll sich mit dem Einbrecher Ernst Hannack zusammengetan haben - und mit seinem jüngeren Bruder Arnold eine Falschgeld-Bande gegründet haben. Petersen bestreitet die Falschgeld-Vorwürfe.
Das Ende des "Lords"
Julius Adolf Petersen kommt im Juli 1933 erneut auf freien Fuß - wahrscheinlich weil er versprochen hat, Hannack der Polizei auszuliefern. Doch der Plan scheitert: Hannack schießt Petersen bei einem Treffen in Hamburger Stadtteil Harvestehude an und entkommt. Zwei Tage später, am 26. Oktober 1933, werden beide verhaftet. Das "Hamburger Fremdenblatt" meldet: "Festgenommen wurde gestern der 51-jährige Adolf Petersen, der in dringendem Verdacht steht, mit dem bereits festgenommenen Raubmörder Hannack mehrere Einbruchdiebstähle durchgeführt zu haben." Vier Wochen später erhängt sich der "Lord von Barmbeck" in seiner Gefängniszelle. Es ist der 21. November 1933. Ein Wärter findet ihn. "Petersen hatte sich mit zwei zusammengeknoteten Strümpfen und mit Hilfe eines Taschentuchs an dem Haken der Luftklappe erhängt", heißt es im Bericht des Wächters.
"Er war ein Verbrecher durch und durch"
Warum hat sich Petersen zum Selbstmord entschieden? Die Gründe sind unklar, er selbst hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Aber offenbar war er verzweifelt: In einem Verhör wenige Stunden vor seinem Tod sagte er, er werde wahrscheinlich nie wieder aus dem Gefängnis entlassen werden. Zumal inzwischen die Nationalsozialisten das Sagen in der Stadt hatten. "Petersen galt als Berufsverbrecher, und als solcher wäre er unter den Nazis wohl nicht mehr freigekommen", vermutet der Schriftsteller Jürgen Ehlers. "Und das wusste Petersen auch." Ehlers hat ein Buch über den "Lord von Barmbeck" geschrieben. Er glaubt nicht, dass Petersen nach seiner Beurlaubung 1932 die ehrliche Absicht hatte, ein ehrenwertes Leben zu führen. "Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er versucht hat, als ehrlicher Bürger Fuß zu fassen."
Als einen hanseatischen Robin Hood oder einen Verbrecher mit feinen Manieren sieht Ehlers den "Lord von Barmbeck" nicht. "Petersen hat sich bemüht, als Gentleman aufzutreten, aber er war kein Gentleman. Er war ein Verbrecher durch und durch", urteilt Ehlers, der die umfangreichen Akten über Julius Adolf Petersen im Hamburger Staatsarchiv studiert hat.
Memorien erst 1973 veröffentlicht
Nach seinem Tod gerät der "Lord von Barmbeck" schnell in Vergessenheit. Seine Memoiren werden erst 1973 veröffentlicht. Man hatte lange Zeit geglaubt, das in Schreibschrift verfasste Manuskript sei bei den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden. Im selben Jahr sendet der NDR ein sechsteiliges Hörspiel, Schauspieler Uwe Friedrichsen spricht den "Lord von Barmbeck". Im Vorspann wird dem Verfasser eine "verblüffende erzählerische Begabung" attestiert. Ebenfalls 1973 erscheint der Film "Der Lord von Barmbeck" mit Martin Lüttge in der Titelrolle. Das Werk erhält zwei Bundesfilmpreise und einen Bambi als bester deutscher Film. Und so lebt die Legende über den "Lord von Barmbeck" wieder auf.
Die Grabstelle des "Lords von Barmbeck" bleibt lange unbekannt
Es bleibt aber lange ein Rätsel, wo Julius Adolf Petersen bestattet wurde. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg? "Wir haben lange nach dem Grab vom 'Lord von Barmbeck' gesucht, es aber nie gefunden", sagte Lutz Rehkopf von der Friedshofsverwaltung auf Anfrage von NDR.de. Auch im Archiv seien die entsprechenden Dokumente nicht aufzufinden. Doch dann spürt NDR.de den Grabbrief auf, der sich im Privatbesitz von Astrid Mayer befindet - der Großnichte von Frida Goedje. Aus dem Dokument geht hervor, dass der "Lord von Barmbeck" Ende November 1933 auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet wurde. Auch die genaue Grabstelle ist verzeichnet. Um die Pflege des Grabs kümmerte sich - bis zu ihrem Tod im Jahr 1959 - Frida Goedje, die nach einer Heirat nun Frida Regeser hieß. Der Grabstein ist nicht mehr erhalten, heute ist an der Stelle nur ein Stück Rasen zu sehen. Archivdokumente zeigen: Das Grab wurde 1963 aufgelöst.
Eine Häkeldecke aus dem Gefängnis
Astrid Mayer als Hüterin des Nachlasses von Frida Goedje und der letzten Dokumenten des "Lord von Barmbeck" erzählte vor einigen Jahren: "Meine Mutter, die eine Nichte von Frida Goedje war, sagte mir vor ihrem Tod: Gib gut auf die Sachen acht." Zu ihrem Erbe gehören etliche Schwarz-Weiß-Fotos, die ihre Großtante zeigen - oft mit einem Hund an ihrer Seite. Und das einizig erhaltene Foto von Julius Adolf Petersen, das bislang nur in einer retuschierten Fassung bekannt war. Es zeigt Petersen in feiner Kleidung auf einem Stuhl sitzend; auf der Stuhllehne sieht man noch die Hand einer weiteren Person. "Das ist die Hand von meiner Großtante, die das Foto später zerschnitten hat", so Mayer.
Von ihrer Großtante hat sie noch eine Häkeldecke geerbt, die diese im Gefängnis angefertigt hatte. Mayer führt in den 1970er-Jahren eine Zeit lang die Pension von Frida Goedje weiter. "Aber auf Dauer war das zu anstrengend, also habe ich die Pension verkauft", so Mayer. Die Pension, die einst der "Lord von Barmbeck" mit seinem Beutegeld gründete, gibt es immer noch in den Colonnaden. Zwar ein paar Häuser weiter und unter neuen Besitzern, aber mit dem alten Namen: Bei der Esplanade.